Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Thim-Sieberg
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Herausgeber: Stefan Isensee
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Entstehungsdatum: 1953
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ausstellung bei Thim-Sieberg
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Einführung

Der Artikel Thim-Sieberg zeigt die von Stefan Isensee zusammengestellten Auszüge aus den Tagebüchern von Hans Brass, die sich auf die beiden Ausstellungen von Hans Brass im Musikstudio Thim-Sieberg im Jahr 1953 beziehen und damit im Zusammenhang stehen. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet.

Tagebuchauszüge

[...] [1]
Donnerstag, 16. Apr. 53.     

[...] [2]      Am Sonntag, den 19.4. sind wir von dem Ehepaar Günter und Cläre Thim=Sieberg in Steglitz, Grunewaldstraße 27 zum häuslichen Musikstudio eingeladen. Es ist das das Ehepaar, das wir kürzlich bei Frau Dr. Falke kennen lernten, der Mann ist Komponist, die Frau Kinderärztin, es sind sehr bemerkenswerte Leute. Gleichzeitig ist dort eine Bilderausstellung eines Malers Leopold Koch. Die Sache ist um 5 Uhr nachmittags. Wir würden sehr gern hinfahren, aber Anni muß am Sonntag unbedingt –, so behauptet sie wenigstens –, nach Brehna fahren u. wir haben niemand, der bei Bettinchen bleibt.

[...] [2]
Montag, 20. Apr. 53.     

[...] [2]      Da Anni doch nicht nach Brehna fuhr, konnten wir der Einladung nach Steglitz folgen. Es wurden moderne Kompositionen dargeboten von verschiedenen Musici am Flügel, Violine u. Cello, auch sang eine junge Dame. Eine der gebotenen Kompositionen, die am Flügel sehr meisterhaft gespielt wurde, machte starken Eindruck auf mich, das übrige entweder garkeinen [3] oder nur teilweise. Die ganze Vorführung geschah in zwei sehr schönen, durch eine breite Flügeltür verbundene Zimmer u. die Beteiligung war sehr stark, d.h. es waren sehr viele Menschen da, die alle einen sehr kultivierten und angenehmen Eindruck machten. Soetwas gibt es in Ostberlin überhaupt nicht. An Bekannten waren Frau Dr. Falke und ihr Mann Harry da, sowie Herr u. Frau Dr. Richter. – An den Wänden hingen einige gute Kohlezeichnungen eines Bildhauers Koch, von dem ich nichts weiß. – Nach Schluß der Veranstaltung forderte Frau Dr. Sieberg uns auf, noch dazubleiben. Es war ein engerer Kreis ihrer Freunde u. Freundinnen, der sich zwanglos um kleine Tische niederließ, welche von einem Dienstmädchen hereingetragen wurden. Es wurde sehr gut zubereiteter Tee gereicht, dazu belegte Brote, nachher noch Kuchen. Wir, die wir uns kannten, saßen natürlich zusammen und bildeten einen eigenen kleinen Kreis, zu dem sich dann auch Herr Thim setzte. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, einige Bilder bei solch einer Veranstaltung zu zeigen. Ich ging gern darauf ein, vorausgesetzt, daß er selbst mit seiner Frau erst einmal in mein Atelier käme u. sich die Bilder ansähe, da er bisher ja nur das eine Bild kennt, das bei Frau Dr. Falke hängt. Wenn ich ihm Bilder zu diesem Zweck überlasse, hat das nur Sinn, wenn beide, Herr Thim u. seine Frau Dr. Sieberg, meine Bilder kennen u. eine Beziehung dazu haben. Er sah das auch ein u. wir verabredeten einen Besuch bei mir an einem der nächsten Donnerstage. – Jedenfalls ist dieses Ehepaar wirklich sehr sympatisch u. ich verspreche mir einiges von dieser Beziehung. –

[...] [4]
Mittwoch, 13. Mai 53.     

[...] [4] Ferner war ich beim Tischler u. bestellte Leisten zu [5] Bilderrahmen, für zwölf Bilder, die ich herrichten will für das Musikstudio in Steglitz bei Herrn Thim. Die nächste Veranstaltung soll ja im Juni sein u. bis dahin müssen die Bilder so sein, daß man sie aufhängen kann, wozu es genügt, wenn rohe Holzleisten hochkant darumgenagelt werden.

[...] [6]
Mittwoch, 10. Juni 53.     

[...] [7]      Bald nachdem ich wieder zuhause war, wo auch Elisab. inzwischen aus dem Dienst gekommen war, besuchten uns Herr Thim und seine Gattin aus Steglitz. Wir bewirteten sie mit Tee u. sie blieben etwa drei Stunden bei uns u. besahen meine Bilder. Die nächste Veranstaltung ihres Musikstudios findet Ende dieses Monats statt u. wir einigten uns, daß ich zehn bis zwölf Bilder hingebe, die ich bis Steglitz bringen u. dort am Bahnhof in einer Kunsthandlung abgeben werde, von wo Herr Timm sie dann abholen wird. Diese Leute sind sehr angenehm. Beide sind zurückhaltend u. es ist garnicht so leicht mit ihnen warm zu werden, aber sie zeigen uns gegenüber so deutlich ihre Sympatie, daß ich überzeugt bin, daß wir allmählich in ein sehr freundschaftliches Verhältnis kommen werden. Frau Thim ist Katholikin u. er ist Konvertit, also genau so wie wir auch. Wirtschaftlich scheint es ihnen sehr gut zu gehen, die Frau scheint etwas Vermögen zu haben u. sie verdient wohl als Kinderärztin in dem vornehmen Teil von Steglitz sehr gut. Er selbst verdient wohl ebenso wie ich fast nichts. –

[...] [8]
Sonnabend, 13. Juni 53.     
 
HansBrass, Die Schiffbrüchigen

[...] [9] Die Gattin des Herrn Thim war sehr interessiert an dem Bild „Die Schiffbrüchigen“. Ich werde es ihr zunächst einmal mitbringen, wenn ich die anderen Bilder für das Musikstudio hinbringe, vielleicht entschließt sie sich doch für einen Kauf. –

[...] [10]
Sonntag, 14. Juni 53.     

[...] [10]      Ich verpackte gestern die elf Bilder, die ich nach Steglitz geben will, und verschnürte sie. Die Pakete sind aber doch sehr schwer geworden u. ich habe alle Manschetten vor dem Transport. [11] Wir werden sie in Bettinchens Sportwagen packen u. so zur S=Bahn fahren. In Steglitz gebe ich sie dann gleich am Bahnhof in dem von Frau Thim-Sieberg bezeichneten Geschäft ab, von wo sie Herr Thim abholen wird. Trotzdem wird es eine anstrengende Schlepperei geben, vor der ich mich fürchte. – Ich werde außer diesen elf Bildern noch das Bild „Die Schiffbrüchigen“ hinzufügen in der Hoffnung, daß Frau Dr. Thim-Sieberg sich zum Kauf entschießt. Sie man es eine Weile lang als Leihgabe behalten.

[...] [12]
Dienstag, 16. Juni 53.     

[...] [12]      Gestern beförderte ich den ersten Teil der zusammengepackten Bilder. Es waren sechs Bilder, u. zwar die kleineren, die ich eben noch tragen konnte. Ich fuhr mit der U-Bahn zum Bf. Friedrichstraße, von dort mit der S-Bahn nach Steglitz, wo ich sie nach Verabredung mit Frau Dr. Thim-Sieberg in der kleinen Kunsthandlung von Frau Oldenburg, die sich dort im Bahnhofsgebäude befindet, abstellen wollte. Herr Thim wollte sie dann von dort aus im Wagen abholen. Es war das schön ausgedacht, aber Frau Oldenburg war nicht da, das Geschäft war geschlossen. Es war ½ 11 Uhr. Nachfrage in anderen Geschäften ergab, daß Frau Oldenburg sonst gewöhnlich um diese Zeit ihren Laden öffnet. Es befindet sich vor dem Bahnhof eine kleine Wartehalle der Straßenbahn, dort setze ich mich hin u. wartete, es war sehr heiß. Ich wartete eine volle Stunde vergeblich. Da ich kein Westgeld besaß, wechselte ich mir in einer Bank 25 Pf. Fahrgeld ein u. fuhr dann mit der Elektrischen nach der Grunewaldstr. direkt zu Thim-Sieberg. – Man bedauerte mein Mißgeschick sehr und entschädigte mich mit einem Glase vorzüglichem Apfelsaft, belegten Brötchen und Käsekuchen. Ich sprach zunächst nur mit Herrn Thim, seine Frau war noch mit der Sprechstunde beschäftigt. Herr Thim zeigte mir einen Katalog einer Ausstellung des Bildhauers Hartung im Haus am Waldsee. Er hatte einmal Zeichnungen im Musikstudio ausgestellt. Wir kamen darüber in Unterhaltung über abstrakte Kunst. Herr Thim ist sehr dafür zu haben, während ich Vorbehalte machte. [...] [13] – Nun, wir wurden mit unserem Gespräch nicht fertig und müssen dasselbe ein andermal fortsetzen, denn seine Frau kam herein. Sie zeigte mir ihre Kinder, einen eben vierjährigen hübschen Knaben u. ein etwa zweijähriges Mädchen mit blonden Locken u. sehr zutraulich. Ich wurde angelegentlich gebeten, zum Mittagessen dazubleiben, und Frau Dr. Thim-Sieberg erbot sich, mich nachher zum Fehrbelliner Platz zu fahren, wohin ich wollte, um die Ausstellungspapiere für die Juryfreie zu holen u. gleichzeitig den Jahresbeitrag zu entrichten. Sie fährt nämlich jeden Tag ihren Mann in die Musikhochschule, wo er sein Examen als Musikpädagoge macht, u. holt ihn von dort auch wieder ab. Die Hochschule liegt in Lankwitz. Wir fuhren also nach dem Essen erst dorthin, setzen Herrn Thim dort ab u. dann fuhr mit Frau Dr. T-S. zum Fehrbelliner Platz. Sie hat einen kleinen, netten Wagen, den sie ausgezeichnet u. sehr sicher fährt. Auf dem Wege kamen wir in Friedenau an der Marienkirche vorbei, wobei sich ergab, daß sie mit dem ehemaligen Pfarrer dieser Kirche Menzel, mit dem ich in meiner Konvertitenzeit so trübe Erfahrungen gemacht habe, kennt und noch heute gelegentlich verkehrt. – Wir verabredeten, daß sie am Donnerstagnachmittag ihren Mann zum Lehrter Bahnhof bis zur Zonengrenze fahren würde. Ihr Mann fährt dann mit der S-Bahn zur Friedrichstraße, um mich und die restlichen Bilder abzuholen. Er wird die Bilder zum Bahnhof Friedrichstraße tragen, am Lehrter Bahnhof werden wir dann wieder in’s Auto steigen u. nach Steglitz fahren. So kriege ich die Bilder verhältnismäßig mühelos dorthin. –


[...] [14]
Mittwoch, 22. Juli 53.     

[...] [14]      Von Herrn Thim aus Steglitz erhielt ich heute Nachmittag Antwort auf meine Anfrage wegen meiner Bilder. Er schreibt mir einen acht Seiten langen Brief in liebenswürdigster Form, worüber ich mich sehr gefreut habe. – Danach hat er also die fünf kleinen Bilder aufgehängt u. damit anscheinend einen sehr guten Erfolg gehabt. Er schreibt mir, daß er „noch nie so froh in diesen Räumen vor einer Hausmusik gewesen“ sei, wie unter meinen Bildern. Es sei ihm vorgekommen, „als ob die Wände selber tönten, als ob von ihnen eine Farbensynfonie in menschlich=froher, starker Helligkeit hörbar würde“. [15] Auch im Kreise der Besucher, unter denen mehrere Maler waren, scheint der Eindruck stark gewesen zu sein. Er schreibt: „Es war für uns alle ein Erlebnis mit einem Maler, der Einblick in ein gereiftes Werk gibt, das neben seiner geistigen Symbolkraft u. Strenge in der formalen Komposition die Helligkeit kraftvoller Jugend ausstrahlte. In einer Zeit, die von dem Ausdruck innerer Müdigkeit gezeichnet ist, hatten wir somit eine Begegnung, die im besseren Sinne festlich war“ –. Nun, mehr kann ich wirklich nicht verlangen u. ich freue mich sehr. Herr Thim schreibt dann noch von einer bekannten Geigerin, deren Namen er aber nicht nennt, die den Wunsch hat, mit mir zu sprechen u. bittet mich, in nächster Zeit mit Elisabeth ein Zusammensein bestimmen zu wollen. Er möchte die Ausstellung, die durch die zurückgebliebenen Bilder vermehrt werden sollte, nochmals wiederholen, womit ich gern einverstanden bin. – Endlich ist das einmal ein Wiederhall.

[...] [16]
Sonntag, 9. Aug. 53.     

[...] [16] Und schließlich war noch das Ehepaar Thim=Sieberg da. Herr Thim berichtete nochmals von dem sehr starken Eindruck, den meine Bilder in seinem Musikstudio gemacht haben. Die nächste Hausmusik wird im September stattfinden, jedoch hat er hierfür seine Wände bereits an den Bildhauer Heiliger vergeben, sodaß die geplante Wiederholung meiner erweiterten Ausstellung erst bei der nächsten Hausmusik stattfinden wird, die ja wohl erst im Oktober oder November sein wird. Das ist ganz gut, denn bis dahin liegt ein genügend weiter Zeitraum dazwischen, sodaß meine Ausstellung dann ganz neu wirkt. – Frau Dr. Sieberg saß weit von mir entfernt, sodaß ich mit ihr nicht sprechen konnte, aber beim Abschied war sie sehr herzlich u. bat mich, Elisab. zu bestellen, daß sie ihre Gegenwart sehr schmerzlich vermißt habe. –