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Ein sehr bemerkenswertes Vorkommnis hat sich in Hamburg ereignet. Bei einem der letzten nächtlichen Fliegerangriffe war die Stadt hell erleuchtet. Die Lichter gingen erst nach u. nach straßenweise aus, nachdem die ersten Bomben gefallen waren. Dies ist die erste, große u. offene Sabotagehandlung im Reich, von der ich gehört habe, man kann erwarten, daß weitere Sabotageakte bald folgen werden. –

     Heute wurde Heinrich Meyer zu Grabe getragen.

     Von Pfr. Dobczynski Brief aus Greifswald. Der rührende Mann sorgt sich um uns. –

Donnerstag, 19. Oktober 1944.     

     Der Abgrund, in den Deutschland versinkt, öffnet sich immer grauenvoller. Gestern, am Jahrestage der Schlacht von Leipzig, fand in einer Stadt in Ostpreußen eine Kundgebung statt, bei welcher ein Aufruf des Führers zur Bildung eines „Volkssturmes“ verlesen wurde. Alle Männer zwischen 16 u. 60 Jahren, so weit sie wehrfähig sind u. nicht schon bei der Wehrmacht stehen, sollen zu bewaffneten Bataillonen zusammen gefaßt werden zur Verteidigung des Landes. Die Schießausbildung untersteht dem sog. Stabschef der SA, die ganze Organisation der einzelnen Gaue den Gauleitern, also nicht der Wehrmacht, sondern der Partei. Der Wehrmacht traut man wohl bereits nicht mehr. Heinrich Himmler, – ich weiß nicht, ob mit einem oder zwei m, führte die Bedeutung dieses Unternehmens in einer langen Rede aus, in der allein zu bewundern war, wie dieser Halunke es verstand, die Redeweise u. das Organ des Führers nachzuahmen. Dieser Kerl hat sicher mit nicht geringer Mühe erlernt, das rollend r des Führers nachzuahmen die lange Dehnung der Vokale u. vor allem den ganzen Tonfall. Er führte aus, daß dieser sog. Volkssturm die Aufgabe haben würde, jedes Dorf, jedes Haus, jeden Graben u. jeden Busch mit dem Gewehr zu verteidigen, besonders auch dann, wenn der Feind bereits das Land besetzt haben sollte. Es dürfe niemals Kapitulation geben. – Was also bei den anderen bisher als feiger u. hinterhältiger Heckenschützenkrieg genannt wurde, das soll uns jetzt zur Pflicht gemacht werden. – Nach diesem Schwätzer trat der Gauleiter von Ostpreußen, Koch, auf den Plan u. schrie und kreischte eine Rede herunter, als ob das Messer schon an seinem eigenen Halse säße. – Es mag wohl sein, daß er etwas Aehnliches fühlte.

     Damit ist denn also die entscheidende Maßnahme getroffen, die den vollständigen Ruin Deutschlands herbeiführen muß. Unsere Gegner werden dadurch direkt zur grausamen Ausrottung des Volkes gezwungen, ob sie nun wollen oder nicht, besonders, wenn es so gehen würde, wie Herr Himler es verlangt, daß nämlich notfalls auch Frauen u. Mädchen zum Gewehr greifen. Man kann nur hoffen, daß die überwiegende Mehrheit des Volkes diesen Wahnsinn nicht mitmachen wird, ja daß das Volk die Waffen umkehren u. diesen Verbrechern den Garaus machen wird.

Freitag, 20. Oktober 1944.     

     Gestern Mittag Erich Seeberg. Er wollte sich bei mir Rat holen, was er tun solle, wenn er zum Volkssturm eingezogen wird. Er wies mir seinen Militärpaß vor, nach dem er Divisionspfarrer ist u. somit eigentlich der

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Hans Brass: TBHB 1944-10-18. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-10-19_001.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2024)