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abwesend ist, ein Kaplan Fuchs da – ein Ungar, der, – ich weiß nicht aus welchem Grunde, – hier in Berlin ist. Ich kenne ihn auch sonst. Er ist ein außerordentlich lebhafter u. fröhlich=zuversichtlicher Mensch, der seine Sache mehr mit dem Temperament als mit Beschaulichkeit macht. Er sollte für P. Maurus das Chorgebet leiten u. er machte es mit viel Temperament, aber ohne jede Innerlichkeit. Es war ein im Eilzugstempo heruntergeleiertes Gebet, das niemandem Freude machte, – wohl auch Gott nicht!

     Ich habe irgendwie Sehnsucht. Wonach? Ich weiß es nicht. Ich glaube, daß ich sehr glücklich sein würde, wenn der l. Gott mir erlauben würde, zu sterben. Ich habe Heimweh nach der Ruhe Gottes. –

Montag, den 21. Oktober 1935.     

     Gestern habe ich zum ersten Male am Sonntag von Maria keine Post bekommen. Sie hatte mir geschrieben, daß sie mir zum Sonntag ein Päckchen schicken wolle, aber auch bis heute früh ist weder ein solches, noch sonst eine Nachricht von ihr eingegangen. Es ist das immerhin so ungewöhnlich, daß ich etwas in Unruhe bin.

     Gestern schrieb ich außer an Maria an meine Mutter u. an Frl. O. in Hannover. –

     Vor längerer Zeit hat ein Mann Namens Gottschling, oder ähnlich ein übles Pamphlet auf die kathol. Orden geschrieben. Der Mann ist Doktor juris u. war Bürgermeister in Thüringen u. ist dann zu den Dominikanern nach Warburg gegangen, wo er unter dem damaligen Novizenmeister P. Benedikt Momme-Nissen sein Noviziat durchmachte. P. Momme-Nissen erzählte mir schon damals, als er Hausgeistlicher in St. Dominikus-Krankenhaus in Hermsdorf war u. ich ihn dort besuchte, mit bedenklicher Sorge von diesem Manne. Inzwischen hat er denn auch tatsächlich den Orden verlassen u. jenes Buch geschrieben, das an Schmutzigkeit der Gesinnung nichts zu wünschen übrig läßt. Die Nationalsozialistische Presse scheut sich aber deshalb nicht, diesen Lumpen zu glorifizieren, – um die kathol. Orden zu treffen.

     Hier u. da liest man Besprechungen dieses Buches, u. kürzlich las ich eine solche, in der besonders hervorgehoben wurde, daß der Verfasser des Buches die geistige Unfreiheit der Ordensleute gebrandmarkt habe. Die Ordensleute bekämen sogar die Gedanken vorgeschrieben, die sie zu denken hätten. Wenn man schon Nationalsozialist ist, kann man nicht gut etwas Dümmeres sagen, denn nirgends auf der Welt ist die Privatmeinung u. das eigene Urteil verpönter, als grade bei den Nationalsozialisten. Es ist wirklich merkwürdig, wie die unfreisten Knechte ihre eigene Unfreiheit garnicht bemerken, sich aber über die Unfreiheit anderer entrüsten.

     Es ist aber ein Unterschied zwischen dem, was Dr. Gottschling eigentlich damit meint, u. dem, womit die Nationalsozialistische Presse Propaganda macht. Diese meint nämlich den verhaßten „Dogmenzwang“ der kathol. Kirche, der dem Dogmenzwang der nationalsozialistischen Partei so sehr im Wege ist während Dr. G. ganz einfach die Freiheit des liberalen Menschen meint, der denken kann, was er will u. für den eben Religion Privatsache ist. Wie sich Dr. G. das gedacht haben mag, als er als reifer, verantwortungsbewußter Mann in einen Orden eintrat, ist einigermaßen unerfindlich; aber mich interessiert die ganze Sache nur deshalb, weil ich in mir dann u. wann verwandte Gedanken entdecke. Dieser meiner eigenen Meinung über die Dinge entspringt ja meine so leicht rege Kritik, u. hier liegt auch die Ursache, warum ich zuweilen mit solch heftigem Protest mich den allgemeinen Veranstaltungen u. äußerlichen Gebräuchen entziehe, die P. Petrus so liebt. Solche Sachen sind suggestiv, sie wirken auf die Herde, u. ich selbst bin zu stolz mich solcher Suggestion leicht auszuliefern. Ich weiß nicht, ob das etwas Schlechtes ist. Es ist immerhin Stolz u. Hochmut, der da am Werke ist. Dieser war früher so stark, daß mich die geistige Minderwertigkeit alter Betschwestern, die ja nun einmal in jeder Kirchengemeinde sein müssen, entsetzlich plagte. Es tat meinem Stolz sehr weh, mich mit diesen Leuten in eine Bank zu setzen u. mit ihnen das Gleiche zu tun. Diesen Stolz habe ich auch heute noch

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Hans Brass: TBHB 1935-10-19. , 1935, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-10-21_001.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2024)