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inzwischen in amerikan. Hand gefallen sein. Ich hoffe nur, daß Fritzens Einheit wirklich so minderwertig ist, wie ich annehme, sodaß alle rechtzeitig getürmt sind. Die Franzosen bedrohen nun Mühlhausen vom Süden her u. damit die ganze Flanke. Wenn nicht rechtzeitig Verstärkungen eingesetzt worden sind, dann kann das bedrohlich werden. Aber woher Verstärkungen nehmen, wo man schon bei Metz alle Kräfte braucht u. dort schon Volkssturm eingesetzt worden ist, der vorher ganze acht Stunden lang militärisch ausgebildet worden war. Auch von den anderen Frontteilen kann nichts fortgenommen werden, man braucht vielmehr überall Verstärkungen. Es ist ja schon so, daß man einzelne motor. Divisionen wie die Feuerwehr bald hierhin, bald dorthin schickt, wo es eben grade brennt; aber jetzt brennt es überall. Wenn es so weitergeht, kann der Zusammenbruch doch früher kommen, als man denkt.

     Im Osten herrscht weiterhin unheimliche Ruhe bis auf Ungarn, wo immer noch um Budapest stark gekämpft wird. Aber auch hier muß es bald zum Zusammenbruch kommen, nachdem in der ungar. Armee Zwiespalt herrscht u. einige Divisionen bereits übergegangen sind u. besonders, nachdem das ungar. Volk vom Kriege nichts mehr wissen will u. auch die höheren Offiziere nicht mehr mitmachen wollen.

     Von Otto Wendt bekamen wir gestern Nachricht, daß sein Sohn Hans im Westen vermißt ist, daß aber mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, daß er unverwundet in englische Gefangenschaft geraten ist. – Otto Wendt sandte uns ein Verzeichnis seiner Wohnungseinrichtung u. sonstigen Besitzes zur Aufbewahrung.

     Gestern die neue Landschaft untermalt. Sehr farbig. Heute Nacht aufregend geträumt, sodaß Martha nebenan von meinem Stöhnen aufwachte u. mich weckte. Fühle mich heute nicht sehr wohl.

Donnerstag, 23. Nov. 1944.     

     Heute soll das Dorf wieder neue Einquartierung bekommen. Martha hat Betten u. Matratzen hergegeben, denn es fehlt überall am Notwendigsten. Vor allem ist keine Heizung da.

     Die Franzosen machen im Süden der Westfront rasche Fortschritte. Sie stoßen jetzt am linken Rheinufer nach Norden u. sollen bereits Colmar erreicht haben. Ich habe nur wenig Hoffnung, daß Fritz aus dem bei Belfort entstandenen Kessel herauskommen wird. Auch sonst wird an allen Teilen der Westfront erbittert gekämpft, sodaß nirgends Truppen abgezogen werden können. Diese Schlacht links des Rheines wird von allergrößter Bedeutung sein. Die Gegner sind uns zahlenmäßig weit überlegen, aber ihre materialmäßige Ueberlegenheit läßt sich kaum in Superlativen ausdrücken. Unser Vorteil ist das schlechte Wetter, die aufgeweichten Wege, Schlamm u. Morast; aber unsere strategische Lage ist sehr ungünstig. Wir stehen mit dem Rücken gegen den Rhein, sodaß der ganze Nachschub pausenlos unter dem Bombenhagel aus der Luft liegt, gegen den wir fast nichts unternehmen können. Die Zerstörung dieser Verbindungen wird dabei erst dann voll einsetzen, wenn sich die ersten Anzeichen unseres Rückzuges bemerkbar

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Hans Brass: TBHB 1944-11-21. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-11-23_001.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2024)