Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ist in der That eine Regelmäßigkeit und Symmetrie, eine Kongruenz der einzelnen Teile in dem ganzen Aufbau, über die man staunen darf.“ Den wunden Punkt in seiner Seele kannte ich ja – auch dieser Siegfried hatte seine lindenblattgroße, ungepanzerte, verletzliche Stelle. Das Gefühl dominirte eben doch in ihm, und je fester er es niederhielt, desto geduldiger harrte es auf seine Stunde, auf die Stunde, in der es frei und seines Herrn Herr werden würde; es war eine verzehrende Sehnsucht nach einem leidenschaftlichen Emporlodern, nach einem fiebernden Ergriffensein des ganzen Menschen in ihm, eine grandiose Einseitigkeit, die danach dürstete, sich voll und ganz auszuleben und eine erschreckende Gleichgiltigkeit gegen die Folgen. Er wußte das sehr genau, und als wir eines Abends im Baumgarten von Bubenc spazieren gingen und ich ihn mit seiner Unempfindlichkeit gegen die Frauen neckte und dieselbe unnatürlich nannte, zog er seinen Arm aus dem meinen, blieb stehen und sagte beinahe trotzig (darauf war es eigentlich blos abgesehen gewesen, denn der Trotz stand dem blassen, energischen Gesicht noch besser, als die Melancholie): „Was reden Sie da wieder? Die Fabel sollten Sie doch denen überlassen, von denen zwölf aufs Dutzend gehen, wenn man nicht vielleicht gar noch einen halben zugeben muß. Daß ich heißes Jugendblut in den Adern habe, wissen Sie, daß meine Phantasie Schwingen und Flügel hat und ebenso leicht und frei aufsteigt zur Höhe, wie sie niederschießt in die Tiefe, könnten Sie Sich denken, daß ich Schönheitsgefühl und Künstleraugen habe, weiß ich erst durch Sie, – wo soll da die Unempfindlichkeit herkommen? Umgekehrt liegen die Dinge, – ich bin zu empfänglich für den Reiz weiblicher Schönheit und habe nur eine Waffe gegen diese Schwäche, meinen unbändigen Stolz. Dieser Stolz räumt mir alle die Gefahren aus dem Wege, mit denen uns gewisse Damen bedrohen, er feit mich auch gegen jede gewöhnliche amour. Ich bin mir viel zu gut für solche Tändeleien, bei denen man sein Kapital an Gefühlsinnigkeit, an Illusionsfähigkeit und Begeisterung rein um nichts verzettelt und verplempert; ich will mich wohl verlieben, ich werde sogar der Liebe, statt mich gegen sie zu wehren, Thüren und Thore sperrangelweit öffnen, ich werde sie jauchzend willkommen heißen, aber – es muß dann auch der Mühe werth sein, es muß um eine Leidenschaft im großen Stile, um eine Liebe auf Tod und Leben, um eine Liebe, in der Himmel und Hölle beisammen wohnen, sich handeln, nicht um eines eurer zahmen wohlanständigen Verlöbnisse, in denen man sich gegenseitig allerlei mühsam aus der Seele heraufgepumpte romantische Empfindungen vorspiegelt, weil das während des Brautstands so Brauch und Sitte ist – Empfindungen und „feine Gefühle“, die man nach der Verheiratung recht froh ist, wegwerfen zu können, weil sie verzweifelt unbequem sind, unbequem wie der Frack, die Lackstiefeln und die um eine halbe Nummer über die Möglichkeit engen Glacés. Für eine solche Liebe hebe ich mich auf – in eine solche Liebe würde ich mich aber auch kopfüber stürzen, rückhaltlos, rücksichtslos, gleichgültig gegen die Konsequenzen. Finde ich sie nicht – aber ich werde sie finden und sollte ich die halbe Welt nach ihr absuchen – so lassen wir das Verlieben lieber ganz bleiben und verzehren uns still in der eignen Glut, allerdings ohne Phönixhoffnungen. Ich hasse die Halbheiten, in allen praktischen Verhältnissen will ich sie aber über mich ergehen und mich von ihrer Nothwendigkeit und Unvermeidlichkeit überzeugen lassen und ihnen sogar eine genießbare Seite abgewinnen – nur in der Liebe soll die Halbheit ein für allemal ausgeschlossen sein. Alles oder nichts, das ist mein einziges Dogma, und weil ich weiß, daß ich als ein Edelwild angesehen werde, dem manche schöne Jägerin aus Eitelkeit nachstellt, weil ich weiß, daß ich mir von ein paar schönen Augen nur zu leicht allerlei süße Mährchen erzählen lasse, gehe ich euren kleinen Plänkeleien sorgfältig aus dem Wege. Die andern mögen das besorgen – sie laufen keine Gefahr dabei, aber – ‚le baril de poudre a peur de l’ètincelle[1], und ich bin ein Pulverfaß, mit dem sich eine ganz gehörige und ganz und gar nicht übliche Explosion zutragen kann – jeden Tag. Waren Sie schon einmal in Olmütz? Nun, dann wissen Sie, daß in der Nähe der Pulverthürme nicht geraucht werden darf. Und nun ich Ihnen sehr wider meiner Gewohnheit eine so lange Rede gehalten habe, wollen wir das Thema fallen lassen und von vernünftigen Dingen plaudern – hoffentlich werden Sie wenigstens mich nun mit der Albernheit in Frieden lassen, daß ich ein Amphibium sei – von den andern amüsirt michs, wenn sie so reden, von Ihnen kann ich’s nicht ertragen.“

Er war, wie ich schon sagte, eigentlich wenig mittheilsam über alles, was mit seinem Gefühlsleben zusammenhing, als fürchte er, durch offenes Aussichherausgehen den Ruf zu gefährden, in dem er stand und in den des Schwärmers zu gerathen. Diese Vorsicht war ja auch eine begründete, und selbst ich, dem ja alles an ihm recht war und fesselnd erschien, konnte nur bedenklich die Achseln zucken, wenn er z. B. auf die Frage, ob er denn ein ungefähres Bild von der Frau habe, in die er sich verlieben könne, ungeduldig erwiderte:

„Natürlich – wer hätte auch kein solches Bild? Schlank und hoch, große dunkle Augen, feiner, aber voller Mund – Gestalt, Augen und Mund sind mir alles. Besonders aber muß sie eine Feuerseele haben und im Stande sein, nach der ersten Begegnung zu sich selbst zu sagen, was Lady Caroline Lamb, als sie Byron, den sie noch nicht kannte, ins Zimmer treten sah, zu einer Freundin sagte:

„Dieses bleiche Gesicht wird mein Schicksal sein.“

Wenn sie das nicht kann, wenn sie nicht ein Stück Julia in sich hat, mag sie meinetwegen ins Kloster gehen, trotz eures Philosophen des Unbewußten, der uns bewiesen hat, Romeo und Julia sei nicht die Liebestragödie par excellence, denn – ein gebildetes, wohlerzogenes deutsches Mädchen würde doch nimmermehr der Handlungsweise dieser Julia fähig sein. Freilich ist sie es nicht, mir aber ist ein Mädchen um so lieber, je mehr sie sich in ihrer Art zu fühlen der Julia nähert – die andern schenk ich euch. Das ist ja unser ganzes Unglück, daß es so blutwenig Menschen passirt, to fall in love[2], daß sie sich sehr vorsätzlich, sehr bedächtig und allmählich hineinbegeben, daß die Liebe eurer Frauen kein rother süßer Feuerwein, sondern ein schwacher, lauer, widerlich süßer, mit Milch versetzter Thee ist.“

Nur bei solchen Anlässen kam es übrigens vor, daß er den Dichterlord erwähnte, den er leidenschaftlich liebte, und der ihm der Erste und Größte war unter den „madmen, who have made men mad[3] – natürlich verstand auch er dies mad als den schönen, heiligen Wahnsinn einer ideal-trunkenen Feuerseele. Als ich mir einmal einen Band seiner Originalausgabe ausbat, schlug er mir die Bitte mit einer gewissen herben Kürze, die aber nur eine Art von Verlegenheit maskiren sollte, ab – es sei ihm leid, er könne sich von dem Buche auch nicht einen Tag trennen, so sehr sei er an dasselbe gewöhnt; seine ganze übrige Bibliothek stehe mir unbedingt zu Diensten, nur den Byron müßte ich ihm lassen. Ganz im Einklang damit stand es, daß er sich nie auf ein Gespräch über diesen Dichter einließ; als einmal in einer befreundeten Familie ein mit uns geladener jüdischer Journalist ein Langes und Breites über Byron und Heine zum besten gab und mehr oder minder geistreiche Parallelen zwischen beiden zog, saß Curt mit einem Gesicht dabei, das mir ein Gewitter weissagte und zerbiß sich die Schnurrbartspitzen; als der ziemlich redselige und selbstgefällige Mann von der Feder, betreten über seine Schweigsamkeit, ihn am Ende gar fragte, ob er Byron, den er gewiß auch kenne, ebenfalls liebe, sah er ihn groß an und erwiderte trocken:

„Allerdings kenne ich ihn – vielleicht genauer als irgend jemand in Prag; allerdings liebe ich ihn – so sehr, daß ich mit niemanden über ihn sprechen mag.“

Als wir heimgingen, brummte er auf der Treppe: „Verpfuschter Abend!“ und als ich gegen diese Behauptung protestirte, lachte er ironisch und sagte:

„Wenn Sie nun eine Geliebte hätten, ein bildschönes Mädchen, zu der außer Ihnen niemand käme, wenn Sie Ihres heimlichen Glücks und Ihres köstlichen Besitzes von Herzensgrund froh wären und plötzlich im Café von einem der Marmortische her, um den ein halbes dutzend Pflastertreter und Zierbengel mit veilchenblauen und papageigrünen Handschuhen sitzen, den Namen Ihres Juwels hörten, wenn jeder um ihr Dasein wüßte und jeder einen andern Reiz des „famosen“ Geschöpfs namhaft machte, und wenn sie das in demselben Ton und vielleicht in demselben Jargon thäten, in dem sie einander die Vorzüge ihrer Pferde, ihrer Hunde und ihrer Ballerinen anpreisen, würden Sie etwa ruhig dabei bleiben, würden Sie es gelassen und freundlichlächelnd anhören oder – würden Sie unwillkürlich mit der Faust auf den Tisch schlagen und den Stuhl zurückstoßen und das


  1. „Das Pulverfaß fürchtet sich vor dem Funken.“ (V. Hugo.)
  2. sich zu verlieben, eigentlich: in Liebe zu verfallen.
  3. „Tollen, welche die Menschen toll gemacht haben.“
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_37_14.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)