Seite:Hermann von Bezzel - Predigt am Sonntag Exaudi 1912.pdf/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zurückgetreten wie einer, der nichts mehr hätte und dessen ganze Gabe und Habe abgebrochen wäre, sondern in all die Gegensätze des Zweifels und in all die Schrecknisse der Leugnung, in all die suchenden, fragenden Gedanken Griechenlands und Roms, zu den zerrissenen Seelen Israels ist er hingegangen mit nichts anderem, als mit dem Gott ihn am Anfang gesegnet hatte – es geht der Säemann aus!

 Wenn ich recht sehe, Geliebte, – sinkt jetzt der Tag der Welt dem Abend entgegen! Gewisse Zeichen deuten darauf hin, daß die Sonne ihren Lauf langsam vollendet. Ganz bestimmte Gesetze kommen zu Ende, große Weltbemächtigungen sind zu ihrem Ziel gekommen. Es will Abend werden.

 Der Säemann aber geht auch um den Abend aus. Das ist die wunderbare Treue meines Herrn – gleich fern von willensschwachem Optimismus wie von willensschlaffem Pessimismus. Er hat keine andere Aufgabe, diese aber will er bis zum Abend erfüllen. So geht er aus, so will er auch in dieser Stunde durch die Gemeinde gehen, wie er seit vielen hundert Jahren – seit genau 600 Jahren – über diese Stätte gegangen ist und will sein Wort anbieten, ob man um den Abend vielleicht dessen sich annehmen und es aufnehmen wolle.

 Nie enttäuscht und doch oft getäuscht, nie ermattet und doch wegemüde, nie verzweifelnd und doch oft in großer Angst, so tritt mein König und Herr, der heute wieder durch seine Gemeinde hindurchgeht, als ein rechter Säemann auf. Das ist immer groß, daß in der ganzen heiligen Schrift nie das Wort „Enttäuschung oder Verdrießlichkeit“ von Gott sich findet.

 Hat er vielleicht ein besonderes Gut bei sich, dessen er sich heimlich freuen möchte, besitzt der Säemann eine Gabe, die ihn über alle schweren Erfahrungen hinübertröstet?

 Geliebte! Es geht ein Säemann aus, zu säen seinen Samen, ein armes, unscheinbares Korn. Wer es aber mit dem Auge des Glaubens, wenns in die Erde fällt, ansieht, der merkt, wie in ihm Keime künftiger Ernte sich regen. Aus dieser Unscheinbarkeit erhebt sich das wogende Getreidefeld – deine Freude und Lust. Aus dieser Unansehnlichkeit wachsen all die großen, nährenden Gaben der Erde. Mit dem Auge des Glaubensgehorsams betrachtet der Herr selbst das arme, unscheinbare, unansehnliche Gotteswort. Es ist so arm, weil er es also wollte, so unansehnlich, weil er es so wählte.

 Wenn er mit seinen Worten gekommen wäre, – welche Welt könnte sie fassen? Wenn er mit seiner Gedankenerhabenheit der Menschheit sich näherte, welcher Mensch könnte sie in sich aufnehmen? So wählte er das Wort, arm in der Knechtsgestalt, dem ärmsten Kind verständlich, tief genug, dem größten Denker zu genügen, unscheinbar, daß niemand vor seiner

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Predigt am Sonntag Exaudi 1912. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Predigt_am_Sonntag_Exaudi_1912.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)