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„Nun lassen wir’s gut sein; ich gönne Ihnen das Mädchen von Herzen und werde Ihre Pfade gewiß nicht kreuzen, Ihnen nicht einmal durch Fragen beschwerlich fallen, seitdem ich gesehen habe, daß Ihnen das unbequem ist. Ueberlege ich mir’s recht, so ginge es mir wahrscheinlich ebenso.“

Ich schlug in die Hand, die er mir entgegenstreckte, nicht ein, sondern setzte ihm nun ganz ruhig und ernsthaft auseinander, daß und warum von einer Liaison zwischen mir und dem schönen Mädchen keine Rede sein könne, am wenigsten von einer leichten Kalibers. Er hörte mir aufmerksam zu; zuweilen trat während dieser Beichte das liebenswürdige Lächeln, daß ich so gern an ihm hatte, auf seine Lippen, aber im allgemeinen wurde er immer ernsthafter, und als ich geendet, sagte er rasch:

„Das ändert freilich alles und ich bitte Ihnen den leichten Ton und die wohlfeilen Spötteleien ab, die Sie ja um des Mädchens willen verletzen mußten. Nun ist es auch viel schöner, und die kleine Idylle hat etwas so rührendes, daß ich fast wünschen möchte, es bliebe alles so, wie es ist – die persönliche Bekanntschaft würde Ihnen doch die Illusion, die Sie jetzt haben, zerstören und den feinen Schmetterlingsstaub von Ihrer Empfindung wischen. Sehen Sie, der eine Zug z. B., der für mich den Reiz dieses Gesichts ausmacht, ist vielleicht doch nur eine zufällige und unbeabsichtigte Schöpfung ihres Stifts, der in allem sonst treu war, und ich würde möglicherweise, wenn Sie mir das Mädchen vorstellen wollten, fragen: ‚Lassen wir’s lieber; ich fürchte, ich fände den bewußten Zug nicht, und das würde mir alle Laune rauben und mich geradezu ärgern; darauf möchte ich’s nicht gern ankommen lassen.’“

Damit sprang er auf etwas anderes über, und ich war merkwürdig zufrieden damit, daß das leidige Thema fallen gelassen wurde. Es gingen auch acht Tage ins Land, ohne daß er wieder zu mir gekommen wäre, und bei unseren sonstigen Begegnungen wurde des Mädchens mit keiner Silbe gedacht – nicht einmal der gewünschten Kopie meiner Skizze. Curt war in dieser Zeit ungewohnt aufgeräumt und erzählte mir eines Abends, mit sicherlich ungekünstelter Heiterkeit, daß sein alter Onkel General auf den verwegenen Gedanken gekommen sei, ihn zu – verheiraten oder doch zu verloben. Er war entschieden übermüthig, als er ein Bild der beiden alten Kriegsmänner entwarf, die in Graz ihre Pension verzehren und vor purer Langeweile, da die gemeinschaftlich vollbrachten Waffenthaten denn doch kein unerschöpfliches Thema sind, auf den Einfall kommen, aus dem Neffen des einen und der Nichte des andern ein Paar zu machen. Er fand es namenlos drollig, daß die alten Haudegen somit einer Kategorie von Damen ins Handwerk pfuschten, die sich weniger durch Anmuth, als durch Leibesfülle auszuzeichnen pflegt und das Heiratsvermitteln mit einem Eifer betreibt, der wohl erst in einer Zeit berechtigt wäre, in der die Gefahr einer totalen Entvölkerung Europas vor der Thür stünde. Er sah mich groß an, als ich den Gedanken so gar ausschweifend nicht zu finden vermochte, und brauchte einige Minuten, um sich zu überzeugen, daß ich ihn keineswegs mystifiziren wollte, sondern im vollen Ernste sprach. Das Verheiraten – ach, das lag für ihn in weiter, weiter Ferne, wenn überhaupt jemals etwas daraus wurde, und bis dahin hatte er noch viele dicke Bretter zu bohren und ganze Berge umzureißen; er scherzte, vorher müsse er noch wenigstens ein halbes Dutzend Sprachen lernen, um sich bei allen Nationen der Erde nach der schönsten ihrer heiratsfähigen Töchter umsehen und den stilgerechten Kniefall durch eine wohlformulirte Liebeserklärung im heimischen Idiom der Holden erläutern zu können. Das ganze hatte für ihn nur die Bedeutung eines Scherzes und als ich nähere Umstände von ihm erfragen wollte, wurde er ungeduldig und sagte:

„Ach, es lohnt ja nicht der Mühe – was weiß ich – eine kleine kärnthnische Komtesse, die wahrscheinlich frisch aus einer Erziehungsanstalt für adelige Fräulein kommt und dort sehr viel Frömmigkeit und Klavier, aber wenig Orthographie, Geographie und Geschichte gelernt hat, und die mich acceptirt, weil der Herr Onkel es so wünscht, und weil es so hübsch ist, einen Verlobungsring und unzählige Bouquets von Wagenradgröße zu bekommen, und weil Alma und Dora und Stefanie und Baleska und wie die geliebten Busenfreundinnen sonst heißen, schwarz vor Neid werden, wenn sie die erste ist, die sich verlobt! Nein, mein Herr Onkel, seine Geliebte – die Frau ist nur eine Konsequenz – sucht sich der Trotzkopf selber und Sie haben weit mehr Chancen, in Ihrem wohlverdienten Ruhestand ein Geschütz zu erfinden, das sich selber bedient und richtet, als für mich ein Mädchen ausfindig zu machen, das mir recht ist.“ Er drehte dabei die Schnurrbartspitzen in die Höhe, und in seinen Augen, die wie in nebelweite Ferne schauten, leuchtete ein solcher Uebermuth, daß mir die Aktien dieser Verbindung durch oheimliche Fürsorge verzweifelt niedrig zu stehen schienen.

Ihr könnt euch ungefähr mein Staunen denken, als er ein paar Tage später mit rascherem, aber auch schwererem Schritt als sonst bei mir eintrat, den Säbel mehr abriß als abschnallte, ihn auf einen Stuhl warf, sich auf die Walzenlehne meines Sophas setzte, die Arme auf der Brust verschränkte und ganz abrupt und mit sichtlich erzwungenem und fast etwas wildem Humor begann:

„Lieber Reinisch, mir ist etwas sehr Wunderliches, sehr Dummes und sehr Verdrießliches passirt – ich fürchte, ich bin auf dem Wege, in aller Form und in allem Ernst Ihr Nebenbuhler zu werden! Das Försterkind da drüben hat nämlich den Zug, von dem ich annahm, er sei zufällig in deine Skizze gekommen; gib einmal das Ding her und – laß mir’s am liebsten ganz. Ich hab’ sie heute von meinem Platz im Kaffeehaus aus gesehen – ganz unerwartet, und es hat einen Stich gegeben, als ich diesen Zug um den Mund so plötzlich vor Augen hatte, noch schärfer, noch entschiedener, als auf deinem Blatt. Ich werde also Kopf und Kragen dran setzen, die Bekanntschaft der Unnahbaren zu machen; schließlich wohnt sie doch nicht hinter einer dreifachen Mauer von Marmor, Eisen und Stahl, und ich habe nicht eher Ruhe, bis ich dieser Frauenseele ihr Geheimniß abgefragt –“

„Und sie unglücklich gemacht und ruinirt habe,“ ergänzte ich kalt und trocken, denn ich hatte allerdings, als ich ihn so vor mir sah in seiner Ruhe bei aller Leidenschaft, das unabweisliche Gefühl, daß er sein Ziel erreichen, daß er seinen Willen durchsetzen werde – aber was konnte dabei für das arme, schöne Geschöpf gutes herauskommen? Ein kurzer Traum von Glück, ein wonniger Rausch – und dann Elend, Herzeleid und Reue. Selbst eine leichte Bitterkeit lag im Ton meiner Worte – mich verletzte dieser siegesgewisse Uebermuth, und mir war, als müßte ich den bunten Falter verscheuchen, nach welchen ein wilder Knabe begehrlich die Hand ausstreckte; soll er ihn fangen, sich eine Weile seiner schimmernden Schwingen freuen und ihn dann, wenn der Staub von den Flügeln gewischt ist, verächtlich in den Straßenstaub werfen?

Und doch that ich Curt unrecht. Ich werde nie vergessen, welchen halb herben, halb traurigen Ausdruck sein Gesicht annahm, als er diesen Einwand hörte, auf den er wohl am wenigsten gefaßt gewesen war; es lag ein schmerzliches und vorwurfsvolles Staunen, aber auch die Bitterkeit eines auf den dürftigsten Schein hin Verdächtigten in dem Sichverschleiern seiner Augen, in dem Sichkräuseln seiner Oberlippe, und in fast melancholischem Ton erwidert er:

„Das ist nun die gepriesene Freundschaft – nicht einmal vor einer kleinen Eifersüchtelei hält sie Stand! Und Sie sind eifersüchtig, sonst würden Sie Sich sagen, daß ich in dem Mädchen entweder die Verwirklichung meines Ideals finde – in jeder Hinsicht – und dann kommen die ‚ehrlichen Absichten’ von selber, oder daß sie mich enttäuscht – was das Wahrscheinlichere ist – und dann bin ich mir viel zu gut für eine frivole Tändelei mit ihr, ganz abgesehen davon, daß es mir auch um das Mädchen leid wäre. Wie kommen Sie dazu, mich unter die berufsmäßigen ‚Lilienknicker’ zu werfen, deren Künste mir so unsäglich verächtlich sind, und deren Sinnen und Trachten etwas so Feiges und Hinterlistiges hat, daß mich’s instinktiv anwidert?“

Ich war entwaffnet und schämte mich meines Verdachts, und ich gestand beides ein – rückhaltlos, wie es meine Art ist. Aber ich konnte doch nicht umhin, ehrlich zu wünschen, daß Curt sich enttäuscht fühlen möchte; diese Enttäuschung wäre nicht einmal eine schmerzliche, und das Gegentheil müsse bei der Verschiedenheit der sozialen Stellung, bei den Vorurtheilen des Offizierstandes und den Plänen seines Onkels die heftigsten Kämpfe und vielleicht gar eine Katastrophe herbeiführen.

Er hörte mich gelassen und geduldig an und sagte dann ruhig und fast mitleidig-ironisch:

„Und das alles hat sich der Brausekopf natürlich nicht überlegt, er tappt natürlich blind und sorglos in das Abenteuer hinein und wird natürlich ganz betreten und verwirrt sein, wenn nicht alles so glatt gehen will, wie er möchte! Freilich – ich habe mich stets als kopflos und jeder Voraussicht entbehrend, gezeigt und bin daher neuer Streiche verdächtig! Gehen Sie

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_39_20.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)