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gesprochen u. ihm einen Brief an ihren Vater nach Amerika mitgegeben. Sie erzählte das überglücklich Martha in dem Augenblick, als die Tochter von Frau Stricker da war, die mit ihrer ganzen elterlichen Familie von je her wütende Nationalsozialistin u. Judenhasserin war. Sie ist nun dauernd auf der Flucht vor den Russen, denn sie ist sehr hübsch. Sabine Klein, die Judentochter, nahm sich ihrer sofort an, bot ihr Quartier an u. einen anderen Mantel, da der Mantel, den sie trägt, auffällig u. den Russen schon bekannt ist.

     Paul hat um 2 Uhr im Kurhause wieder Nachrichten gehört. Churchill wird heute um 3 Uhr sprechen. Es ist sehr schade, daß man von all dem nichts hört.

     Die Russen sollen heute Nachmittag draußen auf der Kuhweide eine Siegesfeier veranstalten. Sie werden dann wieder schwer besoffen sein. Hoffentlich passiert nichts.

     Heute Vormittag bereitete ich mich auf den morgigen Vortrag vor, nachher pflanzte ich Dahlien.

     Bei Dr. Helms am Grenzweg sind 5 Offiziere einquartiert u. auch draußen in der Kolonie soll es viele einquartierte Offiziere geben. Ich weiß nicht, was die vielen Offiziere hier tun, nachdem nirgends einfache Soldaten einquartiert sind. Diese scheinen alle in Althagen untergebracht zu sein, u. vor allem in Wustrow. Die Bevölkerung dort hat viel mehr zu leiden, als wir hier. Aber daß unser Haus bisher so völlig verschont geblieben ist, ist wirklich wie ein Wunder.

Mittwoch, 9. Mai 1945.     

     Martha u. ich versuchten gestern Abend, Radio-Nachrichten bei Frau Sperling im Hause von Paepke zu hören, da dort der Apparat gewöhnlich funktioniert; aber grade gestern Abend war der Strom so schwach, daß auch dort nichts ankam. Ich wollte gern etwas über die Rede hören, die Churchill gestern Nachmittag gehalten hat. Wir gingen dann gleich wieder nachhause, denn man kann nicht ohne Sorge von Hause fortgehen.

     Die sog. Siegesfeier, die die Russen gestern veranstaltet haben sollen u. von der ich mit Besorgnis eine allgemeine Besoffenheit erwartet hatte, ist sehr ruhig verlaufen. Hier u. da hörte man Russen singen, bzw. gröhlen u. vereinzelt wurden Leuchtraketen geschossen, aber schon um 10 Uhr war alles ruhig. Ich blieb vorsichtshalber bis 12 Uhr am Fenster sitzen u. betete den Rosenkranz, aber dann ging ich schlafen. Ich habe bis jetzt, 9 Uhr Morgens, nicht gehört, daß sich irgendwo etwas ereignet hätte.

     Gestern im Laufe des Tages erhielten wir durch irgend einen Boten ein Briefchen von Carmen Grantz, nach dem es ihr u. ihrer Mutter noch gut geht. Die Russen haben ihr, wie üblich, eine Uhr weggenommen, eine Flasche Parfüm u. ein Paar lederne Handschuhe, doch ist es ihr gelungen, die letzteren wieder aus den Manteltaschen der Russen zurückzustehlen. –

     Es ist im allgemeinen ruhiger geworden, aber es gibt immer noch einzelne herumlungernde Soldaten, die in die Häuser eindringen, alles durchwühlen u. mitnehmen, was ihnen grade gefällt.

4 Uhr nachm. – Es heißt, daß die sog. Siegesfeier gestern garnicht stattgefunden habe, sie soll erst heute Abend stattfinden, aber nicht bei uns, sondern bei Schütz in Althagen. –

     Nun ist auch noch die Möglichkeit, Radio-Nachrichten zu hören, die bisher im Kurhause bestand, verloren gegangen. Der Apparat ist mitsamt dem Akku gestohlen worden. Wir sind nun ganz auf Gerüchte angewiesen. Eines davon besagt, daß Himmler in Gelbensande aufgefunden

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Hans Brass: TBHB 1945-05-08. , 1945, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-09_001.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2024)