Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1935-03-08
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1935
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Freitag, den 8. März 1935.
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 8. März 1935
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen! Allgemeine Hinweise dazu findest du in der Einführung.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

Bearbeiten

Der Artikel TBHB 1935-03-08 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 8. März 1935. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

Bearbeiten
[1]
Freitag, den 8. März 1935.     

[1]      Brief von meiner Mutter, die sich über meinen Brief vom Aschermittwoch sehr gefreut zu haben scheint. Sie ist dankbar, wenn ich ihr schreibe u. damit die Eintönigkeit ihrer alten Tage etwas belebe. Sie schreibt, daß sie ihr Alter recht sehr fühlt. Die Gedanken gehen ihr, wie sie schreibt, oft fort und bleiben fort, sodaß sie zuweilen das Einfachste nicht zusammenbringen kann, u. sie leidet darunter sehr.

     Freilich ist es schlimm für die alte Frau, die ihr ganzes Leben eigentlich neben dem Leben hergelebt hat u. niemals zur Wirklichkeit, – nicht einmal zur natürlichen Wirklichkeit gekommen ist. Die Großmutter war eine schöne Frau, aber eine oberflächliche Gesellschaftsdame, französische Luxemburgerin – der Großvater ein braver u. gutmütiger, blauäugiger Franzose, wenngleich auch als Emigrant in Deutschland erzogen u. deutscher Offizier. Er hieß Emil Chevalier u. hat es bis zum Oberstleutnant gebracht. Er war Festungsbaumeister in Wesel, – er gehörte zum Pionier-Corps, – und in Wesel lernte die Mutter den Vater kennen, als sie 17 Jahre alt war. Der Vater war damals Leutnant im Infantrie-Regiment 57. Die Mutter muß ein sehr reizendes junges Mädchen gewesen sein, sie sieht heute noch kindlich mädchenhaft aus; aber sie war erzogen auf den oberflächlichen Luxusstil jener Zeit. Mit 18 Jahren hat sie den Vater geheiratet, völlig gedankenlos, tändelnd, in dem Glauben, das Leben sei ein einziger Spaß.

     Sie hat zwar bitter lernen müssen, daß dem nicht so ist; – aber begriffen hat sie das bis auf den heutigen Tag noch nicht. Es war eine bitterböse Schule, die sie durchmachen mußte, nachdem mein leider etwas leichtfertiger Vater sein ganzes Geld vertan u. darüber hinaus noch recht leichtfertige Schulden gemacht hatte. Auch er war schließlich ein Kind seiner Zeit, ich kann ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er keinen ernsteren Charakter besaß. Er war bei all dem ein ehrenhafter, anständiger u. sehr gutmütiger Mann, dem die Wirklichkeit des Lebens letzten Endes ebenso fremd u. unverständlich geblieben ist, wie der Mutter. Beide waren richtige Dilettanten. Nur daß es mein Vater verstand, mit Optimismus u Sorglosigkeit selbst durch die schwierigsten Situationen hindurch zu kommen, während die Mutter schwermütig wurde. Aber wieso das alles so war u. so hat kommen müssen, das versteht sie heute noch nicht. Sie ist heute noch überzeugt, daß sie selbst, wie auch der Vater, mit hervorragendem Verständnis das Leben gemeistert hätte, – wenn nicht eben dieses Leben so ganz anders gewesen wäre. Sie sieht wie ein naives Kind die Tragik ihres Lebens darin, daß sie selbst u. der Vater alles richtig gemacht haben, jedoch war das Leben verkehrt. Wäre das Leben richtig gewesen, – d.h. wäre das Leben so gewesen, wie sie sich gedacht hatte, daß es sein müsse, – dann wäre ihrer Meinung nach alles gut gegangen, – so aber hat eben das Leben versagt, nicht sie selbst.

     Und nun sitzt die alte Frau, seitdem sie Witwe ist, da und grübelt darüber nach, warum das Leben eigentlich verkehrt war, u. sie kann zu keinem Resultat kommen, weil sie garnicht auf den Gedanken kommt, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Dadurch verbittert sie natürlich, denn sie empfindet das verkehrte Leben als eine bittere Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren ist. – Das ist ein rechter Jammer, denn man kann ihr garnicht helfen. Es ist das Resultat dieses geistigen Hochmuts, den der Protestantismus notwendig hervorbringen muß. Die Wichtigkeit der eigenen Person steht zu sehr im Vordergrunde, als daß sie davon absehen könnte. In ihrem Leben war Gott irgend so ein Wesen, zu dem man beten konnte, wenn es einem schlecht ging, aber dieses Beten war mehr eine geistige Zerstreuung, als wie ein Vertrauen. Man konnte auch ebensogut lyrische, sentimentale Gedichte lesen. Sie betete nicht zu Gott in kindlichem Vertrauen, sondern mehr, um sich eine wohltuende Gemütsbewegung zu verschaffen.

     Jetzt im Alter ist das wohl anders geworden. Sie hat hier doch wohl eingesehen, daß Gott mehr ist, als sie dachte; aber ein rechtes oder vielmehr ein geordnetes Verhältnis zu Gott hat sie auch heute noch nicht. Aber sicher ist es hinreichend. Sie steht vor Gott wie ein [2] unverständiges Kind. Sie begreift nicht so recht, was Gott ist; aber sie hat einen einfachen, naiven Willen zu Gott u. damit ist Gott in seiner Barmherzigkeit ganz sicher zufrieden.

     Sie schreibt mir nun heute, daß sich in ihren Geldverhältnissen seit Weihnachten eine große Veränderung zugetragen habe, indem sie nämlich ihr kleines, erspartes Kapital zu gleichen Teilen an meine beiden Schwestern ausgezahlt habe. Sie will mir damit sagen, daß ich auf die 20,– Rm., die sie mir regelmäßig monatlich schickt, nur so lange rechnen kann, wie sie noch lebt u. so lange sie nicht krank wird, denn sie entnimmt diese 20,– Rm. ihrer Witwenpension.

     Dies ist also des Rätsels Lösung für den Besuch, den meine gute Schwester Grete ihr zu Weihnachten gemacht hat. Sie hat sich gedacht, daß es besser ist, die Erbschaft bereits zu besitzen, wenn die Mutter stirbt, – denn nachher ist es doch unangenehm, wenn geteilt werden soll u. ich nichts bekomme. Wenn dann garnichts da ist, dann ist es nicht mehr peinlich. Und deshalb hat Grete, – um ihr schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, – davon gesprochen, daß ich zu Weihnachten von der Mutter ein so erhebliches Geldgeschenk bekommen würde, – was ich dann aber garnicht bekam. Sie hat sich das einfach in ihrer Fantasie so zurechtgemacht. – Die gute Grete! – Ich freue mich so oft, wie sie sich zu ihrem Vorteil verändert hat; aber im Grunde seines Herzens u. seines Charakters ändert sich ein Mensch eben niemals. Dieses ist die Grete die ich seit meinen frühesten Kindertagen kenne. Mag sie sehen, wie sie mit ihrer Anlage fertig wird. – Schade ist nur, daß die kleine Schwester Elsbeth Kausel sich am heimlichen Komplott beteiligt hat. Das wird sie innerlich sicher bedrücken u. ich verstehe jetzt, warum sie in dem einen einzigen Brief, den ich seit Weihnachten von ihr bekommen habe, so merkwürdig gereizt ist. Das böse Gewissen ist halt immer eine schlimme Sache.

Mittags war Fritz Wegscheider da. Ich gab ihm einige Bilder mit Ahrenshooper Motiven mit, da er heute wieder nach Ahrenshoop zurückgefahren ist. Vielleicht kann man die Bilder dort im Sommer verkaufen. Wir aßen bei Maria.

     Heute ist es noch um etwas kälter draußen, als in den letzten Tagen.