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Elisab. fühlt sich in Wuhlgarten bis jetzt sehr wohl. Ich fange an, mir einen Begriff vom Betriebe dort zu bilden. Der ärztliche Direktor der Anstalt scheint ein wohlwollender Mann zu sein, der sich für seine Aerzte einsetzt, aber sonst recht unbedeutend zu sein scheint. Unter ihm sind zwei Chefärzte, von denen der eine ein Flegel u. Grobian zu sein scheint. Die übrigen Aerzte sind, mit Ausnahme von Dr. Wolf u. noch einem anderen, jüngeren Arzt, bequeme u. verschlafene ältere Herren, die keinerlei Ehrgeiz haben u. sehr unbedeutend sind. Sie scheinen ihre Anstellung als eine Lebensversorgung zu betrachten u. denken nicht daran, jemals wieder von dieser Futterkrippe fortzugehen, an der sie sich sehr wohl befinden. Dadurch blockieren sie natürlich die Anstellung neuer, jüngerer Kräfte. Das Leben dort ist sehr geruhsam, sehr gemächlich u. sehr bequem, überarbeiten tut sich keiner. Auch politisch ist es ebenso ruhig. Eine Aerztin ist allerdings da, die früher in Rußland gelebt hat, SED=Mitglied ist u. mit einem Bildhauer verheiratet ist, aber sie scheint keine Rolle zu spielen. – Elisab. könnte im Krankenhaus eine Arztwohnung mit Garten bekommen. Es wäre sehr verlockend, aber bedenklich, denn wenn E. einmal ihre Stellung kündigen sollte, so wäre das dann auch immer gleichzeitig eine Wohnungskündigung. Diese Arztwohnungen sind nur günstig für solche Aerzte, die die Absicht haben, bis an ihr Lebensende an dieser Stellung zu kleben, dann allerdings sind sie hervorragend. Die Wohnungen sind groß, haben Garten u. kosten lächerlich wenig Miete. Auch sonst bietet ein Wohnen in der Anstalt eine Menge pekuniärer Vergünstigungen, sodaß der Gedanke nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. – Die Oberin der Schwesterschaft scheint aber eine sehr ordentliche Person zu sein, die auch schon lange dort ist u. daher viele persönliche Beziehungen hat. Sie hat angedeutet, daß sie vielleicht in der Lage wäre, eine gute Wohnung in Köpenik zu besorgen. Man muß das alles erst mal abwarten, aber im großen Ganzen scheint mir diese Sache da in Wuhlgarten doch sehr erfreulich zu werden. Wenn sich das mit der Zeit bestätigen sollte, dann sehe ich keinen Grund, warum nicht auch E. ihre Anstellung dort als Lebensstellung betrachten soll. Ich persönlich würde mich wahrscheinlich dort ganz wohl befinden.

Mittwoch, 10. Juni 53.     

     Für gestern hatte ich eine Einladung für eine kleine Ausstellung des Berliner Kunstamtes

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Hans Brass: Thim-Sieberg. , 1953, Seite 006. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-06-10_001.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)