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Aufständischen unterstützt. So werden denn von den Gerichten jetzt wieder die tollsten Terrorurteile gegen die Teilnehmer der Unruhen verhängt, teilweise lebenslängliche Zuchthausstrafen. Aber wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit. Die Erbitterung der Arbeiter wächst um so mehr, da auch alle Versprechungen auf Besserung der Lebensmittelzuteilung u. der Konsumgüter, vor allem Textilwaren nicht eingehalten werden. Schon seit Tagen gibt es in der HO keine Butter mehr, nicht einmal Gemüse ist ausreichend da, obgleich dieses doch in dieser Jahreszeit vorhanden sein sollte. Es steht zwar in der Zeitung, daß wir aus Rußland u. den Volksdemokratien umfangreiche Lebensmittelsendungen erhalten hätten, aber zu sehen ist davon nichts. Und es wird auch in Zukunft nichts geben.

Mittwoch, 22. Juli 53.     

     Gestern kam Elisab. in einem höchst bedauernswerten Zustand aus dem Dienst. Sie war während des Nachtdienstes mehrfach in Anspruch genommen worden u. hatte daher wenig geschlafen, aber auch sonst war sie nicht wohl. Sie klagt sehr oft, besonders aber in den letzten Tagen, über Gallebeschwerden. Sie legte sich gleich zu Bett, ist aber heute früh wieder in den Dienst gegangen.

     Heute nachmittag findet wieder eine Mitgliederversammlung der Bezirksgruppe Bln.=Mitte des VbK. statt, vielleicht gehe ich hin.

     Ich habe schon seit Wochen nicht mehr gemalt mit Ausnahme des kleinen Bildchems „17. Juni“. Es fehlt mir der Antrieb, ich habe keine Lust. Heute will ich eine Bleistiftskizze von dem Zirkusplatz drüben machen, vom Fenster aus, der Platz sieht sehr hübsch aus.

     Anni war mit Bettinchen vormittags in der Tierschau des Zirkus Aeros gegenüber. Da ich nicht mit dabei war, kann ich nichts darüber sagen. Am Nachmittag ging Anni mit ihr zum Monbijoupark. –

     Ich machte vormittags, wie oben gesagt, zwei Skizzen vom Fenster aus. Beide sind gute Unterlagen geworden für Bilder, ich glaube, daß ich damit wieder einen Ansporn zum malen bekommen habe, es können interessante Bilder werden.

     Von Herrn Thim aus Steglitz erhielt ich heute Nachmittag Antwort auf meine Anfrage wegen meiner Bilder. Er schreibt mir einen acht Seiten langen Brief in liebenswürdigster Form, worüber ich mich sehr gefreut habe. – Danach hat er also die fünf kleinen Bilder aufgehängt u. damit anscheinend einen sehr guten Erfolg gehabt. Er schreibt mir, daß er „noch nie so froh in diesen Räumen vor einer Hausmusik gewesen“ sei, wie unter meinen Bildern. Es sei ihm vorgekommen, „als ob die Wände selber tönten, als ob von ihnen eine Farbensynfonie in menschlich=froher, starker Helligkeit hörbar würde“.

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Hans Brass: Thim-Sieberg. , 1953, Seite 013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-07-22_001.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)