Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-05-11
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Freitag, 11. Mai 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 11. Mai 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-05-11 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 11. Mai 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 11. Mai 1945.     

[1]      Borchers hat unser Radiogerät so eingestellt, daß wir nun auch trotz des schwachen Stromes empfangen können. Die endgültige Kapitulation hat nicht in Kaulsdorf, sondern in Karlshorst stattgefunden, in Berlin selbst gibt es kein Haus mehr, in dem dergleichen stattfinden könnte. Jetzt ist auch die Leiche des Halunken Bormann in Berlin aufgefunden worden, aber von Himmler, Ley [2] u. Rosenberg fehlt noch jede Spur. In der Tschechei gibt es noch Kampfverbände, die immer noch weiter kämpfen trotz der Kapitulation, man muß diese Banden einzeln totschlagen.

     Gestern Nachmittag besuchten uns Herr + Frau Soehlke, aus Althagen. Die Zustände dort scheinen immer noch sehr böse zu sein. Es gibt dort keinen Kommandanten, wie in Wustrow u. bei uns, anscheinend deshalb, weil dort die Russen im Gelände der Batterie einquartiert sind. Die Soldaten räubern dort noch sehr viel u. plündern die Bauern aus, deren Aecker zertrampelt werden. Diese Räubereien dehnen sich dann auch bis an unsere Grenze aus, sodaß der Grenzweg viel zu leiden hat. Dort sind neuerdings Vergewaltigungen von Frauen vorgekommen. Auch Radiogeräte werden jetzt gestohlen. Bei Soehlkes, bei denen jetzt auch Frau Kuhnke wohnt, ist bis jetzt alles ziemlich glimpflich abgelaufen, aber die Frauen müssen dauernd bereit sein, in der Nacht auf die Wiesen zu fliehen, wenn Russen kommen.

     Später war Frau Longard da. Sie war überaus nervös. Bei ihr sind zwei Offiziere mit ihren Burschen einquartiert, wodurch sie zwar einigermaßen geschützt ist, aber sie selbst hat nun bloß noch ihr kleines Schlafzimmer zur Verfügung u. es ist viel Unruhe im Hause. Sie brachte mir eine Beschreibung der Stellen ihres Grundstückes wo sie Wertsachen vergraben hat, damit ich später ihrer Tochter diese Beschreibung geben soll, falls sie selbst bis dahin gestorben sein sollte. Die alte Dame sehnt sich danach, daß sie diese Erde verlassen darf.

     Im Dorfe selbst, d.h. in der Hauptstraße, ist gestern nichts weiter passiert, nur die weiter zurück liegenden Grundstücke von Triebsch, Seeberg, Reinmöller usw. werden jetzt noch heimgesucht. Ich entnehme daraus, daß die Soldaten jetzt doch anfangen, sich zu scheuen, ihr Räuberhandwerk öffentlich zu betreiben. Nicht weniger schlimm sind die ortsfremden Flüchtlinge. Sie haben die Einrichtung des Kaffee Namenlos ausgeplündert. Sie gehen zu den Bauern u. wenn sich diese ihren Forderungen widersetzen, drohen sie damit, daß sie mit Russen wiederkommen würden. Der Bauer Paetow, dessen Frau allerdings schon immer im Rufe großen Geizes stand, ist total ausgeplündert worden, nachdem er den Russen, die Brot, Eier u. Butter gefordert hatten, dies verweigert hatte. Sie haben das Haus durchsucht u. sollen in der Räucherkammer die Produkte von zwei ausgeschlachteten Schweinen mitgenommen haben. Auch alle Kartoffeln u. alles Heu haben sie genommen. Den Bauern in Althagen ist es ebenso ergangen. Es wird eine furchtbare Hungersnot geben.

     Frau Longard erzählte, daß der eine der Offiziersburschen ein Bettlaken zerschnitten hat u. daß er von ihr verlangt habe. Säcke daraus zu machen, damit er darin Sachen nachhause schicken könne. In der Tat sah ich gestern einen Wagen vorbeifahren, auf dem mehrere Pakete lagen, die in weiße Leinewand eingenäht waren. Die Soldaten schicken in dieser Art das geraubte Gut nachhause.

     Wir haben alle Garderobe u. Wertsachen auf dem Boden verborgen, auch das Radiogerät von Paul, das nicht auf den schwachen Strom umgestellt ist. Unseren Apparat verbergen wir im Seezimmer. Bisher haben wir ja so gut wie keine Verluste gehabt, aber man ist nie sicher.

     Auch Frau Boroffka war gestern Nachmittag bei uns. Man hat ihr einen Fotoapparat genommen. Die russischen Offiziere wollen nun gern photographiert werden, aber [3] sie tut es nicht, da sie den zweiten Apparat verborgen hat u. ihn nicht zeigen will.

     Ich pflanzte gestern wieder Dahlien. Ich habe jetzt die meisten Knollen in der Erde, aber es sind immer noch welche da.

     Herr Soehlke erzählte mir von den Verwüstungen am Wustrower Strande, als die SS am 1. Mai mit ihren Lastwagen dorthin u. nicht weiter kam. Sie haben dort alle ihre Wagen vernichtet u. den Inhalt verteilt oder umhergeworfen. Es gab dort Massen von Wein, Schnaps, Schokolade, Bohnenkaffee usw., lauter Dinge die die Bevölkerung schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Diese Bande hatte alles zusammengestohlen. Die Herren Offiziere sind dann mit dem Vermessungsboot geflüchtet.

     In Wustrow sollen mehrere Selbstmorde vorgekommen sein: der Mann der Frau Woehrmann soll sich die Schlagader aufgeschnitten haben, Frau W. hat sich die Pulsadern geöffnet, jedoch soll sie daran nicht gestorben sein. Auch der Gendarmerie-Wachtmeister soll sich mit seiner Frau erhängt haben. Alle diese Leute waren Nazis. So traurig es ist, darf man doch nicht vergessen, daß alle diese Leute im Falle eines Sieges der Nazis uns unfehlbar ans Messer geliefert hätten.

     1/2 3 Uhr nachm. Die Russen sind heute früh aus Ahrenshoop abgerückt. Der sog. Kommandant ist nicht mehr im Hause von Wilh. Helms u. auch das Gemeindeamt ist frei. Auch aus der Kolonie draußen höre ich, daß dort alle Offiziere fort sein sollen u. auch die Soldaten, die draußen im Kinderheim waren, sind fort. Zwar fahren durch's Dorf noch einzelne Wagen u. Autos, zuweilen auch ein Reiter, aber sonst ist von den Soldaten nichts mehr zu sehen. Heute morgen wurde am Strande noch hier u. da geschossen, wie sie es ja anscheinend zum Zeitvertreib immer getan haben. Besonders gestern war diese Schießerei sehr wild, aber auch das ist nun schon seit einigen Stunden verstummt. Die erste Nachricht, daß die Russen fort wären, brachte mir Herr Dr. Ziel gegen 11 Uhr. In Althagen u. Wustrow dagegen sind sie noch alle da. Evi Schönherr u. Frl. v. Tigerström waren Mittags hier, besonders erstere war furchtbar deprimiert. Sie ist auch ziemlich ausgeplündert worden, aber es ist beiden sonst nichts passiert. Irgend ein Russe soll gesagt haben, daß sie bis zum 15. Mai die ganze Gegend hier geräumt haben würden.

     Leider ist es aber auch mit dem elektr. Strom wieder vorbei, sodaß man heute Nachmittag um 2 Uhr die Nachrichten nicht hören konnte.