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Es gelang mir nicht, ihm klar zu machen, daß dieser sog. römische Einfluß, sofern er überhaupt vorhanden sei, nur etwas ganz Aeußerliches u. Formales sei, daß vielmehr der Katholizismus schon im Mittelalter grade germanische Einflüsse stark in sich aufgenommen habe; aber die Unkenntnis des wahren Katholizismus einerseits u. die protestant. Voreingenommenheit andererseits verhinderten, daß er das einsehen konnte. – Er erzählte aber, daß eines Tages in Köln ein Prälat in seinem Atelier erschienen sei, um sich seine Sachen anzusehen. Dieser Prälat habe sich als ein ungemein gebildeter Mann erwiesen, der der modernen Kunst sehr aufgeschlossen gewesen sei. Er habe eine schöne Wohnung mit mittelalterlicher Kunst gehabt, aber über seinem Schreibtisch habe ein Bild von Picasso gehangen. Der Prälat, dessen Namen Marcks nicht nannte, ist gestorben. – Marcks gab zu, daß es solche Geistliche bei den Protestanten nicht gäbe. –

     Abends hörte ich die Verhandlung des englischen Unterhauses über die polit. Vorgänge in Athen. Churchill wurde von Abgeordneten der Labur-Partei scharf angegriffen. Seine Erwiderung war ganz ausgezeichnet. Er sprach ungemein klar u. logisch, ohne die geringste Rücksicht auf das Bündnis mit Rußland zu nehmen. Er erklärte, daß es einfach Ehrensache Englands sei, die rechtmäßige Regierung Papandreou mit allen Mitteln zu unterstützen gegen den Terror der Straße. Wenn das Unterhaus anderer Meinung sein sollte, würde er demissionieren. Die darauf stattgefundene Abstimmung ergab eine überwältigende Mehrheit für Churchill. Man konnte aus dieser Rede leicht den inneren Abscheu dieses Mannes vor dem russ. Bolschewismus erkennen, obgleich davon mit keinem Wort gesprochen wurde. Es wird nach diesem Kriege sehr interessant sein, wie die Engländer sich dann mit dem Bolschewismus auseinandersetzen werden, denn einmal muß das ja wohl kommen, – u. ohne einen neuen Krieg wird das wohl nicht gehen. –

     Heute in den frühen Morgenstunden ist die alte Frau Schorn gestorben, an Altersschwäche. Sie erlitt einen Ohnmachtsanfall u. wurde in ihrer Schlafstube am Boden liegend aufgefunden. Sie hat das Bewußtsein nicht wiedererlangt u. ihr Leben ist ganz langsam erloschen. Sie war eine gütige, alte Frau, die viel Leid in ihrem Leben getragen hat, das 84 Jahre währte.

Montag, 11. Dezember 1944.     

     Gestern sehr große Beteiligung an der Andacht. Auch Prof. v. Walter war da mit seinem Sohn Andreas, es waren zwölf Zuhörer. Wir feierten das Fest der Unbefleckten Empfängnis. Mittags wurde mir gesagt, daß bei den ostpr. Flüchtlingen ein Kind gestorben sei, die Familie sei katholisch u. wohnt im Hause Körthe. Ich ging am frühen Nachmittag hin u. traf die sehr sympathische, noch junge Mutter, die noch sehr unter dem Eindruck des ganz plötzlich u. unerwarteten Todes infolge Herzschwäche ihres Kindes, eines kleinen Mädchens von etwa 5 Jahren, stand, sich aber musterhaft beherrschte. Die Frau hat noch fünf andere Kinder, vier Buben u. noch ein kleines Mädchen, der Mann ist Tischler u. in Polen irgendwo in einem Rüstungsbetrieb.

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Hans Brass: TBHB 1944-12-09. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-12-11_001.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2024)