Predigt am Sonntag Exaudi 1912

Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Predigt am Sonntag Exaudi 1912
Untertitel: gehalten in der Heiliggeistkirche Nürnberg
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Predigt
am
Sonntag Exaudi 1912,


gehalten
in der Heiliggeistkirche Nürnberg


von dem
Oberkonsistorialpräsidenten
D. Dr. von Bezzel in München.



1912.
Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission.
Nürnberg, Ebnersgasse 10.


|  Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes, die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit eurem Geiste und mit meinem Geiste. Amen.

 Vernehmt zwei Worte der heiligen Schrift aus dem 8. Kapitel des Lucasevangeliums und dem 5. Kapitel des Jakobusbriefes. „Es ging ein Säemann aus, zu säen seinen Samen!“ „Elia war ein Mensch gleich wie wir und er betete.“

 Das sind die beiden neutestamentlichen Worte, deren Betrachtung der Herr an uns segnen wolle. Amen.

 In dem Herrn Geliebte. Nicht ohne Absicht ist es geschehen, daß der Prediger des heutigen Tages, der sonst von der Ordnung der allsonntäglichen Texte nicht abweicht, einen anderen Text erwählt hat. Es ist ja für die Heiliggeistgemeinde Nürnberg ein Festtag angebrochen, indem ihr Gotteshaus, verneut und verschönt, wieder zu fleißigem Gebrauch und Besuch erschlossen ist. Wenn wir die Berichte unserer Väter vor jetzt achtzig Jahren und wiederum vor fünfzig Jahren durchlesen, welch eine Klage! Einmal über das überladene, zum andern über das allzu kahle Gotteshaus. So ist es in der Geschichte der Kirche: was die eine Zeit verwirft, lobt die andere und was eine Zeit lobt, wird wiederum im Laufe der Jahre vergessen. Nun aber ist diese Kirche in geweihter Einfachheit und feiner Schlichtheit wieder erstanden. So hoffe ich, daß noch spätere Geschlechter an ihr sich erbauen und die edle Einfalt als ihren besten Schmuck preisen werden.

 Wiederum zwei Texte hat der Prediger ganz gegen die, Ordnung genommen, weil zwei besonders bedeutsame Stücke heute zum erstenmal dem kirchlichen Gebrauch unterstehen, der Schmuck des Altars und die Kanzel, auf der ich jetzt das Wort Gottes verkünden darf. Und endlich, die Wahl der Texte geschah um deswillen, weil die Kanzel das Bild des guten Säemanns trägt, der von dieser Stätte aus sein Wort in die Gemeinde senken und ihr gönnen will, und weil euer Altar im Hintergrund das Leben des alttestamentlichen Propheten Elia aufweist.

 Aber all das, meine Geliebten, ist eine ob auch noch so willkommene Äußerlichkeit. Die Kirche des Evangeliums hält nicht groß von Weihen und Festen und Feierlichkeiten – ihr ist jeder Sonntag ein Festtag geweiht durch die Gnadengegenwart ihres Herrn und Heilandes und jeder Alltag ein Feiertag, weil und insofern ins Getriebe der Arbeitswoche die große feiernde Gemeinschaft mit dem erhöhten Heiland hinüber- und hineinreicht. So will ich heute auch Altbekanntes, wahrhaft Gewisses der Gemeinde| verkündigen, indem ich ganz einfach von der Armut des Gotteswortes und von dem Reichtum des Menschenwortes predige.

 Heilige uns Herr in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Amen.


I.

 – Armut des Gottes-, Reichtum des Menschenwortes! – Es ist, als ob der Prediger die Begriffe verwechselt hätte. Wer aber tiefer hineinsieht, wird merken, wie recht die Worte gewählt sind. Unser Herr läßt in das Geheimnis seiner ewigen Werkstätte hineinblicken; wir sehen, wie in diesem geheimen, ewig verborgenen Rat und Willen etwas bereitet wird, dessen die Welt nicht wert und doch so bedürftig ist, etwas ersonnen wird, das die Welt nicht geben kann und darum mit höchster Ehre und Freude aufnehmen soll, und wie aus diesen ewigen Tiefen und Verborgenheiten sich eine Persönlichkeit göttlicher Art und göttlichen Wesens aussenden läßt, daß sie über die Zeiten hingehe, mit dem unscheinbarsten Beruf betraut, den wir kennen: ein Säemann – der nichts anders will und weiß, als den Samen ausstreuen. Kein König, der im Reich der Gedanken herrscht, kein Zwingherr, der Menschengedanken auf ein ganz Bestimmtes nötigt. Er könnte herrschen und will dienen; er könnte zwingen und will bitten. Nicht ein hoher Denker, nicht ein großer Weltweiser – ein armer Säemann! So ist Christus vor Menschengedenken u. vor Menschenwissen im höchsten Auftrag über die Erde hingegangen, daß er säe. Er hat aber die Säemannsarbeit nicht bloß geistlicher Weise in der Unsichtbarkeit seiner Geisteswirkung ausgeführt, sondern in der Fülle der Zeiten, da die Erde sich zum Himmel bittend erhob und der Himmel zur Erde segnend sich senkte, ist er Mensch geworden, in der ärmsten Unscheinbarkeit über die Welt hingezogen – ein armer, enger, in den Schranken der Leiblichkeit und der Endlichkeit sich bewegender Mann, in dem Einen groß, daß er mit Gründlichkeit klein sein wollte, dadurch so gewaltig, daß er bewußt sich erniedrigte.

 Ein Säemann ging aus, am frühen Morgen, als die Welt im Dämmer des Schöpfungslichtes lag und da und dort die sehnende Seele nach Wahrheit verlangte. Da ist er gekommen und hat in die Heidenwelt tragende Wahrheiten hinausgestreut und in das Volk seiner Auswahl diese volle Wahrheit, ob auch noch so formlos und ungestalt eingegeben. Am Morgen jauchzten, die von diesem Wort getroffen wurden – und wo es einkehrte, da rauschte ihm der Dank der Sehnsucht und die Freude des Besitzes entgegen.

 Als es Mittag in der Welt wurde, ein heißer, schwüler Mittag, weil die Sünde ihre Gewalt und die Verneinung ihr großes Recht ausgeübt hatte, ist der Säemann nicht scheu und zage| zurückgetreten wie einer, der nichts mehr hätte und dessen ganze Gabe und Habe abgebrochen wäre, sondern in all die Gegensätze des Zweifels und in all die Schrecknisse der Leugnung, in all die suchenden, fragenden Gedanken Griechenlands und Roms, zu den zerrissenen Seelen Israels ist er hingegangen mit nichts anderem, als mit dem Gott ihn am Anfang gesegnet hatte – es geht der Säemann aus!

 Wenn ich recht sehe, Geliebte, – sinkt jetzt der Tag der Welt dem Abend entgegen! Gewisse Zeichen deuten darauf hin, daß die Sonne ihren Lauf langsam vollendet. Ganz bestimmte Gesetze kommen zu Ende, große Weltbemächtigungen sind zu ihrem Ziel gekommen. Es will Abend werden.

 Der Säemann aber geht auch um den Abend aus. Das ist die wunderbare Treue meines Herrn – gleich fern von willensschwachem Optimismus wie von willensschlaffem Pessimismus. Er hat keine andere Aufgabe, diese aber will er bis zum Abend erfüllen. So geht er aus, so will er auch in dieser Stunde durch die Gemeinde gehen, wie er seit vielen hundert Jahren – seit genau 600 Jahren – über diese Stätte gegangen ist und will sein Wort anbieten, ob man um den Abend vielleicht dessen sich annehmen und es aufnehmen wolle.

 Nie enttäuscht und doch oft getäuscht, nie ermattet und doch wegemüde, nie verzweifelnd und doch oft in großer Angst, so tritt mein König und Herr, der heute wieder durch seine Gemeinde hindurchgeht, als ein rechter Säemann auf. Das ist immer groß, daß in der ganzen heiligen Schrift nie das Wort „Enttäuschung oder Verdrießlichkeit“ von Gott sich findet.

 Hat er vielleicht ein besonderes Gut bei sich, dessen er sich heimlich freuen möchte, besitzt der Säemann eine Gabe, die ihn über alle schweren Erfahrungen hinübertröstet?

 Geliebte! Es geht ein Säemann aus, zu säen seinen Samen, ein armes, unscheinbares Korn. Wer es aber mit dem Auge des Glaubens, wenns in die Erde fällt, ansieht, der merkt, wie in ihm Keime künftiger Ernte sich regen. Aus dieser Unscheinbarkeit erhebt sich das wogende Getreidefeld – deine Freude und Lust. Aus dieser Unansehnlichkeit wachsen all die großen, nährenden Gaben der Erde. Mit dem Auge des Glaubensgehorsams betrachtet der Herr selbst das arme, unscheinbare, unansehnliche Gotteswort. Es ist so arm, weil er es also wollte, so unansehnlich, weil er es so wählte.

 Wenn er mit seinen Worten gekommen wäre, – welche Welt könnte sie fassen? Wenn er mit seiner Gedankenerhabenheit der Menschheit sich näherte, welcher Mensch könnte sie in sich aufnehmen? So wählte er das Wort, arm in der Knechtsgestalt, dem ärmsten Kind verständlich, tief genug, dem größten Denker zu genügen, unscheinbar, daß niemand vor seiner| Gewalt sich ängsten möchte und doch in dieser Unansehnlichkeit, so voller Glanz des hoffnungsreichen Lebens, so voll weltüberwindender Größe.

 Diesem Worte sieht es niemand an, daß Tausende seinetwegen Leben, Ehre, Lebensglück verließen. Diesem Worte traut es niemand zu, daß große Männer all ihr Denken und Dichten, all ihre Einbildungskraft und Hochflut der Gedanken ihm zulieb hingaben, damit das Wort sein Werk ausrichten möchte. Wer weiß, wie viele Sterbende dieses Wortes Armut mit dem letzten Wort ihres Lebens gesegnet haben! Wer mags zählen, in wie vielen Witwenstuben, aber auch in wie vielen Forschungskammern dieses Wort gepriesen und geehrt worden ist!

 Denker haben um dieses Wort sich gemüht, daß sie es begreifen möchten; Dichter ihm zu Ehren die Harfen gestimmt, daß sie es preisen könnten. Maler und Meister haben dieses Wortes Reinheit und Größe malen und darstellen wollen – und niemand hat es je erreicht. –

 Begreift ihrs nun, Geliebte, warum der Herr mit diesem unscheinbaren Wort so getrost durch die Welt geht? Es ist der Liebesgedanke seines Vaters, in das arme, fehlsam scheinende Wort gelegt, es ist die Ewigkeitsgnade mit diesem unansehnlichen Wort vermählt! Es hat Ewigkeit und Ewigkeitsleid um dieses Wortes Entstehung sich gemüht. –

 Ewigkeit in die Zeit – göttlicher Reichtum in menschlicher Armut, Trostes die Fülle in menschlicher Not und Leidensfragen! – Es ging ein Säemann aus, zu säen seinen Samen!

 Ihr Kinder des 20. Jahrhunderts – hoch im Denken, groß im Forschen – und doch oft so arm und geängstet, hat vielleicht der Säemannsweg nur noch Bedeutung für euch als geschichtliche Größe einer Persönlichkeit, hat sein Gang durch die Welt nur noch Reiz für euch, – ästhetischen Reiz? Diese Treue der Selbstlosigkeit ergreift, diese schlichte Anspruchslosigkeit zieht an, aber seine innere Bedeutung an euch und für euch hätte das Wort verloren? Wäre es an dem, daß das 20. Jahrhundert klärlich nachweist, dieses Wort aus einem beschränkten Weltwesen erwachsen, könne darum nicht mehr Weltweiten befriedigen?

 Liebe Christen! Ein klarer Zweifel, ein ernstes Bedenken gegen das Wort, ist besser, als die stumpfe Hinnahme ohne den Dank für das Ewigneue in Jesu Namen und Gnade. All die Fragen, ob das Wort genügt, all die Sorge, ob nicht eines Neuen zu warten sei, dieses suchende, tastende, flehende Interesse unserer Tage – wer gibt mir Brot, daß wir essen? – so schwer es manchmal auf die Seele fällt, ist doch ein Angeld für das ewige Heimweh, das durch die Welt geht und eine Bürgschaft| dafür, daß dem redlich Suchenden die Gnade des Findens zu teil werde.

 Vielleicht gestattet ihr mir – nein, ihr müßt es mir gestatten, Geliebte, daß ich als sein Knecht für das Wort, das in meinem Leben die Kraft gewesen und geblieben ist, eine gute, dankende, bittende Fürsprache einlege. Ihr müßt es mir erlauben, daß ich in dieser Stunde mit dem Propheten sage: Wenn dein Wort nicht mein Trost gewesen wäre, wäre ich vergangen in meinem Elend! Es ist wahrlich nicht an dem, Geliebte, daß wir ein Wort bräuchten für die tiefsten Sehnungen unserer Seele, größten Bedürfnisse unseres Lebens, für all die Geheimnisse unseres Denkens. Denn der Acker, sagt der Herr, ist die Welt und umfaßt alle Weltphasen, umfaßt alle Weltgrößen, alle Entwicklungen dieser Zeit – er umschließt sie mit dem einen Abmaß, daß vielleicht im Frührot der Acker andere Beleuchtung trug als bei der Hochflut der Sonne, daß, wenn der Abend niedersinkt, das Erdreich in anderer Stimmung daliegt, als am heißen Mittag – aber das Erdreich ist dasselbe.

 Und das Menschenherz mag anderen Stimmungen Raum geben in unserer Zeit und andere Fragen im Vordergrund sehen – in Wirklichkeit ist es dasselbe fragende, suchende, sehnende Menschenherz.

 Gott sei Dank, daß noch heute – so aber solls jederzeit sein und bleiben auch auf dieser Kanzel –, das alte Wort in seiner Schlichtheit, in seiner Einfachheit verkündigt und bezeugt werden darf. Er schenke, daß viele Knechte in seinem Dienste – wenn sie uns längst begraben haben werden, von dieser Stätte aus unter Bezeigung von Gabe, Kraft und Geist, das Wort ausstreuen. Er verleihe, daß unter dieser Kanzel immer wieder eine Gemeinde sich finde, die aus tiefster Überzeugung spreche: „Mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun!“ Wie arm ist Jesu Wort – und will nicht reich sein; wie gering ist Jesu Art – und will nicht groß sein, wie unschön ist Jesu Werk – und will nicht gleißen das Werk dessen, der die Knechtsgestalt annahm und sich erniedrigte bis zum Tod, ja bis zum Tode am Kreuze, das Werk dessen, der unter aller Schöne des Lebens den Gehorsam als das schönste und unter allen Reichtümern der Erde die willentliche Armut der Geduld als das reichste Kleinod erkor.

 Sollen wir nun reich machen wollen, was er arm ließ, glänzend werden lassen, was er einfach ließ, – das sei ferne! Im Gehorsam liegt die Kraft, in der Einfachheit liegt der Sieg, – und wer dem Wort zu hält, der wird das Wort verklären.


II.
 Denn so gewiß der Säemann, der da arm über die Erde hingeht, bis auf diese Stunde zugleich der zur Rechten erhöhte| Herr und Meister ist, so gewiß ist durch seine Armut die Gemeinde reich geworden.

 Er ist in die Höhe gefahren und hat den Menschen Gaben gegeben – die größte Gabe, er schenkte ihnen von neuem ihr Wort. Wunderbar, so wunderbar, daß der größte deutsche Dichter bei dem kurzen johannischen Vers – „im Anfang war das Wort“ – staunend und sinnend verweilt. Wer kann das fassen – im Anfang nicht der Begriff, im Anfang das Wort! Und dieses Wort hat er mir und dir gegeben.

 Die Waffe, mit der ich ihn verteidige und ihn bekämpfe, die Gabe, mit der ich ihn bekenne und bestreite, die wunderbare Gewalt, mit der ich Höhen entflammen und Himmel erschließen kann. – Er gab mir das Wort! Wenn ein Wort eilfertig von den Lippen eilt – ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an! Eine Schneeflocke, hoch von den Alpen abgelöst, als Sturzlawine neigt sie sich und sinkt zu Tale! Und wiederum, welch eine Treue kann sich in ein Wort legen, in den Klang der Stimme, in die suchende, mahnende, bittende Art! Nur ein Wort – ein Wort des Rechtes und ein Wort der Richtigkeit! Das größte aber an diesem Wort ist, daß ich mit ihm eine Brücke in die Ewigkeit hinüber schlagen kann, nachdem Jesus, das menschgewordene Gotteswort, die Brücke herab in die Zeitlichkeit schlug – ich kann mit dem Worte beten.

 Wir feiern in diesem Jahr das Todesjahr eines der größten und ernstesten Denker und Philosophen. Solange Deutschlands Ehre hochgehalten wird, wird man des einst in Erlangen, später in Berlin gewesenen Fichte nicht vergessen. Zu diesem kam der in seinen Liebeswerken so bedeutend gewordene Baron von Kottwitz, ihn um Gaben für die Kinder, die im Cholerajahr verwaist waren, zu bitten. Darauf erwiderte der Denker: „Das Kind betet, der Mann will.“ Kottwitz aber entgegnete: „Des Mannes größtes Vorrecht ist, daß er seinen Willen in Gebet wandelt und daß er sein Gebet als Willensakt vollzieht.“ Elia, ein Mensch gleich wie wir – wir sollen in seine Fußtapfen treten und können es auch – er hat gebetet.

 Wunderbar groß sind die Taten des Propheten, wenn der Feuergeist den Zorn Gottes auf Abtrünnigkeit und Abgötterei niederfleht, so wie der große Meister der Töne, ihn in seinem Oratorium zeigt. Gewaltig, wenn er die Königin straft und ihr den Untergang weissagt, so wie es vielleicht der Künstler an den Toren von St. Madeleine in Paris dargestellt hat. Aber das ist dem neuen Testamente allzumenschlich. Das ist unreines Temperament, das noch nicht geheiligter Charakter. Von allem, was Elia gab und hatte, bleibt nur eins – er hat gebetet; und der Himmel tat sich auf und regnete und die Erde gab ihre Frucht. Das ist die größte Gewalt des Menschenwortes, daß| es in die Höhen der Unsichtbarkeit hinansteigt, in die Erhabenheit des unbegreiflichen Herrn, dort an der Weltregierung teilnimmt, dort seine Pläne in den ewigen Willen Gottes einordnet und die seinen ins Eigne hineinversetzt.

 Das ist die Größe des Menschenwortes, daß es durch Fernen eilt und durch Weiten hindurchschreitet, bis es am Thron der Gnade bittlich steht: „erbarm dich mein und hilf mir!“ „Tue mit mir, was du willst, daß dein Name an mir, in mir, und durch mich geschehe!“

 Das erste betet die Gelassenheit. Ich lege mich bedingungslos in deine Hände, tue mit mir, was du willst. Wenn du mich in die Hölle wirfst, will ich dennoch auf dich hoffen. Das ist die große Gelassenheit des Mannes in Christo – brauche mich als eines deiner Werkzeuge, verwirf mich im Winkel, wenn ich nicht mehr bräuchlich bin, kann ich durch Handeln nicht geben, so sei mir gegrüßt, soll ich durch Leiden tun, so tue ich es gerne! Willst du mit mir etwas ausrichten, so gehöre dir jeder Blutstropfen und jeder Zoll meines Lebens, willst du aber an mir vorübergehen, so will ich dir schweigend nachsehen und den Saum deines Gewandes noch küssen. Tue an mir, wie dirs gefällt, nur laß mich wissen, was dir gefällt. Und wenn auch das vermessen wäre, und ich sollte im Dunkeln wandeln müssen, – aber der Weg und die Weise meiner Erziehung sei mir nur nicht schrecklich, meine Hilfe zur Zeit der Not!

 Und wirke, daß dein Wille in mir geschehe, so betet die Gottinnigkeit. Daß meine Gedankenwelt rein, mein Wort wahr, mein Werk echt sei, daß ich nicht an mir hänge und von mir denke und auf mich das Vertrauen habe, sondern daß du allein mein Denken regierest – mein irrendes, fehlendes und fallendes. Hilf, daß jedes Wort von mir ein Preis sei, weil in ihm Dank deiner Größe und aus ihm das Verlangen nach deiner Nähe spricht. Bescheide mich mit armen Werken und beschränke mich auf geringes Tun, wenn es nur echt ist. Es soll mir nicht darauf ankommen, daß mein Name vor den Menschen genannt werde, wenn nur du ihn kennst und am großen Tag des Wiedersehens ihn nicht verstößest.

 Ich habe alles, wenn ich dich habe – und wenn ich dich nicht habe, was hilft mir die Welt? Wenn mir der Himmel sich erschlösse und ich hätte alle Weisheit, wenn die Erde sich öffnete und ich hätte alle ihre Schätze, wenn die Welten sich auftäten und ich hätte alle ihre Weiten und ruhete nicht in dir, wie mutterseelen allein wäre dann mein Leben! Wenn du aber etwas Großes mir gönnen willst, der ich es nicht verdiene, so laß durch mich etwas geschehen, – durch mich einen andern Menschen lieben lernen, daß durch mein Leben ein anderes Leben für dich gewonnen werde, rücke an mich eine dir zu Ehren glühende| Kohle, ein anderes Leben, daß es sich entflamme zum Preise deiner Gnade. Brauche mich auf, daß durch mich dein Name geheiligt werde, durch mein Leben, Leiden und durch meinen Abschied. –

 So betet der arme Mensch, so ordnet er all die Kleinlichkeiten des Lebens in die große Gottesaufgabe und all die Wechselfälle des Tages in die große bleibende Gnade ein. So bittet er, daß er nicht unnütz über die Welt gehen möge, sondern sein ganzes Leben, wie von Gott ausgeht, zu Gott zurückführe.

 Meinst du, lieber Christ, daß ein Leben einmal vor Gott etwas gelte, das nicht auf ein anderes Einfluß genommen hat? – Glaubst du, daß eine Seele, die bei aller Andächtigkeit erträgnislos war, vor ihm wirklich bleibe? Wenn das Korn nicht erstirbt, so bleibt es allein; wenn es erstirbt, so bringt es viele Frucht – aber ohne Ihn können wir das nicht tun.

 Geliebte Christen, mit zwei kurzen Bitten laßt mich schließen. Diese Kanzel ist eine Predigtstätte und hat insoweit und insoferne amtliches Gepräge, unsere Zeit ist allem Amtlichen nicht hold. Sieh aber hinter dich, daß du in deinem Hause, in deiner Familie, in deinem Beruf und Handwerk eine Lehrkanzel aufrichtest, daß du ein Säemann wirst in Jesu Kraft und nach seiner Art.

 So viele Pflichten weisen die Eltern an die Kinder. Streut in die Herzen der Euren den guten Samen – das alte Wort, wie wirs erfahren, erlebt und erlitten haben. So große Aufgaben hat die Schule an der Jugend. Ach, daß alle unsere Lehrer mit der teuren Aufgabe der Erziehung betraut, ihre gottgeheiligte Persönlichkeit daran setzen, guten Samen ausstreuen möchten. Jede Ehrfurcht vor Gotteswort trägt Frucht, schweigende Geduld, – er will überall bekannt, aber nicht überall genannt sein – bringt herrlichen Lohn. Wenn die Lernenden in dem Lehrenden die christliche Persönlichkeit sehen, ist auch das Schweigen frommer Heiligen ein Gottesdienst, auch die Stille des Verzichts eine laute Predigt des Besitzes.

 Ihr alle, die ihr auf dem Markt des Lebens arbeitend, feilschend, redend steht – ihr insonderheit, die ihr vielleicht keine Arbeit mehr zu haben wähnt, – Säeleute seid ihr alle! Was kann ein Mensch nützen, wenn er ganz Mensch Gottes ist. Wie kann auch das gebrechlichste Gefäß Gaben vermitteln und die welke Hand Samen ausstreuen! Möge diese Kanzel nicht einsam stehen und die Säeleute auf ihr nicht als Beamtete, – sondern ringsum der frohe Saatwurf erfolgen zur Ehre Gottes, in der Kraft des Herrn.

 Der Altar, in der Kirche errichtet, umhegt und fernend, hindere euch nicht, daß ihr in euren Häusern, in euren Herzen den Altar aufrichtet. Morgen- und Abendgebet sind keine lästigen| Sitten, aus ihnen webt sich des Tages verklärende Kraft. Die Mutter, die ihr Kind beten lehrt, hat es erobert, nicht nur für sich, sondern fürs Höchste. Der Vater, den die Kinder die Hände falten sehen, hat den Kindern den größten unvergänglichen Eindruck hinterlassen; – er war ein Mann, denn er hat gebetet.

 Wie viel Nöte branden ans Gestade der Welt, wie viel Sorgen gehen durch die Herzen seiner Gemeinde, wie viel Angst und Fragen erhebt sich allenthalben. Es gibt nur eines, das die Angst beschweigt, eines nur, was die Sorge hebt –: „Siehe, wir beten!“

 Dieses Gebet wolle und wird der erhören, der jetzt zur Rechten des Vaters in ewiger Majestät selbst für seine streitende Gemeinde Fürbitte einlegt. Er hat Menschheitsarmut mit sich in den Reichtum genommen, nachdem er ihr seinen Reichtum gegönnt hat. Er hat das Leiden des Lebens durchkostet, durchlitten, bis zur Neige erfahren – jetzt denkt er an die Fernen, als seien sie nah. Alles Gebet, auch das verhaltene, alles Flehen, auch das unhörbare, alles Seufzen nach Freiheit, alle Tränen, die sich sehnen, getrocknet zu werden, alles, alles zieht hinan – und er bittet für uns. „Exaudi“, erhöre uns, wenn wir zu dir rufen, laß deine Säemannsarbeit unter uns gesegnet sein und das gewaltige Wort, das dich sucht, nicht leer zurückkommen.

 Abba, lieber Vater, gib uns den heiligen Geist! Pfingsten steigt herauf. Die Gemeinde rüstet sich dem Gottesgeist entgegen. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Lauterkeit, Wahrheit und Reinheit. Lauterkeit des Wachstums, Reinheit des Wollens! Wir bitten nicht um große Erfolge, aber um den Sieg der Wahrheit. Amen.


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Druck von
Chr. Auer, Nürnberg.


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