TBHB 1946-08-24
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1946-08-24 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 24. August 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Gestern 3 Uhr nachm. wurde der alte Paetow beerdigt. Beteiligung sehr stark, Pfarrer Pleß aus Prerow sprach auffallend schlecht. Was soll er auch sagen, nachdem niemals einer der Familie in seinen Gottesdienst komt.
Nachmittags waren Petersen's da, um Bilder zu besehen. Sie kamen abends nach dem Essen wieder zur Unterhaltung. Auch fand gestern erstmalig unsere Freitags-Sitzung der Künstler statt. Triebsch holte mich ab, außerdem war Koch-Gotha da, sowie Frau Droß, später kam auch Fritz. Es war angeregt [2] worden, die Bilder in der Ausstellung zu wechseln. Mit Rücksicht darauf, daß ich selbst meine Bilder am 1. Sept. zurückziehen muß, wurde beschlossen, dann einen allgemeinen Wechsel vorzunehmen.
Ich spannte gestern die Leinewand auf für das neue Bild „Fliehende“ das nun so weit ist, daß ich es malen kann. Vielleicht komme ich heute dazu, die Leinewand zu grundieren, doch werde ich mit Malen erst anfangen, wenn ich von Rostock zurück bin.
Abends gestaltete sich das Gespräch mit Dr. Petersen sehr interessant. Dieser Mann, eben 82 Jahre alt, ist ein Picasso=Baby, d.h. ein Kind mit dem Gesicht eines Mannes – noch dazu ein Flaschenkind. Sehr intelligent! Natürlich neigt dieser sehr kultivierte, durch u. durch bürgerliche Mensch sehr zur CDU, – vielleicht ist er sogar Mitglied. Er verabscheut die Russen ebenso wie die SED. u. sein Wünschen ist nach dem Westen, nach München, gerichtet. Ich widersprach dem u. gab damit zum ersten Male der Ansicht Ausdruck, die sich bei mir in den letzten Wochen mehr u. mehr gebildet hat. Ich sagte, daß diese Neigung nach dem Westen, die ich ja ebenso habe, eine Neigung zur Reaktion sei, die man überwinden müsse. Es ist die Neigung zur Seite des geringsten Widerstandes. Sie ist bedingt durch unsere bürgerliche Erziehung u. Tradition u. versucht, Rettung zu finden in einer sozialen Geisteshaltung, die zwar zur Zeit im Westen noch besteht, aber im Sterben liegt. Sich zu ihr bekennen, heißt nur, einer Entscheidung aus dem Wege gehen, die eines Tages doch kommen wird. Es ist ähnlich wie 1918, als das Bürgertum sich in der Weimarer Republik zu retten suchte u. doch unterging. Diese Entscheidung wiederholt sich heute. Wäre sie damals schon erfolgt, wäre uns Hitler u. der Krieg u. all unser Elend erspart geblieben. – Ich bin der Ueberzeugung, daß der Osten siegen wird. Je rascher u. widerstandsloser dieser Sieg herbeigeführt wird, um so besser. Die gegenwärtige Korruption, die Dr. P. als Argument ins Feld führt, ist zwar nicht zu leugnen, aber sie ist eben eine Folge des gegenwärtigen Kampfes zwischen Ost u. West. Es mag uns Intellektuellen diese neue Form sehr unsympatisch sein, was ich zugebe, aber das ist kein Grund, sich ihr zu verschließen. Der Westen erscheint mir wie eine in Blüte stehende Wiese, der Osten wie eine Steppe; aber die Sensen blinken schon, die diese Wiese abmähen werden, während in der Steppe ein neuer Anfang winkt. Dabei ist es belanglos, ob uns die Russen sympatisch sind, oder nicht. Die russische Besatzung gibt kein richtiges Bild, so wenig wie amerikanische u. englische Soldaten ein Bild dieser Nationen geben. Auch ein Regiment deutscher Infanterie ist kein Bild der deutschen Nation, – ist es nie u. zu keiner Zeit gewesen. Außerdem wird ein deutscher Kommunismus niemals identisch sein mit russischem Kommunismus. Zweifellos wird er von Rußland beeinflußt u. geschult sein, die deutschen Kommunisten werden zunächst getreue Schüler der Russen sein nach Moskauer Schule; aber die Deutschen sind den Russen geistig und kulturell so überlegen, daß sich sehr bald eine deutsche Form des Kommunismus herausbilden [3] muß. Der deutsche Kommunismus ist noch ein Säugling u. ein solcher macht eben zunächst die Windeln voll u. es muß jemand da sein, der sie wieder auswäscht. – Die ganze Debatte mit Dr. P. hat diese Ansicht in mir bedeutend gefestigt, besonders, da daraus hervorging, daß meine Ansicht über die CDU. richtig ist. Jakob Kaiser, der Führer der CDU., ist sicher ein kluger u. sauberer Mann, der klare Erkenntnisse hat u. die Situation übersieht; aber die Masse der CDU-Mitglieder ist nichts als reaktionär u. ist dazu noch zu feige, das offen zu sagen. Sie tarnen sich unter einem „Christentum“, mit dem sie garnicht ernst machen u. zerren das Christentum in einen Kampf, der diesem sehr schaden wird.
In der Landeszeitung steht ein Aufruf des Kulturbundes zur Wahl, natürlich im Sinne der SED. Er ist von den Prominenten des Kulturbundes für Mecklenbg.-Vorpommern unterschrieben. An der Spitze Dr. h.c. Willi Bredel, der im Sommer hier war, ohne daß ich ihn kennen lernte. Er wohnte bei Erichson u. ist Landesleiter. Ferner der Rektor der Rostocker Universität Prof. Rienäcker, Lucie Höflich, Ehm Welk, Karl Kleinschmidt, Heinr. Tessenow, Erichson u. vielen anderen, die ich nicht kenne.
Nachmittags Begräbnis der alten Frau Meier. Es war dürftig, kaum daß Menschen da waren, nicht einmal Träger für den Sarg waren genug da, sodaß der alte Meier selber anfassen mußte. Aber Pfarrer Pleß war gekommen u. hielt eine tiefe u. innige Leichenrede, viel inniger als beim Begräbnis des Bauern Paetow. –
Vormittags besuchte mich ein Herr Manfred Pahl=Rugenstein aus Berlin u. sah meine Bilder. Nachmittags ebenso der Maler Albrecht u. seine Frau, der mir einen guten Ueberblick über das Kunstleben in Berlin gab.
An Prof. Resch schrieb ich einen Brief u. begründete ihm, warum ich lieber darauf verzichten wolle, seine Faust=Dichtung zu illustrieren. Hoffentlich nimmt er's nicht übel.