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nur dem Judas fehlt er ganz, weil dieser sich bereits aus der Gemeinschaft gelöst u. zurück in die Welt gegangen ist, während der Schein um das Haupt Christi bereits die zukünftigen Ereignisse vorausspiegelt. Es erscheint in ihm schon das morgen aufzurichtende Kreuz.

     Diese Heiligenscheine erheben diese Menschen aus der Sphäre des Irdischen in eine höhere Welt der Verklärung. Es wird das um so deutlicher durch das Fehlen des Scheins bei Judas. Alle Scheine sind gleich, d.h. sie sind gewissermaßen in gleicher Ebene horizontal gegliedert. Aber der Schein um das Haupt des Heilands liegt nicht in dieser Ebene, er schwebt darüber sowohl durch seine besondere, farbige Betonung, wie auch direkt dem Augenschein nach. Die Scheinlosigkeit des Judas aber liegt unter dieser Ebene. Diese Heiligenscheine sind also von symbolischer Bedeutung, auf die ich nicht verzichten kann. Sie bilden nämlich ein Kreuz. Die elf Scheine der Apostel bilden die Horizontale während der darüber erhöhte Schein Christi u. die Scheinlosigkeit des Judas die Vertikale bilden. Der Schein Christi ist die Spitze des vertikalen Kreuzesbalkens, die im Himmel ruht, während die Scheinlosigkeit des Judas den Fuß des Kreuzes andeutet, das in der Erde, im Irdischen, im Materiellen wurzelt. Die Scheine sind wesentliches Element des Bildes. Die Horizontale ist noch betont durch die Gliederung der Wandfläche u. durch den Tisch. –

     – So weit habe ich also versucht, Herrn F. die Bedeutung meiner Idee zu entwickeln. Ob er's verstehen wird, ist sehr fraglich. Ich habe ihm dann weiter gesagt: Was Ihnen das Fügelsche Bild so angenehm gemacht hat, ist natürlich der bestrickende Reiz, der in dem Bilde liegt. Das helle, elektrische Licht, das sich über Marmorwände, Menschen u. dunkelroten Plüsch ergießt, dazu die sammetblaue Sommernacht, – das alles sind Reize, die „die Augen kitzeln“. Aber finden Sie denn wirklich, daß man die erschütternd ernste u. heilige Stunde am Donnerstagabend zu einem solchen Augenkitzel herabwürdigen darf? Ist das nicht eine Profanierung u. bösestes Heidentum? Ist es dann nicht angebrachter, ein gut gemaltes Stilleben oder sonst ein profanes Bild an die Wand Ihres Speisezimmers zu hängen, welches dann allein dem sinnlichen Augengenuß dient?

     In meiner Skizze gibt es freilich weder solch bestrickende malerische Reize, noch sind meine Apostel elegante ältere Herren in römischen Togen u. frisierten Vollbärten, sondern sie sehen aus wie der arme Bruder Franz, der von allen Heiligen – wie man sagt – dem Heiland am ähnlichsten war. Diese Apostel aber können gut u. gern eine Stunde später am Ölberge irgendwo hinter die Büsche kriechen, um zu schlafen, während der göttliche Heiland im Garten seine erschütternde Stunde erleben wird. –

     So, – mit einigen stilistischen Verschiedenheiten, – habe ich also an Herrn Frank geschrieben. Ich nehme an, daß der gute Mann aus allen Wolken fallen wird u. nicht wissen wird, was er nun tun soll. Da er ja nach unseren Abmachungen nicht gebunden ist u. am Ende nichts zu bezahlen braucht, wenn ihm das Bild nicht gefällt, so mag es sein, daß er nichts einwenden wird, zumal er nicht in der Lage sein wird, Einwände zu erheben. Auch wird er sich wohl genieren, den Auftrag nun zurückzuziehen. Er wird ja bald antworten.

     Diese ganze Affäre ist immerhin recht interessant.

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Hans Brass: TBHB 1936-02-03. , 1936, Seite 009. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-02-03_009.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2024)