Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-36-02-03
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Entstehungsdatum: 1936
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Originaltitel: Montag, den 3. Februar 1936.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 3. Februar 1936
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1936-02-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 3. Februar 1936. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zehn Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Montag, den 3. Februar 1936.     

[1]      Am Sonnabend Vormittag machte ich Rektor Drüding einen Besuch, da ich erfahren hatte, daß er krank sein solle, obgleich ich ihn, wenn auch etwas unregelmäßig, in der Kapelle gesehen hatte. Ich brachte ihm um ihn zu zerstreuen, meine beiden letzten Holzschnitte mit, (Joh. d. T. u. Joh. Evang.) u. das Anbetungsbuch für die Kapelle, jedoch fand ich, – besonders mit den Holzschnitten, garkein Verständnis.

     Die Krankheit war, – so weit es sich um deren äußere Merkmale handelt, vorüber. Er sagte, er habe ganz ungewöhnlich heftige Schmerzen im Leibe gehabt u. der Magen habe Nahrungsannahme verweigert. Er sei in das Hedwigskrankenhaus gefahren u. habe sich vom Professor untersuchen lassen. Dieser habe eine sehr große Unregelmäßigkeit der Herztätigkeit festgestellt. Der Professor habe gemeint, daß wahrscheinlich auch sonstige organische Störungen daher rührten u. er habe ihm empfohlen, eine Woche lang ins Krankenhaus zur Beobachtung zu kommen, was der [2] Rektor nun auch tun wird. Er sah ziemlich elend aus u. ich hatte den Eindruck, daß sein Zustand ernst ist, wenngleich er sonst auch ganz vergnügt u. munter war u. meinte, daß er keinerlei Beschwerden mehr hätte. Ich fragte vorsichtig u. erfuhr, daß er als Rektor mit den Nationalsozialisten Schwierigkeiten gehabt habe. Er sei damals zur Untersuchung beim Kreisarzt gewesen, der ihm dann gesagt hat, er dürfe ihm den Befund der Untersuchung nicht mitteilen, er empfehle ihm aber, sich sofort pensionieren zu lassen. Wahrscheinlich hat dieser Arzt damals schon den Herzfehler festgestellt. Es ist möglich, daß dieser Fehler die Ursache zu anderen Störungen ist, – jedenfalls muß er sehr unter Verdauungsstörungen leiden, denn der Geruch seines Atems ist zuweilen so unerträglich, daß es schwer hält, in der Kapelle neben ihm zu sitzen, wenn er singt. Möge der l. Gott den sonst so guten u. liebenswürdigen Mann vor einem langen Leiden bewahren.

     Meine Unterhaltung mit ihm war für mich sehr anstrengend, da unsere sonstigen Interessen sich nur sehr lose berühren. Er gab mir aber zwei Bücher, die ich längst gern lesen wollte: Der „Rembrandtdeutsche“ von Momme-Nissen u. „Rembrandt als Erzieher“. Das letztere Buch habe ich flüchtig gelesen als ich etwa 24 Jahre alt war, ohne es damals zu verstehen, jetzt habe ich das Buch von Momme Nissen zu lesen begonnen u. bin davon ungemein gefesselt. Ich erkenne daraus mich selbst u. den Kampf meines Lebens – es ist derselbe Kampf, den Langbehn geführt hat nur daß jener ihn bewußt führte, – ich aber unbewußt. Langbehn entstammt bodenständigen Verhältnissen u. hat eine gründliche Bildung besessen. Seine Kindheit verlief noch in einer Zeit, in der das „Berlinertum“ noch nicht seinen verruchten Stempel auf das Geistesleben Deutschlands gedrückt hatte u. in seinen Lernjahren erlebte er dann diesen Prozeß. Ich aber bin in diesem „Berlinertum“, – in diesem preußischen Geiste, aufgewachsen, – in diesem Geiste, der allen Geist mit Kommißstiefeln niedertrampelt u. der gegenwärtig Orgien feiert. Von Bodenständigkeit ist bei mir keine Rede, nicht einmal über meine Familie weiß ich mehr, als bis zum Großvater. Dieser war väterlicherseits Politiker von fragwürdiger Färbung. Man hat mir erzählt, er sei der Sohn des Hofgärtners am königl. Schloß in Charlottenburg gewesen. Jedenfalls hat er studiert, besaß den Doktorgrad u. war sicher ein intelligenter Mann. Er hat viele Romane höchst unbedeutender Art geschrieben, die ich eine Zeitlang gesammelt, dann aber wieder verschleudert habe. Als Politiker gehörte er den sog. Freiheitskämpfern von 1848 an u. er mußte dann nach der Schweiz flüchten. Dort hat er als Journalist gelebt u. sich mit einer französischen Schweizerin verheiratet, von der ich nur weiß, daß sie sehr musikalisch gewesen sein soll. Sie ist die Mutter meines Vaters gewesen u. von dessen Schwester. Der Großvater ist dann aber wieder nach Berlin zurückgekehrt, nachdem er sich von seiner Frau hat scheiden lassen, – seinen Sohn, meinen Vater, nahm er mit sich, während seine Tochter, die Schwester meines Vaters, in Genf bei der Mutter verblieb. In Berlin begründete der Großvater dann die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, die heutige D.A.Z. u. war als Politiker sehr tätig. Er heiratete dann abermals ein Judenmädchen namens Oppenheim, ich selbst aber habe mit dieser Familie, die er begründete, niemals [3] mehr als ganz oberflächliche Verbindung gehabt, alle waren äußerst unsympathisch, jüdisch u. verkörperten so recht dieses widerliche Berlinertum. Den Großvater habe ich nie gekannt, er starb früh.

     Mein Vater ist dann preußischer Offizier geworden u. lebte gänzlich im Geiste dieses neuen Preußentumes, – nicht, weil er eine innere Neigung dazu hatte, sondern, weil ihm dieses Preußentum imponierte u. er zu charakterschwach war, um seine eigene Persönlichkeit zu bewahren, die diesem preußischen Geiste völlig entgegengesetzt war. So ist sein ganzes Leben leider eine einzige Unwahrheit gewesen. Auch meine Mutter ist dieser Unwahrhaftigkeit verfallen. Sie ist eine geborene Chevalier, ihr Vater war preußischer Oberstleutnant. Die beiden Brüder des Großvaters, den ich gut gekannt habe u. der weit entfernt war vom Preußentum, sind nach ihrer französischen Heimat zurückgewandert, – sie wurden französische Offiziere, sodaß im Kriege 1870/71, den mein Großvater als preußischer Offizier mitmachte, seine Brüder auf französischer Seite kämpften. Die Kinder dieser Brüder sind heute ebenfalls französische Offiziere, wie ich hörte, gehörten sie zur Besatzungsarmee, die nach dem Kriege das Rheinland besetzte. – Die Großmutter war eine französische Luxemburgerin, eine verwöhnte, stolze u. hochmütige Frau.

     So ist also schon meine Herkunft ohne Tradition, die sehr bald im Dunkel untertaucht. Geboren bin in in Wesel aus Zufall, weil mein Vater dort in Garnison stand, aber ich kann mich nur dunkel dieser meiner Geburtsstadt entsinnen, eher schon ist mir Kleve in Erinnerung, wo mein Vater eine zeitlang ein Kommando hatte. Dann kamen wir nach Berlin. Wir wohnten in der Kantstraße, Ecke Leibnizstraße, u. ich entsinne mich eines abscheulichen Gefühles von Furcht u. Fremdheit, das ich hier hatte. Später kam ich in die Vorschule in Charlottenburg u. habe von dieser Zeit nur ein einziges Gefühl von Grauen u. Abscheu im Gedächtnis. Dann zogen wir nach Hannover, wo es entschieden schöner war, als in Berlin; aber nun kam ich bald in's Kadettencorps nach Oranienstein, später nach Lichterfelde, so hörte also mit meinem 10. Lebensjahre jedes individuelle Eigenleben auf. Während meiner Kadettenzeit wurde mein Vater nach Dieuze in Lothringen versetzt, dann nahm er den Abschied u. zog nach Magdeburg, welches die verabscheuungswürdigste Stadt ist, die ich je im Leben kennengelernt habe. Seit meinem 10. Lebensjahre ist mir also jede Neigung zu einem individuellen Leben mit Stockschlägen, Ohrfeigen u. Fußtritten, welches die Erziehungselemente im preußischen Kadettencorps darstellten, ausgetrieben worden. Daneben lief eine geistige Knechtung unerhörtester Art u. eine Anerziehung eines dummen, bornierten Dünkels u. widerlichster Überheblichkeit über alles, was nicht Uniform trug. Die Schulbildung war mehr als mangelhaft.

     Es erscheint mir heute oft rätselhaft, woher ich den Mut genommen habe, – ja wieso ich überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, dieses Milieu zu verlassen, um Maler zu werden. Ich entsinne mich besonders aus der Zeit in Lichterfelde, daß in mir ein erbitterter, aber unterdrückter Haß bohrte gegen meine Vorgesetzten, die [4] ich nur als meine Peiniger u. als Folterknechte betrachtete u. die ich teilweise tief verachtete; aber andererseits war mir der dumme Stolz u. der Eigendünkel so tief eingeimpft worden, daß auch ich den Offiziersstand als den einzig würdigen ansah. In dieser Verfassung kam ich zuerst an die Kunstgewerbeschule in Magdeburg in einen Kreis von Schülern, der fast ausschließlich aus einem üblen Proletariat bestand. Diesen jungen Leuten wurde hier, ähnlich wie mir vorher im Kadettenkorps, ein dummer Stolz eingeimpft. Sie, die nichts weiter waren als brave Malergehilfen oder Tischler oder Buchdrucker oder Klempner, ihnen wurde ein alberner Dünkel eingebleut, als wären sie große Künstler u. Studenten u. die Zukunft Deutschlands. Nicht ein einziger von all diesen jungen Leuten ist später irgendetwas geworden, dagegen sind sie für ein vernünftiges Handwerk radikal verdorben worden.

     Nach zwei Jahren war ich von diesem Leben derart angeekelt, daß ich kurzer Hand nach Berlin ging u. nun ein grausames Leben begann im Kampfe gegen Hunger, Not u. Elend. Ich arbeitete auf einem Neubau als Anstreicherlehrling mit 10– Rm. Wochenlohn, bis ich infolge von Entkräftung einen äußerst schmerzhaften Rheumatismus bekam, wobei mich meine Zimmerwirtin, eine alte Hebamme u. leibhaftige Kuppelmutter pflegte. Ich rückte dann einfach nach München aus u. versuchte, bei Wilhelm von Debschitz zu arbeiten; aber unversehens geriet ich in jene ganz leichtsinnige Gesellschaft junger Künstler u. Studenten, die ihre Nächte im Simplizissimus bei Kathi Kobus verbrachten u. den Tag verschliefen. Nach einem knappen Jahre hatte ich auch das über, ging nach Berlin zurück u. begann hier mit anderen jenes zwecklose Bohèmeleben im Kaffee des Westens, stets ohne Geld, zuweilen ohne Wohnung. Es war ein ständiges Wandern am Abgrunde.

     In all diesen Jahren habe ich eigentlich nichts weiter getan, als gegen den Dünkel anzukämpfen, der mich selbst dann nicht verließ, wenn ich obdachlos im Tiergarten auf Bänken nächtigte – oder wenn ich sinnlos betrunken war. Es war ein Kampf um die Erkenntnis des Sinnes des Lebens, dessen Sinnlosigkeit gleichwohl überall offenbar war. Ich hätte gut u. gern nicht schlecht bezahlte Stellungen annehmen können. an Angeboten dazu fehlte es keineswegs; aber das war für mich schlechterdings unmöglich. Wenn ein junger Mensch sich plagen muß, um alles in sich totzuschlagen, was er bis dahin gelernt hat, einschließlich der Erziehungswerte, die er im Elternhause empfangen hat, dann ist er damit voll beschäftigt, – er kann nicht in harter Sklavenarbeit um Brot arbeiten. Es war eine Zeit, in der ich aber auch alles verachtete, – ich verachtete Vater u. Mutter, Lehrer u. jeden, der es überhaupt in diesen Verhältnissen zu etwas gebracht hatte. Achten tat ich nur die Vagabunden unter Brückenbögen, – aber auch hier, – u. nun zum Glück, – rettete mich mein Dünkel davor, mit diesen gänzlich unterzutauchen. So muß ich also am Ende sagen, daß der Dünkel meiner Erziehung mich zwar in diesen Kot gebracht hat, aber andererseits hat er mich auch davor bewahrt, darin zu verkommen. Und die eiserne Disziplin, in der ich erzogen [5] worden war, gab mir die nötige körperliche Kraft, um all das ohne ernste Schädigung der Gesundheit zu überstehen.

     Wenn ich dagegen den Werdegang eines Langbehn vergleiche, so muß ich doch sagen, daß dieser wie auf Rosen gewandelt ist. Er war aus sicheren, fest fundierten Verhältnissen hervorgegangen, – wenigstens geistig, wenn auch arm, – u. hatte als Rüstzeug eine vorzügliche Bildung mitbekommen, – damit konnte er den Kampf gegen den Ungeist der modernen Zeit schon aufnehmen, zumal dieser Ungeist damals gerade erst begann u. er selbst davon frei war. Ich hingegen bin in diesen Ungeist hineingeboren, habe keine Familientradition gehabt u. bin in diesem Ungeist erzogen worden. Ich hatte ja keine Vergleiche, denn auch meine Schulbildung war sehr mangelhaft, von Religion wußte ich fast nichts. Mir waren die Ziele als erstrebenswert vorgestellt worden die der Materialismus zu bieten hat: Geld, Stellung, Ansehen. Diesen Zielen strebte ich entgegen, aber ein innerer Widerwille davor versagte mir jeden Erfolg. Diese Erfolglosigkeit höhlte mein Selbstvertrauen aus u. kränkte meine dünkelhafte Eigenliebe. Ich konnte zudem diese Erfolglosigkeit nicht begreifen, weil es offenbar war, daß ich viel mehr Fähigkeiten besaß, als die Meisten, die ich kannte, u. die doch Erfolg hatten. So bin ich selbst ein Beispiel für die Richtigkeit alles dessen, was Langbehn vorausgesehen hat, – nämlich, daß dieses preußisch-berlinische Strebertum unbedingt zum Ruin des deutschen Volkes führen müsse. Dieses preußisch-berlinische Strebertum ist wahrhaftig die innerste u. eigentlichste Ursache des Weltkrieges geworden; u. das deutsche Volk hat nichts daraus gelernt. Heute feiert dieser preußische Geist wieder Orgien. –

     Der Sieg dieses Preußengeistes hat es mit sich gebracht, daß alles, was sonst noch an Gefühlswerten u. an Gefühlswärme im deutschen Volke lebt, ein verkümmertes u. verkitschtes Dasein führt. Wer noch Gefühlswärme besitzt, schämt sich dessen u. ist preußischer als die Preußen. Das ergibt eine fatale Verlogenheit auf allen Gebieten, sodaß man eine echte Gefühlsäußerung überhaupt kaum noch findet. Das macht sich besonders übel auf dem Gebiete der religiösen Kunst geltend. Was da auch gemacht wird, alles entbehrt den einfachen Geist schlichter u. inniger Frömmigkeit, u. so kommt es, daß man überhaupt nicht mehr künstlerisch produktiv sein kann auf diesem Gebiet. Die sog. „Kunstsachverständigen“ erkennen nur eine streng stilisierte verstandesmäßig durchkomponierte Arbeit an, die gemütlich kalt läßt – u. die Masse des Volkes hält sich fest an einer üblen, süßlichen Devotionalienkunst. Selbst ein Maler wie Schiestel, der dies sehr wohl fühlt, verfällt diesem Ungeist, weil er sonst einfach keine Abnehmer für seine Bilder findet. Leider zieht er es vor, Abnehmer zu finden.

     In dieser Lage bin ich selbst nun dumm daran, nachdem ich es übernommen habe, für Herrn Paul Frank aus Hindenburg ein Abendmahl zu malen. Er hat mir gesagt, daß er die Bilder des Malers Fügel sehr hoch schätzt, es ist das wohl der erfolgreichste, katholische Maler, – u. er ist so erfolgreich, weil er den platten Instinkten des Publikums in geradezu schamloser Weise entgegenkommt. Ich habe nun in der letzten Zeit versucht, mich wenigsten gedanklich [6] mit diesem Problem auseinanderzusetzen u. bin zu dem Resultat gekommen, daß ich diese Aufgabe nicht zu lösen vermag, es sei denn Herr Frank verzichtete restlos auf seinen eigenen Ungeschmack u. ließe mir ganz freie Hand. Ich glaube zwar nicht, daß er dieses tun wird, aber ich muß wenigstens den Versuch machen. Zu diesem Zweck habe ich am Sonnabend vier kleine Bildchen zusammen gepackt, die ich vor einem Jahre noch in Friedenau gemalt habe u. habe ihm diese geschickt. Er mag daraus ein wenig erkennen, wie ich male. Das eine Bildchen stellt die Mutter Gottes mit dem Jesuskinde dar, das zweite die für die Sünden der Welt betende Ecclesia u. das dritte Christus als Weltenrichter mit dem Baume, der gute Früchte bringt u. mit dem dürren Baum u. mit dem Wolfe im Schafspelz. Das vierte Bildchen ist eine Skizze für ein Abendmahl, wie ich es mir denke. Dazu habe ich ihm folgenden, ausführlichen Brief geschrieben:

     Was nun das Abendmahl betrifft, so habe ich einige Studien u. Versuche gemacht, ohne bisher zu einem auch nur annähernd befriedigenden Resultat gekommen zu sein. Da dieser negative Erfolg neben meiner eigenen, künstlerischen Unzulänglichkeit auch in dem seinen Grund findet, was Sie mir über Ihre Wünsche sagten, so glaube ich, gut zu tun, wenn ich Ihnen einmal ganz ehrlich meine Anschauung über dieses Thema mitteile, ehe ich fruchtlos weiterarbeite.

     Sie sagten mir, daß ein Abendmahlsbild von Fügel Ihren besonderen Beifall fände. Ich bin deshalb (leider), in eine Kunsthandlung gegangen u. habe mir eine Reproduktion dieses Bildes gekauft. Es ist möglich daß Fügel mehrere Abendmahlsbilder gemalt hat, ich selbst interessiere mich nicht für ihn, kenne kaum etwas von ihm, u. besitze nun diese Reproduktion, von der ich einmal annehmen möchte, daß sie nicht das Bild ist, welches Sie meinen. Ich brauche dann nämlich nicht höflich zu sein in Rücksicht auf Sie, sondern kann frisch von der Leber weg sagen, was ich denke, wie es sich für einen Künstler von Gewissen geziemt.

     Das in Rede stehende Bild zeigt einen mit reicher Pracht ausgestatteten Konferenzaal eines internationalen Hotels. Wände u. Fußboden aus kostbarem Marmor, zwischen imponierenden Säulen blickt man hindurch in eine sammetblaue Sommernacht. Der Ort muß irgendwo an der Riviera im Zentrum des Fremdenverkehrs liegen.

     Von der Decke dieses Saales hängt eine prachtvolle Krone herab, eine nach unten offene Bronzeschale, die vielfach durchbrochen u. mit farbigen Gläsern geziert ist. Aus dieser Bronzeschale flutet eine reiche Wucht von Licht nach unten über diese Abendmahlsscene, die von seltsamen Leuten dargestellt wird. Ich sage: „dargestellt“, denn es müssen Akteure sein, die dort ein lebendes Bild stellen, keinesfalls kann es sich um den göttlichen Heiland selbst u. seine zwölf Jünger handeln, – die Pracht des Saales u. die Lichtkrone beweisen das. Nach unten flutendes Licht ist technisch nur bei elektrischer Beleuchtung möglich, u. diese hat es damals nicht gegeben.

     Diese Akteure nun sitzen oder bewegen sich um eine mit weißem Linnen gedeckte Tafel herum auf Polstersesseln aus rotem Plüsch. Alle sind außerordentlich erregt. Es scheint, als ob jener, der in der Mitte den Heiland darstellt, soeben eine Mitteilung von weittragender politischer u. wirtschaftlicher Bedeutung gemacht hat, denn die Erregung der Leute ist [7] kaum noch zu steigern. Etwa: „Italienkrieg verloren, Revolution ausgebrochen, Mussolini ermordet, der Heilige Vater geflohen.“ (Gott möge uns bewahren!)

     Das ist der Eindruck, den ich von jenem Bilde habe. Ich sage mir, daß es wirklich nicht jenes Abendmahl sein kann, das Sie von mir gemalt zu sehen wünschen u. wende mich vom Bilde ab u. dem Evangelium zu. Dort ist ja nicht von einem solchen Prunksaal die Rede, sondern nur von einem Obergemach, – zwar einem großen, aber doch eben nur von einem Gemach. (Mk. 14,15 u. Lk. 22,12) Die Tischpolster, von denen die Rede ist, sind keine Plüschsessel, sondern nur die auch heute noch im Orient üblichen Liegepolster am Fußboden.

     In diesem Gemach setzt sich der Heiland mit den Zwölfen zu Tisch u. spricht zu ihnen von Dingen, die die Zwölfe nicht recht verstehen (Mt 26,20.29. – Mk. 14, 17.25. Lk. 22,14 – 18 u. 24 – 30.) Sie wundern sich wohl ein wenig, aber schließlich sind sie daran gewöhnt, daß ihr Meister zuweilen von Dingen spricht, die sie nicht fassen können. Sodann gibt es eine kleine Unordnung, indem es dem Heiland einfällt, seinen Jüngern die Füße zu waschen (Joh. 13,3 – 11), ein Vorgang, den man sich beim Fügelschen Bilde nicht vorstellen kann, ohne daß ein Kellner erscheint u. die Herren auffordert, solche Ungehörigkeiten gefälligst zu unterlassen.

     Danach setzt sich der Heiland wieder hin u. spricht in jener rätselhaften Weise vom Verrat des Judas. Es heißt, daß die Jünger darüber traurig geworden wären (Mt. 26,22. Mk. 14,19) – sie ließen also die Köpfe hängen u. begannen, untereinander zu fragen, wer von ihnen wohl der wäre? (Luk. 22,23.) – Es ist also auch hier nichts von der lärmenden Erregung des Fügelschen Bildes zu spüren, vielmehr sind alle traurig u. tuscheln untereinander, wie wir sagen würden, denn keiner von den Jüngern verstand den Meister (Joh. 13,28.) Petrus tuschelt dem Jonannes etwas ins Ohr (Joh. 13,24) u. Johannes lehnt sich an die Brust des Meisters u. fragt leise: „Wer ist es?“ (Joh. 13,25) –

     Nun folgt die eigentliche Einsetzung der Eucharistie. Sie wird erzählt Mt. 26,26 – 28 – Mk. 14,22 – 24 – Lk. 22,19.20. – I Kor. 11,24 – 26., – schlicht, einfach, ruhig, ohne dramatisches Gepolter, ohne Erregung, ohne Lärm, ganz kurz, je 2 – 3 Verse. Die Jünger verstehen ja noch garnicht die Bedeutung, sie sind sich garnicht bewußt, daß Jesus hier ein Sakrament einsetzt, denn sie glauben ja noch nicht einmal wirklich an die göttliche Sendung Jesu, das alles kommt ja erst viel später! –

     Etwas lebhafter wird danach das Gespräch durch die Vorhersage Jesu der Verleugnung des Petrus, wenn man Johannes folgen will, der dies Ereignis hierher setzt. Mt. 26,31 – 35, Mk. 14,27 – 31. Lk. 22,31 – 34 u. Joh. 13,36 – 38, – aber keineswegs erhebt sich dabei ein ungebührliches Gelärm. Die Jünger haben vielmehr mäuschenstill den Worten des Meisters gelauscht, der, – wie ich denke, – gern leise u. ruhig sprach, nicht laut u. aufgeregt. Der Heiland hat dann noch Vieles geredet in seiner leisen, gütigen Art. Da ist die Schwertrede Luk. 22,35 – 38, dann die wundervollen Trostworte Jesu Joh. 14,1 – 31, 15,1 – 27 u. 16,1 – 33, alles Worte u. Reden, die der Heiland leise u. traurig zu seinen lauschenden Jüngern sprach, u. endlich das feierliche, hohepriesterliche Gebet Joh. 17,1 – 26.

     So ist es gewesen nach dem schlichten Bericht des Evangeliums. Wenn es Maler gibt, die aus diesem einfachen Vorgang eine prunkvolle Theaterszene machen, u. wenn die Kirche dazu schweigt, so bin ich nicht berufen, ein Urteil zu fällen. Ich selbst aber bin meinem Gewissen verpflichtet, mehr als einer, der nur [8] Maler von Beruf ist. Ein solcher muß aus seiner Tätigkeit notwendig einen Gelderwerb machen u. darum Dinge malen, die den Leuten gefallen, u. leider läßt sich nicht leugnen, daß viele Maler das Evangelium bewußt verfälschen, um den Leuten zu gefallen. Ein solcher Maler sollte sich bewußt sein, daß sein Werk eine große Verantwortung trägt, denn wenn sein Werk unwahr ist, so trägt es diese Unwahrheit hinaus ins Volk. Die gewinnbringende Gefallsucht vieler Künstler hat es tatsächlich schon so weit gebracht, daß man „die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern nach eigenen Gelüsten sich Lehrer über Lehrer nimmt, (in diesem Falle Künstler), lüstern nach dem, was den Ohren (Augen) angenehm ist. Von der Wahrheit wird man das Ohr (Auge) wegwenden, Fabeln aber wendet man sich zu.“ (II Tim. 3,3) In diesem selben Briefe beschwört der hl. Paulus seinen Schüler Timotheus, er solle sich nicht des Zeugnisses über unsern Herrn schämen (1,8). –

     Und so will auch ich mich nicht dieses Zeugnisses schämen, um den Leuten zu gefallen, sondern ich will bekennen, daß mein Heiland sich nicht schämte, Knechtsgestalt anzunehmen u. im Stalle von Betlehem geboren zu werden. Er hatte nichts, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes in Jerusalem hat er mit seinen Jüngern Nacht für Nacht auf dem Ölberge irgendwo hinter Büschen geschlafen, Lk. 21,37 u. diesen Schlupfwinkel hat er gewohnheitsmäßig auch nach dem letzten Abendmahl wieder aufgesucht. Dort wurde er dann von den Polizisten mit Fackeln u. Knütteln aufgestöbert, wie man Gesindel unter Brückenbögen aufstöbert. Wer da glaubt dieses Bild des Heilands in eine Salonfigur umfälschen zu müssen, „lüstern nach dem, was den Augen angenehm ist“, der hat das mit sich selbst abzumachen. Ich kann das nicht.

     So weit ist mein Brief an Herrn F. negative Kritik am Fügelschen Bilde. Ich fahre dann fort:

     Um dieses (Kritisieren) nun nicht bloß im negativen Sinne zu tun, sondern um einen positiven Vorschlag zu machen, sende ich Ihnen anbei eine kleine Skizze, die ich damals machte, als Sie zum ersten Male an mich herantraten. Ich bitte Sie, diese Skizze nur als allgemeine Fixierung einer Idee aufzufassen, keinesfalls ist sie im Detail zeichnerisch richtig oder endgültig. Aber sie zeigt die allgemeine Gesinnung, von der ich ausgehen muß u. von der allein ich nur ausgehen kann!

     Es sind hier dreizehn Menschen um einen Tisch gruppiert, auf harten Holzschemeln sitzend, deren ruhige Aufmerksamkeit auf den Einen gerichtet ist. Dieser Eine, sonst ein Mensch wie seine Genossen, für Fremde nicht weiter auffällig, scheint in diesem Augenblick von innen durchleuchtet zu sein vom göttlichen Geiste, der geheimnisvoll in ihm ist, sodaß ein Schein davon sein Haupt umleuchtet. Die Tischgesellschaft ist aber keineswegs eine zufällige gesellige Zusammenkunft von Menschen, sondern es handelt sich um ein einmaliges Geschehnis in der Geschichte dieser Welt. Deshalb ist das Haupt eines jeden umgeben von einem Heiligenschein, durch den sofort offenbar wird, daß es sich um etwas besonderes handelt. Alle haben denselben Heiligenschein, [9] nur dem Judas fehlt er ganz, weil dieser sich bereits aus der Gemeinschaft gelöst u. zurück in die Welt gegangen ist, während der Schein um das Haupt Christi bereits die zukünftigen Ereignisse vorausspiegelt. Es erscheint in ihm schon das morgen aufzurichtende Kreuz.

     Diese Heiligenscheine erheben diese Menschen aus der Sphäre des Irdischen in eine höhere Welt der Verklärung. Es wird das um so deutlicher durch das Fehlen des Scheins bei Judas. Alle Scheine sind gleich, d.h. sie sind gewissermaßen in gleicher Ebene horizontal gegliedert. Aber der Schein um das Haupt des Heilands liegt nicht in dieser Ebene, er schwebt darüber sowohl durch seine besondere, farbige Betonung, wie auch direkt dem Augenschein nach. Die Scheinlosigkeit des Judas aber liegt unter dieser Ebene. Diese Heiligenscheine sind also von symbolischer Bedeutung, auf die ich nicht verzichten kann. Sie bilden nämlich ein Kreuz. Die elf Scheine der Apostel bilden die Horizontale während der darüber erhöhte Schein Christi u. die Scheinlosigkeit des Judas die Vertikale bilden. Der Schein Christi ist die Spitze des vertikalen Kreuzesbalkens, die im Himmel ruht, während die Scheinlosigkeit des Judas den Fuß des Kreuzes andeutet, das in der Erde, im Irdischen, im Materiellen wurzelt. Die Scheine sind wesentliches Element des Bildes. Die Horizontale ist noch betont durch die Gliederung der Wandfläche u. durch den Tisch. –

     – So weit habe ich also versucht, Herrn F. die Bedeutung meiner Idee zu entwickeln. Ob er's verstehen wird, ist sehr fraglich. Ich habe ihm dann weiter gesagt: Was Ihnen das Fügelsche Bild so angenehm gemacht hat, ist natürlich der bestrickende Reiz, der in dem Bilde liegt. Das helle, elektrische Licht, das sich über Marmorwände, Menschen u. dunkelroten Plüsch ergießt, dazu die sammetblaue Sommernacht, – das alles sind Reize, die „die Augen kitzeln“. Aber finden Sie denn wirklich, daß man die erschütternd ernste u. heilige Stunde am Donnerstagabend zu einem solchen Augenkitzel herabwürdigen darf? Ist das nicht eine Profanierung u. bösestes Heidentum? Ist es dann nicht angebrachter, ein gut gemaltes Stilleben oder sonst ein profanes Bild an die Wand Ihres Speisezimmers zu hängen, welches dann allein dem sinnlichen Augengenuß dient?

     In meiner Skizze gibt es freilich weder solch bestrickende malerische Reize, noch sind meine Apostel elegante ältere Herren in römischen Togen u. frisierten Vollbärten, sondern sie sehen aus wie der arme Bruder Franz, der von allen Heiligen – wie man sagt – dem Heiland am ähnlichsten war. Diese Apostel aber können gut u. gern eine Stunde später am Ölberge irgendwo hinter die Büsche kriechen, um zu schlafen, während der göttliche Heiland im Garten seine erschütternde Stunde erleben wird. –

     So, – mit einigen stilistischen Verschiedenheiten, – habe ich also an Herrn Frank geschrieben. Ich nehme an, daß der gute Mann aus allen Wolken fallen wird u. nicht wissen wird, was er nun tun soll. Da er ja nach unseren Abmachungen nicht gebunden ist u. am Ende nichts zu bezahlen braucht, wenn ihm das Bild nicht gefällt, so mag es sein, daß er nichts einwenden wird, zumal er nicht in der Lage sein wird, Einwände zu erheben. Auch wird er sich wohl genieren, den Auftrag nun zurückzuziehen. Er wird ja bald antworten.

     Diese ganze Affäre ist immerhin recht interessant. [10] Ich bin gezwungen, meine Stellung diesem religiösen Kitsch gegenüber einmal genau abzugrenzen u. meine eigene Stellung zu verteidigen. Das dient zur Klarheit. Dieses Bild von Fügel u. all die andern, ähnlichen Bilder sind Produkte unserer, von Langbehn geahnten Zeit. Es ist darin der Stil Wilhelms II, hohler Pomp u. leere Pracht, gedankenarm u. ohne Empfindung für Würde. Dieser Stil treibt heute wieder Blüten im Luftfahrt=Ministerium u. anderen Erzeugnissen. Vor einem Jahre erzählte mir ein Kaufmann, daß seine Firma Bleischnüre zur Beschwerung von Fahnen für eine nationalsozialistische Veranstaltung zu liefern hätte, u. zwar 30 Kilometer! – In diesem Jahre war derselbe Auftrag wiederum fällig, aber diesmal 60 Kilometer.

     Am Sonnabend Nachmittag traf ich mich mit Maria, um mit ihr gemeinsam zu P. Albertus beichten zu gehen. Sie hat immer noch ihre schwere Not damit, aber P. Albertus hat ihr liebevoll u. verständnisvoll geholfen, u. so kam sie ganz selig aus dem Beichtstuhl wieder heraus.

     Sonntag waren wir zusammen im Hochamt bei P. Albertus, der wieder wundervoll predigte. Ein herrlicher Mann u. Priester. Maria hatte dann Besuch von ihrer Kusine Martha Bahnson aus Hamburg, die abends wieder zurück fuhr. Diese hat durch ihre Schwester eine lose Verbindung zur sog. Christlichen Wissenschaft. Ich habe mir davon erzählen lassen.

     Sie ist die Tochter eines pensionierten evangelischen Pastors aus Hamburg, der, wie mir scheint, selbst ganz glaubenslos ist, – so sagt sie wenigstens. Diese Christl. Wissenschaft hat immerhin das Gute, daß sie solche Menschen, die zunächst nicht den Weg zur kathol. Kirche finden können, wenigstens bei einer Art von Religion festhält. Nach dem, was ich gestern hörte, scheint es mir, als ob in diesem Sinne das Gute das Schlechte überwiegt; aber Martha B. sagte doch, daß sie die Lehren u. Anschauungen dieser Gesellschaft nicht kritiklos hinnehmen könne. Und das ist eben richtig. Zwar lehren die Leute im großen Ganzen nicht viel anderes (so weit ich gehört habe) als wie katholisches Glaubensgut; aber es ist eben eine rein menschliche Gesellschaft, die ihre Lehre als materielle Wissenschaft vorträgt. Es fehlt da eben jede Autorität, es ist menschliche Wissenschaft, die man annehmen oder ablehnen kann. Angenommen wird sie restlos natürlich nur von unselbständigen u. kritiklosen Menschen. –