TBHB 1946-04-29
Einführung
Der Artikel TBHB 1946-04-29 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 29. April 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Seit einigen Tagen habe ich wieder verstärkte Blasenbeschwerden, dagegen habe ich keine Beschwerden mehr an der Niere. Diese Blasenbeschwerden sind jedoch überaus lästig, sodaß ich heute darauf verzichte, zu malen, nachdem ich schon am Sonnabend nicht viel gemalt habe. Ich will heute wieder unten bleiben in meinem Zimmer.
Am Sonnabend erhielt ich ein Telegramm vom Kulturbund in Rostock, ich möchte veranlassen, daß für eine graphische Wanderausstellung, die am 19. Mai beginnen soll, Arbeiten in Nordens Hotel in Wustrow bereit gestellt werden sollen zur Abholung nach Rostock. Ich habe Frl. v. Tigerström, die am Sonntag so wie so nach Wustrow ging, mit dieser Sache beauftragt. Hier in Ahrenshoop kommt nur Frau Dora Oberländer u. die unmögliche Frau Dross in Betracht, aber beide wollen nicht mitmachen. Koch-Gotha u. Marks in Althagen machen gleichfalls nicht mit. In Wustrow will sich Frau Woermann beteiligen u. vielleicht Herr Holst u. seine Frau Sommer. Das Ergebnis ist also sehr dürftig u. es wird sich kaum lohnen. Ich [2] habe Herrn Schwertfeger, der heute nach Rostock zum Studium zurückkehrt, nachdem die Osterferien vorbei sind, einen Brief für den Kulturbund mitgegeben u. habe anheim gestellt, von meinen Zeichnungen, die in der sogenannten Kunsthandlung Krüger u. Weiß sind, geeignete Blätter für diese Ausstellung auszuwählen. Im übrigen habe ich darum gebeten, die restlichen Zeichnungen nun endlich an mich zurück zu senden. Die Verhältnisse dort im Kulturbund scheinen sehr fragwürdig zu sein. Herr Schwertfeger erzählt mir, daß Herr Weiß sehr unfreundlich gewesen sei, als Herr Sch. das letzte Mal dort war u. sich geäußert haben soll, daß er kein Interesse an meinen Bildern hätte. Es scheint, daß es besser ist, sich an den Dingen des Kulturbundes nicht mehr zu beteiligen, offenbar fehlt da der Zusammenhalt. Besonders dieser sogenannte Kunsthändler, Herr Weiß, ist offensichtlich ein robuster Geschäftemacher, mit dem man besser nichts zu tun hat. Diejenigen Rostocker Künstler wie Schmidt-Detloff, die etwas auf sich halten, sind mit Herrn Weiß bereits zusammengeraten wegen seiner raffigen Geschäftemacherei u. auch der sympatische Herr Kreuzberg unterschreibt keine Briefe mehr, sodaß ich annehme, daß er sich ebenfalls zurückgezogen hat. –
Am Sonnabend kam der junge Fritz Oehmke, um sich von mir eine Bescheinigung geben zu lassen, daß er zwar PG. gewesen sei, sich aber nicht aktiv beteiligt hat. Ich gab sie ihm, obgleich ich Bedenken hatte, denn ich habe doch früher gehört, daß er sich zum Leidwesen seines Vaters als ziemlich eifriger Nazi aufgeführt hat. Aber jetzt beteuern alle diese Leute, daß sie nie Nazi gewesen sind. Trotzdem halte ich es für praktischer, diese Leute zu „Entnazifizieren“, wie der Fachausdruck lautet, damit sie nicht ausgeschaltet werden, sondern mitarbeiten. Wir können es uns nicht leisten, all diese vielen Menschen aus der Arbeit auszuschalten mit Ausnahme natürlich derer, die in führenden Stellungen sind u. da Unfug anrichten können. Es ist übrigens typisch, daß der junge Oehmke in die CDU. eintreten will. Wieder einer, der vom Christentum nicht mehr als den Namen kennt.
Am Sonntag hatten wir wieder Andacht. Es fiel mir noch schwer, aber es war wieder sehr voll. Am Nachmittag war Herr Triebsch zum Kaffee bei uns. Seine Frau ist für eine Woche nach Berlin gefahren. T. stellte Fragen über Katholizismus, die zeigten, daß er wirklich noch kaum eine Ahnung hat. Dennoch ist er bestrebt, in das Gedankengut einzudringen. Wenn P. Drost sein Versprechen wahr macht u. uns im Mai einige Vorträge halten wird, so wird das Herrn T. sehr nützlich sein.
Das Wetter ist leider vorwiegend trübe u. nicht sehr warm, sehr ungünstig für meinen Blasenkatarrh.
Wir warten täglich auf Fritz, aber vergeblich. Martha wird heute an Klaus telegraphieren u. anfragen, wo er ist.
Am Sonnabend erhielten wir zahlreiche Päckchen von Ruth aus Regensburg, darunter Gries u. Haferflocken u. a. Nährmittel. Das ist für mich unschätzbar. –
Politisch scheinen wir vor einer sehr ernsten Entwicklung zu stehen. Die Vereinigung von SPD. u. KPD. ist nun Tatsache geworden. Sie ist mit höchst unsauberen Mitteln betrieben worden, jedoch nur hier in der russischen Zone. Es ist ein Rest der alten SPD. übrig geblieben u. man wird abwarten müssen, ob dieser Rest sich gegen den Terror der anderen Seite behaupten kann. Die Russen werden zweifellos alles [3] tun, um diese Leute aus dem politischen u. wirtschaftlichen u. sozialen Leben auszuschalten. Es kann heute schon kaum einer eine Stellung bekommen, der nicht in der KPD. ist. Nachdem nun die Einheitspartei gegründet ist, wird das noch schlimmer werden.
Andererseits gehen die Engländer u. Amerikaner zur Offensive über. Nachdem sie früher bereits erklärt haben, daß diese Einheitspartei als eine neue polit. Partei anzusehen sei, die genehmigungspflichtig ist, wurde gestern im Hamburger Sender durchgegeben, daß diese neue Partei von ihnen nicht genehmigt werden würde. Einige SPD=Delegierte aus dem Westen, die sich an dieser Einheitspartei maßgeblich beteiligt u. sich in den Vorstand haben wählen lassen, sollen deshalb zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist also damit der offene Kampf zwischen West u. Ost entbrannt. Hier bei uns wird nun die Vereinigung am 1. Mai demonstrativ gefeiert werden u. man muß die weitere Entwicklung mit Sorge verfolgen. Sobald diese Einheitspartei sich dazu stark genug fühlt, muß man damit rechnen, daß sie Gewaltmittel anwenden wird. Es ist die Möglichkeit gegeben, daß es zu einem Bruch kommen wird u. daß die Einheitspartei für Ostdeutschland einfach kurzer Hand die Sowjet=Republik ausrufen wird. Für England u. Amerika stehen damit die Früchte ihres Sieges auf dem Spiel. Sie haben gekämpft für freie Demokratie, gegen jede autoritäre Regierungsformn, u. sie stehen nun einer neuen, auf Rußland gestützten Diktatur gegenüber. Es ist undenkbar, daß sie kampflos sich davor zurückziehen werden.
Eine andere, nicht weniger gefahrdrohende Sache ist die nun beginnende Außenminister-Konferenz in Paris, welche die Friedenskonferenz vorbereiten soll, die am 1. Mai in Paris beginnen soll u. den Frieden mit den ehemaligen Vasallenstaaten Deutschlands zum Gegenstande hat. Es wird jetzt schon offen davon gesprochen, daß diese Außenminister-Konferenz wieder erfolglos sein kann u. daß es dann jedem der einzelnen früheren Vasallenstaaten überlassen bleiben soll, für sich einen Frieden zu schließen. Das würde dann tatsächlich die Auflösung der bisherigen Entente sein u. eine solche Entwicklung würde dann auch die gewaltsame Lösung in Deutschland selbst begünstigen. Es sieht also mehr als düster aus auf der ganzen Linie.
Eben, am frühen Nachmittag, kommt Frau Longard in einem ziemlich aufgelösten Zustand u. zeigt uns einen Brief des P. Beckmann, den sie heute morgen erhalten hat. Er teilt ihr darin mit, daß P. Drost morgen, am Dienstag nachmittag hier eintreffen wird, um seine Vorträge zu halten u. bis zum Sonnabend hierbleiben wird.
Es ist das in der Tat eine starke Zumutung. Diese Geistlichen sind derart weltfremd, daß sie garnicht begreifen, was das heißt. Dieser P. Drost ißt nämlich gewaltige Mengen u. er tut das höchst unbekümmert, woher man die Nahrungsmittel nimmt. Frau Longard sagte rund heraus, daß sie einfach nichts mehr hätte. Ganz abgesehen davon sind wir hier doch auch kein Gasthaus, daß wir jederzeit Gäste aufnehmen können, am wenigsten in dieser Zeit, von deren Not Herr P. Drost offonbar keine rechte Vorstellung hat. Dazu kommt, daß dergleichen doch irgendwie organisiert werden muß. Wir sind nun erst einmal dahin überein gekommen, daß P. Droßt bei [4] Frau Longard schlafen u. auch zu Abend essen soll. Morgens soll er hier seine Messe lesen, zu der wir aber keine anderen Teilnehmer zulassen werden, denn wir können ja nicht das Zimmer für diesen Zweck dauernd zur Verfügung halten. Es muß das Zimmer dazu ja jedesmal besonders hergerichtet werden. Der Altar muß eben an der Seite stehen, wo er gewöhnlich steht u. er muß seine Privatmesse dort lesen, nur Martha u. ich werden daran teilnehmen. Er soll dann bei uns frühstücken, aber für sich allein. Für die Vorträge werden wir unser Eßzimmer zur Verfügung stellen. Ich weiß ja nicht, wieviele Vorträge er täglich halten wird. Er soll dann auch bei uns zu Mittag essen, doch wiederum für sich allein. Es ist auch noch garnicht feststehend, wer alles zu diesen Vorträgen kommen wird, wir werden die Zahl möglichst beschränken, etwa 10 Personen. Es wird schwierig genug werden, da unser Haus ja reichlich unruhig ist durch die Anforderungen, die das Geschäft stellt. Außerdem wird es mich sehr anstrengen, da ich ja gesundheitlich durchaus noch nicht so weit bin. Sollte nun Fritz grade in diesen Tagen kommen, dann wäre das eine neue, sehr erhebliche Belastung der Nervenkräfte.
Ich hoffe, daß wir den Pater wenigsten zweimal zum Mittagessen abschieben können, einmal an Triebsch u. ein anderes Mal an Burgartz, das wäre doch eine erhebliche Erleichterung. Martha wird heute Abend zu Oehmkes gehen, die sie dazu aufgefordert haben, um einige Kartoffeln u. Mohrüben zu bekommen. Wir wissen sonst nicht, wie wir den Pater satt bekommen sollen. Die Bauern haben jetzt ja alle Saatkartoffeln geliefert bekommen, da auf Befehl der Russen der Anbau von Kartoffeln sehr gesteigert werden soll. Die Bauern haben aber inzwischen ihre Aecker bereits mit anderen Dingen bestellt u. wissen nun garnicht, wohin sie mit den Kartoffeln sollen; dabei hungert die übrige Bevölkerung, weil es keine Kartoffeln zum essen gibt. Es wird da, wie immer, reichlich organisiert.
Nun, wir wollen hoffen, daß diese ganze Sache mit Gottes Hilfe gehen wird. In jedem Falle wird es eine große Anstrengung werden.