worden, die Bilder in der Ausstellung zu wechseln. Mit Rücksicht darauf, daß ich selbst meine Bilder am 1. Sept. zurückziehen muß, wurde beschlossen, dann einen allgemeinen Wechsel vorzunehmen.
Ich spannte gestern die Leinewand auf für das neue Bild „Fliehende“ das nun so weit ist, daß ich es malen kann. Vielleicht komme ich heute dazu, die Leinewand zu grundieren, doch werde ich mit Malen erst anfangen, wenn ich von Rostock zurück bin.
Abends gestaltete sich das Gespräch mit Dr. Petersen sehr interessant. Dieser Mann, eben 82 Jahre alt, ist ein Picasso=Baby, d.h. ein Kind mit dem Gesicht eines Mannes – noch dazu ein Flaschenkind. Sehr intelligent! Natürlich neigt dieser sehr kultivierte, durch u. durch bürgerliche Mensch sehr zur CDU, – vielleicht ist er sogar Mitglied. Er verabscheut die Russen ebenso wie die SED. u. sein Wünschen ist nach dem Westen, nach München, gerichtet. Ich widersprach dem u. gab damit zum ersten Male der Ansicht Ausdruck, die sich bei mir in den letzten Wochen mehr u. mehr gebildet hat. Ich sagte, daß diese Neigung nach dem Westen, die ich ja ebenso habe, eine Neigung zur Reaktion sei, die man überwinden müsse. Es ist die Neigung zur Seite des geringsten Widerstandes. Sie ist bedingt durch unsere bürgerliche Erziehung u. Tradition u. versucht, Rettung zu finden in einer sozialen Geisteshaltung, die zwar zur Zeit im Westen noch besteht, aber im Sterben liegt. Sich zu ihr bekennen, heißt nur, einer Entscheidung aus dem Wege gehen, die eines Tages doch kommen wird. Es ist ähnlich wie 1918, als das Bürgertum sich in der Weimarer Republik zu retten suchte u. doch unterging. Diese Entscheidung wiederholt sich heute. Wäre sie damals schon erfolgt, wäre uns Hitler u. der Krieg u. all unser Elend erspart geblieben. – Ich bin der Ueberzeugung, daß der Osten siegen wird. Je rascher u. widerstandsloser dieser Sieg herbeigeführt wird, um so besser. Die gegenwärtige Korruption, die Dr. P. als Argument ins Feld führt, ist zwar nicht zu leugnen, aber sie ist eben eine Folge des gegenwärtigen Kampfes zwischen Ost u. West. Es mag uns Intellektuellen diese neue Form sehr unsympatisch sein, was ich zugebe, aber das ist kein Grund, sich ihr zu verschließen. Der Westen erscheint mir wie eine in Blüte stehende Wiese, der Osten wie eine Steppe; aber die Sensen blinken schon, die diese Wiese abmähen werden, während in der Steppe ein neuer Anfang winkt. Dabei ist es belanglos, ob uns die Russen sympatisch sind, oder nicht. Die russische Besatzung gibt kein richtiges Bild, so wenig wie amerikanische u. englische Soldaten ein Bild dieser Nationen geben. Auch ein Regiment deutscher Infanterie ist kein Bild der deutschen Nation, – ist es nie u. zu keiner Zeit gewesen. Außerdem wird ein deutscher Kommunismus niemals identisch sein mit russischem Kommunismus. Zweifellos wird er von Rußland beeinflußt u. geschult sein, die deutschen Kommunisten werden zunächst getreue Schüler der Russen sein nach Moskauer Schule; aber die Deutschen sind den Russen geistig und kulturell so überlegen, daß sich sehr bald eine deutsche Form des Kommunismus herausbilden
Hans Brass: TBHB 1946-08-24. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-08-24_002.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2024)