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Man ruft: „Wir wollen freie Wahlen“. –

     Anni versuchte, einzukaufen u. bekam, mit Not ein Brot, sonst nichts. –

12,30 Uhr

     Eben gab Rias eine Reportage der Vorgänge. Es war etwas verworren, da die Aufnahme von der West-Sektorengrenze aus erfolgte, von der Straße aus sodaß sich die Umstehenden einmischten u. Berichte ihrer Erlebnisse gaben. Das war zwar sehr lebendig, aber planlos. Im regulären Nachrichtendienst berichtete Rias, daß nach wie vor neue Massen von Arbeitern nach dem Stadtinneren marschieren, auch hier in der Friedrichstraße hält der Marsch der Arbeiter aus den nördlichen Bezirken an. Am mehreren Stellen haben die Demonstranten Barakken der Volkspolizei in Brand gesteckt, so am Potsdamer Platz. Viele Volkspolizisten sind mit ihren Waffen bereits zu den Demonstranten übergegangen oder sind in den Westsektor geflüchtet. Vom Brandenburger Tor haben die Arbeiter die rote Fahne heruntergeholt u. verbrannt. Die Volkspolizei scheint nur hier u. da mit Knüppeln eingegriffen zu haben. Russische Soldaten u. Panzer sind zwar eingesetzt, aber bisher ohne Tätlichkeiten. – Seit 11 Uhr fährt die S=Bahn nicht mehr, angeblich auf russische Anordnung. Elisab. wird daher so leicht nicht nachhause kommen können. – Anni versucht. Lebensmittel zu kaufen, wir haben alle Behälter voll Wasser. – Am Morgen u. am ganzen Vormittag hat es sehr stark geregnet, seit Mittag hat es aufgehört. – Aus der Provinz hört man bisher garnichts. Der Westberliner DGB. veranstaltet heute Abend am Kreuzberg eine Sympatie-Kundgebung für die Ostberliner Arbeiter.

     Ich habe gestern das Bild 6/53 mit dem Kahn einer nochmaligen Ueberarbeitung unterzogen u. es heute fertig gemacht, obwohl ich bei der Arbeit sehr zerstreut war. Ich lasse das Radio dauernd laufen, um nichts zu verpassen.

1,30 mittags

     Rias berichtet, daß die Demonstrationen unvermindert anhalten. Arbeiter aus Heninngsdorf, Oberschöneweide, Köpenik marschieren nach Berlin. Ein Arbeiter berichtete von seinen Erlebnissen, danach ist es in der Leipzigerstraße am Vormittag zu Schlägen mit der Volkspolizei gekommen, es soll Verletzte gegeben haben. Es wird eben bekannt gegeben, daß der russische Kommandant von Ostberlin den Ausnahmezustand über Ostberlin verhängt haben soll. In diesem Falle wären dann alle Ansammlungen u. weiteren Demonstrationen von den Russen verboten u. die Russen würden

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Hans Brass: TBHB 1953-06-17. , 1953, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-06-17_004.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2024)