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     Für den Ort ist der schlechte Fremdenbesuch zwar sehr nachteilig, für mich selbst ist die damit gegebene Stille äußerst angenehm. Wenn man nichts mit den Sommergästen u. den sonstigen Leuten zu tun hat, läßt es sich hier wirklich sehr gut leben, – nur ist es schade, daß Müritz so weit entfernt u. der Weg dorthin teilweise überaus schlecht ist.

     Die neue Oberin in Müritz ist eine schon betagte, sehr feine Frau mit einem feinen Gesicht u. schönen Händen, die aber offenbar sehr in sich gekehrt u. sehr ernst ist. Es ist nicht leicht, mit ihr ein Verhältnis zu bekommen, obschon sie sicher ein sehr gehaltvoller Mensch ist. Wir entbehrten daher sehr das warmherzige u. offene Wesen der Schw. Lioba, vor der man nicht so übermäßig viel Respekt zu haben braucht, wie vor dieser. Der Herr Rektor, der auch eine Weile bei uns war u. der mir in seiner fröhlich-frischen Art so sehr gefällt, sagte uns, daß der Wechsel bedingt sei durch Vorschrift des Ordens, daß aber Schw. Lioba in absehbarer Zeit wieder nach Müritz zurück kommen würde. Die jetzige Oberin ließ auch erkennen, daß es ihr auf ihrem bisherigen Posten in Neu=Brandenburg, wo jetzt Schw. Lioba ist, besser behagt hätte, als hier in Müritz. So wird also dieser Tausch wohl nicht von Dauer sein.

     Eigentümlicherweise kann ich nicht in Ahrenshoop sein, ohne zu fühlen, daß mich doch ein gewisses Heimatgefühl mit diesem Orte verbindet. Zehn Jahre habe ich hier gewohnt, vier Jahre war ich Gemeindevorsteher dieses Ortes, u. es ist eine ganze Masse hier, was ich gemacht, geschaffen u. eingerichtet habe. Ich habe der Gemeinde einen anständigen Bürgersteig gepflastert, habe teilweise Wege ausgebaut u. gut hergerichtet, habe an die 100 Bäume gepflanzt, habe der Gemeinde ein großes Grundstück mit einem Gemeindehaus gekauft u. letzteres eingerichtet, für die Schule habe ich moderne Schulbänke beschafft usw. – das sind doch alles Dinge, die nun weiterleben u. die mich grüßen, wenn ich komme. Am Wesentlichsten aber ist, daß ich in den ersten Nachkriegswintern, in denen ich hier allein u. abgeschlossen ein Einsiedler-Dasein führte, bereits den Grund gelegt habe zu meinem heutigen Glaubensleben. Ich wußte es damals nicht, – ich suchte u. grübelte, – ohne zu finden, – bis ich's aufgab u. mich in weltliche Unternehmungen stürzte, Marias Geschäft „Die Bunte Stube“ einrichtete u. nachher die Gemeinde führte. Und dann kam der große Rückschlag, – der Autounfall, das monatelange Schmerzenslager, Lückes tragischer Tod u. ein Sommer voll seelischer Qual u. Ungewißheit. – Damals wußte ich nicht, was ich wollte, – nur fort, – fort von hier, – von allem fort! Und so kam ich nach Berlin u. zu P. Albertus u. zum göttlichen Heiland, der mich in Seine liebenden Arme nahm u. mich nicht mehr los ließ. –

     Ich weiß heute zu genau, daß alles u. jedes, selbst das Geringste und Unscheinbarste meines Lebens mit Wissen u. durch Fügung Gottes geschehen ist u. es ist unmöglich, daß es nicht auch in Zukunft so sein sollte. Deshalb ist es ganz töricht, sich darüber Gedanken zu machen, was in der Zukunft sein wird, es wird genau so sein, wie Gott es will u. um so vollkommener, je weniger ich durch eigenes Tun Gottes Absichten störe. Aber grade deshalb ist es nötig, hellhörig u. feinfühlig zu sein, um auf das leiseste Zupfen Gottes am Rockärmel sofort zu reagieren u. Ihm zu folgen. Es ist nötig, daß ich mich offen halte jedem leisen Wink. Und so ist es ja zweifellos ein Wink

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Hans Brass: TBHB 1936-06-28. , 1936, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-06-28_004.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2024)