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sie tut es nicht, da sie den zweiten Apparat verborgen hat u. ihn nicht zeigen will.

     Ich pflanzte gestern wieder Dahlien. Ich habe jetzt die meisten Knollen in der Erde, aber es sind immer noch welche da.

     Herr Soehlke erzählte mir von den Verwüstungen am Wustrower Strande, als die SS am 1. Mai mit ihren Lastwagen dorthin u. nicht weiter kam. Sie haben dort alle ihre Wagen vernichtet u. den Inhalt verteilt oder umhergeworfen. Es gab dort Massen von Wein, Schnaps, Schokolade, Bohnenkaffee usw., lauter Dinge die die Bevölkerung schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Diese Bande hatte alles zusammengestohlen. Die Herren Offiziere sind dann mit dem Vermessungsboot geflüchtet.

     In Wustrow sollen mehrere Selbstmorde vorgekommen sein: der Mann der Frau Woehrmann soll sich die Schlagader aufgeschnitten haben, Frau W. hat sich die Pulsadern geöffnet, jedoch soll sie daran nicht gestorben sein. Auch der Gendarmerie-Wachtmeister soll sich mit seiner Frau erhängt haben. Alle diese Leute waren Nazis. So traurig es ist, darf man doch nicht vergessen, daß alle diese Leute im Falle eines Sieges der Nazis uns unfehlbar ans Messer geliefert hätten.

     1/2 3 Uhr nachm. Die Russen sind heute früh aus Ahrenshoop abgerückt. Der sog. Kommandant ist nicht mehr im Hause von Wilh. Helms u. auch das Gemeindeamt ist frei. Auch aus der Kolonie draußen höre ich, daß dort alle Offiziere fort sein sollen u. auch die Soldaten, die draußen im Kinderheim waren, sind fort. Zwar fahren durch's Dorf noch einzelne Wagen u. Autos, zuweilen auch ein Reiter, aber sonst ist von den Soldaten nichts mehr zu sehen. Heute morgen wurde am Strande noch hier u. da geschossen, wie sie es ja anscheinend zum Zeitvertreib immer getan haben. Besonders gestern war diese Schießerei sehr wild, aber auch das ist nun schon seit einigen Stunden verstummt. Die erste Nachricht, daß die Russen fort wären, brachte mir Herr Dr. Ziel gegen 11 Uhr. In Althagen u. Wustrow dagegen sind sie noch alle da. Evi Schönherr u. Frl. v. Tigerström waren Mittags hier, besonders erstere war furchtbar deprimiert. Sie ist auch ziemlich ausgeplündert worden, aber es ist beiden sonst nichts passiert. Irgend ein Russe soll gesagt haben, daß sie bis zum 15. Mai die ganze Gegend hier geräumt haben würden.

     Leider ist es aber auch mit dem elektr. Strom wieder vorbei, sodaß man heute Nachmittag um 2 Uhr die Nachrichten nicht hören konnte.

Sonnabend, 12. Mai 1945.     

     Es ist immer noch kein Strom da. – Die Russen sind tatsächlich aus Ahrenshoop abgezogen, nur die Offiziere liegen noch draußen in der Kolonie im Quartier. Sie scheinen außer sehr viel Essen u. Trinken nichts zu tun zu haben.

     Herr Gräff hat durch Anschlag am Schwarzen Brett bekannt gemacht, daß er die Geschäfte des Bürgermeisters „im Einverständnis mit dem Kommandanten“ wieder übernommen habe. Dieser einverstandene Kommandant ist aber nicht mehr da.

     Gestern Abend war Herr Brandt bei uns. Er, Paul u. ich besprachen, was zu tun sei, um der zu erwartenden Hungersnot entgegenzutreten. Gräff ist dem nicht gewachsen, er besitzt keine Initiative u. es taucht immer öfter die Idee auf, daß ich die Geschäfte übernehmen soll. Ich weigere mich jedoch entschieden. Ein Anderer ist nicht da. Also spreche ich dafür, daß man Gräff ruhig im

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Hans Brass: TBHB 1945-05-11. , 1945, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-12_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2024)