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unverständiges Kind. Sie begreift nicht so recht, was Gott ist; aber sie hat einen einfachen, naiven Willen zu Gott u. damit ist Gott in seiner Barmherzigkeit ganz sicher zufrieden.

     Sie schreibt mir nun heute, daß sich in ihren Geldverhältnissen seit Weihnachten eine große Veränderung zugetragen habe, indem sie nämlich ihr kleines, erspartes Kapital zu gleichen Teilen an meine beiden Schwestern ausgezahlt habe. Sie will mir damit sagen, daß ich auf die 20,– Rm., die sie mir regelmäßig monatlich schickt, nur so lange rechnen kann, wie sie noch lebt u. so lange sie nicht krank wird, denn sie entnimmt diese 20,– Rm. ihrer Witwenpension.

     Dies ist also des Rätsels Lösung für den Besuch, den meine gute Schwester Grete ihr zu Weihnachten gemacht hat. Sie hat sich gedacht, daß es besser ist, die Erbschaft bereits zu besitzen, wenn die Mutter stirbt, – denn nachher ist es doch unangenehm, wenn geteilt werden soll u. ich nichts bekomme. Wenn dann garnichts da ist, dann ist es nicht mehr peinlich. Und deshalb hat Grete, – um ihr schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, – davon gesprochen, daß ich zu Weihnachten von der Mutter ein so erhebliches Geldgeschenk bekommen würde, – was ich dann aber garnicht bekam. Sie hat sich das einfach in ihrer Fantasie so zurechtgemacht. – Die gute Grete! – Ich freue mich so oft, wie sie sich zu ihrem Vorteil verändert hat; aber im Grunde seines Herzens u. seines Charakters ändert sich ein Mensch eben niemals. Dieses ist die Grete die ich seit meinen frühesten Kindertagen kenne. Mag sie sehen, wie sie mit ihrer Anlage fertig wird. – Schade ist nur, daß die kleine Schwester Elsbeth Kausel sich am heimlichen Komplott beteiligt hat. Das wird sie innerlich sicher bedrücken u. ich verstehe jetzt, warum sie in dem einen einzigen Brief, den ich seit Weihnachten von ihr bekommen habe, so merkwürdig gereizt ist. Das böse Gewissen ist halt immer eine schlimme Sache.

Mittags war Fritz Wegscheider da. Ich gab ihm einige Bilder mit Ahrenshooper Motiven mit, da er heute wieder nach Ahrenshoop zurückgefahren ist. Vielleicht kann man die Bilder dort im Sommer verkaufen. Wir aßen bei Maria.

     Heute ist es noch um etwas kälter draußen, als in den letzten Tagen.

Sonnabend, den 9. März 1935.     

     Bis zum Mittag wurde ich heute mit der dogmatischen Kartei fertig. Es war eine erhebliche Arbeit, die mir nun als Grundstock dienen kann für weiteres Spezial-Studium. Nachdem ich das ganze Gebiet der Dogmatik im vorigen Herbst, Winter u. Frühjahr an Hand der Dogmatik von Bartmann einmal durchgearbeitet hatte, habe ich nun in diesem Winter noch einmal das ganze Pensum karteimäßig wiederholt, sodaß ich nun eine wirklich sichere Grundlage habe, auf der ich weiter bauen kann.

     Von Schwester Elsbeth Kausel aus Magdeburg bekam ich einen Brief, der – Gott sei's gedankt, – wieder Möglichkeiten zur Verständigung bietet. Im Widerspruch zu ihrem letzten Brief, in dem sie mir erklärt hatte, daß sie „Deutsche Christin“ sei, schreibt sie nun, daß sie nicht wisse, ob sie sich zu den Deutschen Christen rechnen solle, oder nicht. – Dann ist also noch nicht alles verloren! sie schreibt mir, daß sie sich unablässig bemühe, ihr Tun u. Lassen unter Gottes Willen zu stellen u. daß Abends ihr letzter Gedanke u. Morgens ihr erster Gedanke Gott sei, u. sie habe das Bewußtsein von der Gegenwart Gottes. Verwirrt u. angewidert von dem Kirchengezänk der evangelischen Pastoren habe sie sich entschlossen, sich nur an das zu halten, was Jesus Christus lehrt. –

     So weit ist das alles ja sehr schön. Aber wie will solch ein schwacher, kleiner Mensch die wahre Lehre erkennen, ohne Autorität der Kirche? Das Ende dieses Liedes wird dann wieder sein, wie es bei allen Protestanten ist: jeder ist sich selbst Autorität, jeder trägt seinen subjektiven Gottesbegriff in sich selbst. Ich werde versuchen, dies zu verhindern, indem ich ihr das kathol. Kirchenblatt

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Hans Brass: TBHB 1935-03-08. , 1935, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-03-09_001.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2024)