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Abends waren wir allein zuhause, tranken Punsch, den wir im vorigen Jahre aus Thorn von Marthas Freundin Betty bekamen. Ich las „Galilei“ vor. Um 12 Uhr hörten wir die Glocken aus Westminster.

     Eine sehr interessante Version ist aufgetaucht. Unser Gesandter in Ankara, Herr von Papen, soll in der Türkei mit dem türkischen Außenminister ein Gespräch über den Abschluß eines Friedens begonnen haben. Dem Herrn v. P. ist das durchaus zuzumuten. Er ist ein Mann, der schon unter Hindenburg einmal Minister war, wenn ich nicht irre, war er sogar einmal Ministerpräsident u. als Hitler an die Regierung kam, knüpfte Hindenbg. die Bedingung daran, daß Herr v. P. eine einflußreiche Stellung in der Regierung bekam. Er was Vicepräsident oder so etwas Aehnliches, ist aber natürlich von den Nazis sofort an die Wand gedrückt worden. Als dann die große Mordaktion am 30 Juni eintrat, hieß es, daß er mit knapper Not dem Tode entronnen sei, seine Adjutanten wurden ermordet. Jetzt ist er schon ziemlich lange in der Türkei, wo er sich anscheinend viele Sympathien erworben hat, jedenfalls ist es wohl auch ihm zu danken, daß die Türkei neutral geblieben ist. In Ankara wurde einmal ein Attentat auf ihn verübt, ohne daß er verletzt wurde. Er scheint also Glück zu haben. Katholik ist er auch, er besaß früher die Zeitung „Germania“ – Sonst aber ist er eine etwas schwankende Erscheinung, er steht reichlich im Zwielicht. Er hat sich doch sehr mit den Nationalsozialisten eingelassen, wenngleich auch bekannt ist, daß er nicht deren Freund ist. Jetzt heißt es, daß er die Regierung übernehmen wolle, um Deutschland erst einmal verhandlungsfähig zu machen. Auch da würde er wieder im Zwielicht stehen, als ein Uebergang wie Kerenski. – Immerhin hat dieses Gerücht einige Wahrscheinlichkeit.

Montag, 3. Januar 1944     

     Gestern Nachmittag bei Krappmann. Wie immer sehr gemütlich und anregend. Sprachen von Politik, vom Untergang der Scharnhorst. K. war der Meinung, die Engländer hätten jetzt sehr weittragende Geschütze u. hätten die Scharnhorst beschossen, ohne daß diese die Engländer überhaupt zu Gesicht bekommen hätte. Das scheint mir sehr übertrieben, denn mit derartigen Ferngeschützen kann man schon wegen der Streuung nicht so genau schießen, daß man Aussicht hat, ein so kleines Ziel wie ein Schlachtschiff zu treffen. Außerdem müssen solche Ferngeschütze doch auch ihr Ziel ausmachen und dazu gehört, daß man das Ziel sieht. Aus dem Festlande ist das etwas anderes, ein feststehendes Ziel kann man berechnen, nicht aber ein bewegliches. Das ist also bestimmt Unsinn u. wenn er das sagt, dann ist das wieder ein Beweis, wie sonst kluge und urteilsfähige Fachleute oft falsch urteilen, weil ihr Urteil subjektiv ist. Er als Marine-Artillerist sucht nach den unmöglichsten Erklärungen für diesen Verlust, der ja in der Tat mit nichts zu rechtfertigen ist.

     Es war auch von der zu erwartenden Invasion die Rede. Die ganze Batterie hier soll dann infanteristisch eingesetzt werden, was natürlich wieder ein großer Unsinn ist, denn die Leute haben nicht die geringste infanteristische Ausbildung u. sind dem Alter nach letztes Aufgebot. K. ist der Ansicht, daß eine solche Invasion auch jetzt in den Wintermonaten denkbar sei, spätestens wohl im März. Das wird

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Hans Brass: TBHB 1944-01-01. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-01-03_001.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2024)