Frau Longard schlafen u. auch zu Abend essen soll. Morgens soll er hier seine Messe lesen, zu der wir aber keine anderen Teilnehmer zulassen werden, denn wir können ja nicht das Zimmer für diesen Zweck dauernd zur Verfügung halten. Es muß das Zimmer dazu ja jedesmal besonders hergerichtet werden. Der Altar muß eben an der Seite stehen, wo er gewöhnlich steht u. er muß seine Privatmesse dort lesen, nur Martha u. ich werden daran teilnehmen. Er soll dann bei uns frühstücken, aber für sich allein. Für die Vorträge werden wir unser Eßzimmer zur Verfügung stellen. Ich weiß ja nicht wieviele Vorträge er täglich halten wird. Er soll dann auch bei uns zu Mittag essen, doch wiederum für sich allein. Es ist auch noch garnicht feststehend, wer alles zu diesen Vorträgen kommen wird, wir werden die Zahl möglichst beschränken, etwa 10 Personen. Es wird schwierig genug werden, da unser Haus ja reichlich unruhig ist durch die Anforderungen, die das Geschäft stellt. Außerdem wird es mich sehr anstrengen, da ich ja gesundheitlich durchaus noch nicht so weit bin. Sollte nun Fritz grade in diesen Tagen kommen, dann wäre das eine neue, sehr erhebliche Belastung der Nervenkräfte.
Ich hoffe, daß wir den Pater wenigsten zweimal zum Mittagessen abschieben können, einmal an Triebsch u. ein anderes Mal an Burgartz, das wäre doch eine erhebliche Erleichterung. Martha wird heute Abend zu Oehmkes gehen, die sie dazu aufgefordert haben, um einige Kartoffeln u. Mohrüben zu bekommen. Wir wissen sonst nicht, wie wir den Pater satt bekommen sollen. Die Bauern haben jetzt ja alle Saatkartoffeln geliefert bekommen, da auf Befehl der Russen der Anbau von Kartoffeln sehr gesteigert werden soll. Die Bauern haben aber inzwischen ihre Aecker bereits mit anderen Dingen bestellt u. wissen nun garnicht, wohin sie mit den Kartoffeln sollen; dabei hungert die übrige Bevölkerung, weil es keine Kartoffeln zum essen gibt. Es wird da, wie immer, reichlich organisiert.
Nun, wir wollen hoffen, daß diese ganze Sache mit Gottes Hilfe gehen wird. In jedem Falle wird es eine große Anstrengung werden.
Martha war gestern Abend bei Oehmkes. Sie hat einige Kartoffeln u. Mohrüben bekommen, sowie Milch. Mutter u. Töchter Oehmke waren sehr nett u. erzählten, daß ich im Jahre 1912 ihr erster Sommergast gewesen wäre. Damals hatte Oehmke die Wirtschaft grade gekauft. Ich war mit meiner Frau u. Ruth dort. Ruth war damals drei Jahre alt. Es stellte sich nun heraus, daß Liesbeth Oehmke mit Ruth befreundet ist. Wie weit diese Freundschaft geht, weiß ich nicht, es kann wohl nicht übermäßig intim sein, da Liesbeth nicht wußte, daß Ruth jetzt verheiratet ist; aber bis zum Jahre 1936 scheinen beide in Verkehr miteinander gestanden zu haben. Frl. Oehmke behauptete sogar, mit Ruth eine Reise nach England gemacht zu haben. Sie spricht jedenfalls sehr nett von ihr u. sagt, daß Ruth ein stiller, bescheidener Mensch geworden sei von sehr gutem Aeußeren, sie sei groß u. schlank u. habe „dunkles“ Haar. Dies letztere kann ich mir nicht recht denken, wahrscheinlich aber wird ihr Haar nicht dunkler sein, wie das meinige früher gewesen ist, welche Farbe gegen das hier gewöhnliche helle flachsblond eben „dunkel“ erscheint. – Es ist merkwürdig, wie ich von Zeit zu Zeit
Hans Brass: TBHB 1946-04-29. , 1946, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-04-30_001.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2024)