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Gottes, daß ich jetzt wieder hier sein darf u. wohl ziemlich lange bleiben werde. Was Gott damit bezweckt, weiß ich ja nicht u. das kann mir ja auch gleichgültig sein, Hauptsache ist nur, daß ich nicht innerlich träge bin, sondern daß ich alles begreife. –

     Ich begreife nun, daß dies ein Ort ist, der manches von meinem Wesen an sich trägt, was mich grüßt. Ich begreife auch, daß besonders die einfachen Leute, für die ich in meiner Amtszeit hier u. da etwas tun konnte, mich gern haben u. mich freundlich begrüßen u. ich begreife auch, daß die besseren Einheimischen, oder gar die Villenbesitzer, im Bogen um mich herumgehen u. mich ebenso mißtrauisch u. gar feindlich behandeln, wie in meiner Amtszeit. Bei diesen erfreue ich mich keiner Sympatie. – Was mir also hier entgegenkommt, das ist diese sehr rauhe Natur, die Bäume, die sich nur mühsam gegen Wind u. Wetter behaupten u. die einfachen, kleinen Leute, die sich ebenso mühsam durchschlagen, wie die Bäume. Was mir hier entgegenkommt, das ist eigentlich dasselbe, was mich aus dem wohlhabenden Westen Berlins nach dem Osten getrieben hat, es ist meine Liebe zu allem, was ein schweres, mühsames Leben hat, während die satte Behaglichkeit des Reichtums mich abstößt.

     Nun sehe ich in diesem Jahre mehr als früher die Verworfenheit dieses satten Behagens der sogenannten reichen Leute. Ich habe immer, auch in meiner Amtszeit, eine große Abneigung gehabt gegen diese Sommergäste, war aber gerade in meiner Amtszeit dazu verurteilt, für das Wohlergehen u. die Genußsucht gerade dieser Menschen zu sorgen. Ich tat es mit Freude nur insofern, als dadurch die Einheimischen Geld verdienten u. sie dadurch ein besseres Leben hatten. Indessen war der Erfolg davon nur der, daß auch sie durch höheren Verdienst moralisch geschädigt wurden, nicht zum Wenigsten durch die Unmoral u. Genußsucht der Sommergäste.

     Ich erkenne heute, daß dieses ein falscher Weg war. Den richtigen Weg hat mir der göttl. Heiland gewiesen in Seiner Bergpredigt. Er nennt die Armen, die Hungernden u. Dürstenden selig. Er weiß, daß es den Armen schlecht geht u. er könnte ihnen helfen, indem er weiter fortfuhr, das Brot wunderbar zu vermehren u. alle satt zu machen. Aber er tut es nicht. Er verweist sie auf die Demut, auf die Geduld, u. er nennt sie selig, wenn sie demütig u. geduldig sind, – nicht, wenn sie satt, reich u. übermütig sind.

     Heute Mittag klagte Frau Bertsch über die schlechte Saison u. meinte, daß dies nicht so wäre, wenn ich hier noch Gemeindevorsteher wäre. – Ich dachte dabei an den Heiland u. Seine Bergpredigt u. daß ich niemals mehr meine Kraft anstrengen würde, daß diese Leute Geld verdienen. Das ist es nicht, was diese Leute brauchen. Viele würden mich gewiß gern wieder als Gemeindevorsteher sehen, weil es ihr materieller, irdischer Vorteil ist, – wie bei der wunderbaren Brotvermehrung. Aber dazu bin ich heute nicht mehr zu gebrauchen.

     Nun aber: ist es vielleicht meine Aufgabe, den Leuten hier anderes zu bringen?

     Ich entsinne mich, daß ich, als ich noch in Friedenau wohnte, einmal einen ähnlichen Gedanken gehabt habe u. daß ich mich vor diesem Gedanken entsetzte. Ich hatte, damals große Furcht, Gott könne von mir verlangen, daß ich in dieser Gegend hier den Glauben an Ihn verbreiten solle u. ich bat Gott, Er möge solches nicht von mir verlangen.

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Hans Brass: TBHB 1936-06-28. , 1936, Seite 005. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-06-28_005.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)