Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-05-04
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Freitag, 4. Mai 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 4. Mai 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-05-04 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 4. Mai 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 4. Mai 1945.     

[1]      9 Uhr vorm. Gestern erschossen sich Herr + Frau Siegert auf ihrem Felde. So endete das Nazi=Leben dieser Frau, die uns alle hier seit 12 Jahren mit ihrem Fanatismus verrückt gemacht hat u. eine dauernde Gefahr war für jeden, der nicht Nazi war.

     Der Nachmittag verlief gestern sonst ruhig, aber Abends gegen 9 Uhr traf wieder ein Tross ein, der genau vor unserem Hause anhielt. Das Haus war verschlossen. Zwei junge Burschen von 16 – 17 Jahren rüttelten an den Türen. Ich ging raus u. verhandelte mit ihnen. Sie wollten Schnaps. Ich gab ihnen Zigaretten u. wie sie schließlich begriffen hatten, daß kein Schnaps da war, zogen sie wieder ab. Ich hatte vorher mit Paul die Reste unseres Weines aus dem Keller geschafft, weil damit zu rechnen war, daß wir Einquartierung bekämen Es kam dann ein Leutnant, der sich aber nur etwas aufwärmen wollte. Er war enttäuscht, daß es nicht sehr warm war. Er setzte sich reichlich ungeniert u. etwas flegelhaft bei Paul ins Zimmer an das Fenster. Bald kam ein junger Soldat ans Fenster u. rief, daß der „Kapitan“ da wäre, worauf der Herr Leutnant eiligst verschwand. Es wurde dann drüben bei Permin die Einfahrt geöffnet u. der ganze Troß zog dort hinein. Es war dann bald Ruhe auf der Straße, nur einzelne Leute gingen dann u. wann umher. Ich selbst postierte mich ans Fenster in der Mansarde, wo ich bis 1/4 nach 12 Uhr Wache hielt. Da sich nichts weiter ereignete, ging ich dann schlafen, d.h. ich legte mich angezogen aufs Bett.

     Heute morgen war ein großes Gelaufe zum Geschäft von Reichert-Saatmann. Ich sah vier russ. Soldaten dort stehen. [2] Es hieß, die Russen verteilten Lebensmittel an die Bevölkerung, aber dann stellte sich heraus, daß die Russen den Laden nach Schnaps durchsucht hatten u. viele Flaschen Alkohol herausholten. Das war das Signal für die im Ort wohnenden Flüchtlinge, die mit Körben u. Säcken hinliefen u. den ganzen Laden ausräumten. Einheimische haben sich nicht daran beteiligt. Kapitän Krull kam zu uns, als wir am Gartenzaun standen. Er hatte die Nacht durchwacht u. erzählte mir, daß die Leute die ganze Nacht hindurch mit Karren + Wagen aus dem Lager der Batterie in Althagen Sachen geholt hätten, auch Frau Kahlig u. Herr Gerdes wären dabei gewesen. Er sagte auch, daß er gestern Abend um 10 Uhr noch im Hause Körte gewesen wäre u. gesehen hätte, wie die Russen dort alles geplündert hätten. Sie hätten Kofferweise die Sachen herausgeholt. Als wir dort standen, kam Frau Dettmann, die bei Permin wohnt u. erzählte, daß in der Nacht 30 Mann im Hause einquartiert gewesen seien, unter ihnen der Hauptmann des Trosses. Alle Leute hätten sich tadellos betragen. Eines der Flintenweiber sei bei Bernh. Saatmann einquartiert gewesen. Ihm hat man Eier fortgenommen, aber es sei alles ruhig zugegangen. Da aber kam Frau Wituchter dazu u. erzählte, daß die Russen weiter außerhalb des Dorfes, wo keine Offiziers-Kontrolle gewesen sei, sehr übel gehaust hätten. Sie hätten alles, was sie an Gold u. Schmucksachen gefunden hätten, gestohlen, auch bei Frau Longard sollen sie gestohlen haben. Im Haus von Dr. Lewerenz, wo ja eigentlich die Familie der Gauleiters Schwede-Koburg wohnen sollte, aber nicht gekommen ist, wohnte eine Frau Zimmermann mit ihrer Tochter u. dort soll es zu Vergewaltigungen gekommen sein. Die Russen sollen dort Mutter u. Tocher vergewaltigt haben u. bis 4 Uhr Morgens dort gewesen sein. – Man muß abwarten, ob sich das bestätigt. –

     Gestern Abend brannte es in Ribnitz. Frau Wituchter, die anscheinend immer sehr viel weiß, wollte auch wissen, daß gestern in Ribnitz zwei russ. Generale erschossen worden u. ein Leutnant durch einen Steinwurf am Kopfe verwundet worden sei. Die Russen hätten daraufhin Geiseln festgenommen, von denen 15 erschossen werden sollten, falls die Täter nicht ermittelt würden. Auch das ist noch unbestätigt. Spangenberg scheint seine Pferde irgendwo in Sicherheit gebracht zu haben, aber die Russen haben im Heu einen Koffer gefunden, den sie mitgenommen haben.

     Positive Nachrichten sind natürlich nicht zu bekommen. Es heiß, daß Hamburg ziemlich kampflos in englischen Besitz gekommen sei, aber sonst weiß man nichts, besonders weiß man nicht, ob denn nun Waffenstillstand ist oder nicht. – Die Russen sind heute morgen gegen 9 Uhr weitermarschiert in Richtung Prerow. Die deutschen Soldaten, die noch hier im Kurhause waren, haben sich auf Anraten der Russen auf den Weg gemacht, unter ihnen auch Herr Sittarz, der als Soldat bei der 5. Kompanie war u. in der Schreibstube beschäftigt war. Er ist 59 Jahre alt. Er kam vor einigen Tagen u. bat um einen Rock, den er auch aus dem Volksopfer erhielt. Heute Morgen verabschiedete er sich, schwerbeladen mit Gepäck u. brachte mir den Korrekturabzug seines letzten Buches: „Wenn die Mittagshöhe des Lebens überschritten“, Untertitel: „Vom Aelterwerden, ohne zu altern“, verlegt bei Ernst Reinhardt in München 1944. Er gab mir seine Anschrift u. bat, daß ich ihm die Korrekturbogen später schicken möchte.

1/4 4 Uhr Nachm. Eben sagt mir Grete, Frl. Wernecke habe erzählt, daß sich auch Prof. Reinmöller u. Herr v. Knesebeck [3] der Bruder von Frau Garthe, der sich auf des Flucht hier befand, ebenfalls erschossen haben sollen. – In der Nacht scheinen sich noch andre üble Dinge abgespielt zu haben, besonders im Hause Hoffmann, wo die Russen Frauen mißbraucht haben sollen. Heute soll es auch zu Plünderungen in der Pension Charlottenhof von Frau Bertsch gekommen sein. Dieses sowohl wie die Plünderung des Ladens von Reichert geht offenbar zurück auf Anstiftung von Flüchtlingen, die die Russen dazu aufgefordert haben, weil Saatmanns wie auch Frau Bertsch bei diesen Flüchtlingen sehr unbeliebt sind, wohl nicht ganz ohne Grund.

     Mittags um 1 Uhr kam wieder Tross hier durch. Bei all diesen Wagen habe ich bisher noch nicht einen einzigen heereseigenen Wagen gesehen, es sind alles requirierte Bauernwagen, Droschken, Kutschwagen, Jagdwagen usw.

     Nach Tisch schlief ich etwas. Als ich eben aufwachte sah ich zwei Russen von hinten her aus dem Hause kommen. Grete kam rauf u. sagte mir, die beiden Kerle wären einfach ins Zimmer eingedrungen, hätten sich umgesehen u. sich übel benommen. Paul habe sie mit einigen Zigaretten abwimmeln können. Beide Kerle waren auf Fahrrädern, u. trugen Maschinenpistolen, wie fast alle Russen.

     1/2 7 Uhr Abends. Am Nachmittag fingen die Russen an, einzelne Schützenlöcher in der Düne zu bauen, mit je 2 Mann Besatzung. Grade vor uns an der Grenze zwischen Schorn u. uns haben sie sich eingegraben, mit der Front zur See. Was das für einen Sinn hat, ist unerfindlich.

     Es wird gesagt, daß die Engländer in Müritz-Graal seien u. es erhält sich weiter das Gerücht, daß die Russen hier wieder abziehen würden. Die Russen erzählen das offenbar selbst.

     Mehlis, der furchtbar unentschlossen ist, macht uns ziemlich nervös, da er nicht weiß, ob er bleiben soll, oder nicht. Einige Soldaten sagen, die Russen hätten verbreitet, daß alle Soldaten die Gegend verlassen müßten, andere wieder sagen, es hieße, sie könnten die Gegend verlassen. Die Russen haben noch keine offiziellen Bekanntmachungen erlassen. Es heißt zwar, daß in Wustrow ein Kommissar wäre u. in Althagen ein höherer Stab läge, aber zu sehen ist nichts. Frau Meisner war heute in der BuStu u. erzählte, daß ihre Mutter. Frau Geh Rt. Miethe, sehr schlecht von Russen behandelt worden sei. Frau Meisner wollte sich bei einer höheren Dienststelle, die in der Hoffnung untergebracht ist, beschweren. Dort befindet sich auch ein deutscher Kriegsgefangener als Dolmetsch u. dieser hat zu Frau Meisner gesagt, der General wohne in Ahrenshoop. Aber hier weiß niemand etwas von einem General.

     Um Mehlis aus seiner Unentschlossenheit herauszureißen, habe ich ihm zugeredet, los zugehen u. zu versuchen, nach Müritz zu den Engländern zu kommen. Er will das nun auch tun. Es hat für ihn ja keinen Zweck, hier herumzuliegen. Er fühlt sich hier unsicher u. diese Unentschlossenheit ist schlimm. Er muß irgend etwas tun, entweder gehen oder bleiben u. wenn er nicht mit innerer Sicherheit bleiben kann, ist es besser, wenn er geht, dann hat er wenigstens einen Entschluß.

     Es scheint nun so, als sei der Durchzug des Tross beendet. Die einzelnen Soldaten, die man jetzt sieht, scheinen richtige Infantristen zu sein.