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Es hieß, die Russen verteilten Lebensmittel an die Bevölkerung, aber dann stellte sich heraus, daß die Russen den Laden nach Schnaps durchsucht hatten u. viele Flaschen Alkohol herausholten. Das war das Signal für die im Ort wohnenden Flüchtlinge, die mit Körben u. Säcken hinliefen u. den ganzen Laden ausräumten. Einheimische haben sich nicht daran beteiligt. Kapitän Krull kam zu uns, als wir am Gartenzaun standen. Er hatte die Nacht durchwacht u. erzählte mir, daß die Leute die ganze Nacht hindurch mit Karren + Wagen aus dem Lager der Batterie in Althagen Sachen geholt hätten, auch Frau Kahlig u. Herr Gerdes wären dabei gewesen. Er sagte auch, daß er gestern Abend um 10 Uhr noch im Hause Körte gewesen wäre u. gesehen hätte, wie die Russen dort alles geplündert hätten. Sie hätten Kofferweise die Sachen herausgeholt. Als wir dort standen, kam Frau Dettmann, die bei Permin wohnt u. erzählte, daß in der Nacht 30 Mann im Hause einquartiert gewesen seien, unter ihnen der Hauptmann des Trosses. Alle Leute hätten sich tadellos betragen. Eines der Flintenweiber sei bei Bernh. Saatmann einquartiert gewesen. Ihm hat man Eier fortgenommen, aber es sei alles ruhig zugegangen. Da aber kam Frau Wituchter dazu u. erzählte, daß die Russen weiter außerhalb des Dorfes, wo keine Offiziers-Kontrolle gewesen sei, sehr übel gehaust hätten. Sie hätten alles, was sie an Gold u. Schmucksachen gefunden hätten, gestohlen, auch bei Frau Longard sollen sie gestohlen haben. Im Haus von Dr. Lewerenz, wo ja eigentlich die Familie der Gauleiters Schwede-Koburg wohnen sollte, aber nicht gekommen ist, wohnte eine Frau Zimmermann mit ihrer Tochter u. dort soll es zu Vergewaltigungen gekommen sein. Die Russen sollen dort Mutter u. Tocher vergewaltigt haben u. bis 4 Uhr Morgens dort gewesen sein. – Man muß abwarten, ob sich das bestätigt. –

     Gestern Abend brannte es in Ribnitz. Frau Wituchter, die anscheinend immer sehr viel weiß, wollte auch wissen, daß gestern in Ribnitz zwei russ. Generale erschossen worden u. ein Leutnant durch einen Steinwurf am Kopfe verwundet worden sei. Die Russen hätten daraufhin Geiseln festgenommen, von denen 15 erschossen werden sollten, falls die Täter nicht ermittelt würden. Auch das ist noch unbestätigt. Spangenberg scheint seine Pferde irgendwo in Sicherheit gebracht zu haben, aber die Russen haben im Heu einen Koffer gefunden, den sie mitgenommen haben.

     Positive Nachrichten sind natürlich nicht zu bekommen. Es heiß, daß Hamburg ziemlich kampflos in englischen Besitz gekommen sei, aber sonst weiß man nichts, besonders weiß man nicht, ob denn nun Waffenstillstand ist oder nicht. – Die Russen sind heute morgen gegen 9 Uhr weitermarschiert in Richtung Prerow. Die deutschen Soldaten, die noch hier im Kurhause waren, haben sich auf Anraten der Russen auf den Weg gemacht, unter ihnen auch Herr Sittarz, der als Soldat bei der 5. Kompanie war u. in der Schreibstube beschäftigt war. Er ist 59 Jahre alt. Er kam vor einigen Tagen u. bat um einen Rock, den er auch aus dem Volksopfer erhielt. Heute Morgen verabschiedete er sich, schwerbeladen mit Gepäck u. brachte mir den Korrekturabzug seines letzten Buches: „Wenn die Mittagshöhe des Lebens überschritten“, Untertitel: „Vom Aelterwerden, ohne zu altern“, verlegt bei Ernst Reinhardt in München 1944. Er gab mir seine Anschrift u. bat, daß ich ihm die Korrekturbogen später schicken möchte.

1/4 4 Uhr Nachm. Eben sagt mir Grete, Frl. Wernecke habe erzählt, daß sich auch Prof. Reinmöller u. Herr v. Knesebeck

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Hans Brass: TBHB 1945-05-04. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-04_002.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)