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wäre nur eine unschuldige poetische Idee. Als sie pflichtgemäß an meinen Worten zweifelten, begann ich mit Thränen der Wehmuth: „Wenn ich ein Spitzbube, oder Demagog, oder Communist, oder Freigeist, oder sonst eine gefährliche Person wäre: würde ich mich nicht sehr sorgfältig zu verhüllen suchen, statt daß ich jetzt, wie dieser Trikot beweist, meine unverdächtigen irdischen Formen Preis gebe? Meine Herren, ich bin nichts mehr und nichts weniger, als eine mythologische Figur. Kronos ist mein Name und eine Droschke mein Unglück. Ich bin ein verlornes Stück aus einer Allegorie, das betheure ich Ihnen auf mein Ehrenwort!“

Mein theuerer Leser! Es ist sehr schwer, über seinen eigenen Schatten wegzuspringen; aber noch schwerer ist es, einen verdachtschöpfenden Polizeidiener von Tugend und Unschuld zu überzeugen, besonders, wenn man als poetische Idee verkleidet ist; denn von poetischen Ideen ist die Polizei durchaus nicht eingenommen. Erst nachdem man in meiner Wohnung und im Hause des Jubilars beruhigende Erkundigungen eingezogen, ward ich der Freiheit wieder gegeben und fuhr wohlverhüllt und in den Winkel gedrückt nach Hause.

Aber das Fest war gestört. Die Jahreszeiten mußten ohne mich auftreten; die Cherubim und Seraphim verloren die Geduld und schrieen; und die Ewigkeit blieb, wie mir später der Herbst sagte, zweimal stecken. Der Frühling hat mir seit jener Zeit seine Gunst gänzlich entzogen und nur mit dem Herbst steh’ ich einigermaßen noch in freundlichem Verhältniß. –

O ich könnte dreißig Bände in Kirchenthürformat schreiben und würde dennoch nicht Raum genug für alle jene kleinen Unglücksfälle haben, die mich schon heimgesucht. Aber ein großes Unglück, ein Unglück, das ich von meinen Ahnen geerbt, ein Unglück, das nur dereinst mit mir begraben wird, ja, ein großes Unglück ist – mein Name. Ich heiße Fischer. – Wundere dich nicht, theuerer Leser, daß ich diesen schönen und höchst wohlklingenden Namen für ein Unglück halte. Er könnte, ich weiß es, viele gleichnamige Menschen glücklich machen; mich aber, den Pechvogel par excellence, bringt er aus einer Unannehmlichkeit in die andere. Wie wenig Menschen gibt’s in Deutschland, die nicht Fischer heißen und wie viele Fischers unter diesen Menschen begehen nicht dumme Streiche! Ach, und die meisten dummen Streiche, welche die meisten dieser Fischers in der Umgegend begehen, kommen gewöhnlich auf meine Rechnung. Es kommt ein Schneidersjunge mit einer Rechnung; ich bebe zurück, ich lese: „Für rückständige Beinkleider von Ostern fl. 45. Um endliche Bezahlung wird gebeten.“ Ich untersuche die merkwürdigsten Epochen und Perioden meiner Garderobe; es finden sich keine rückständigen Beinkleider darunter. Es war ein Irrthum; ich bin mit einem andern Fischer verwechselt worden. –

Ich bin mit den wichtigsten Arbeiten beschäftigt, als plötzlich die Thüre aufgeht und eine Dame mit falscher Vorderseite und einem kolossalen Pariser Hinterhalt unter tausend Verbeugungen vor mich tritt. Sie nennt sich. Sie heißt Amalia Zeisig-Campofiore; sie ist erste Bravoursängerin von der Scala in Mailand. Ich glaub’ es; der Glaube macht sie selig. Sie setzt sich hin und schlägt einen solch gewaltigen Triller, daß mein Spiegel Krämpfe kriegt und mein Sopha vor Schrecken zittert. Sie schlägt noch einen Triller; sie singt eine ganze Arie. Ich fragte, was sie zu mir führt. Statt der Antwort singt sie:

„Schleudre, Himmel, vom Wolkensitze
Deine Donner, deine Blitze!“

Nachdem sich dieses melodische Gewitter verzogen, fängt sie, statt mir zu antworten, abermals zu singen an. Die ganze Unsterblichkeit Donizettis, Bellinis, Halevis und Aubers schmettert in mein Ohr. Endlich fragt sie erschöpft: „Wie gefall’ ich Ihnen? Auf Ihr Urtheil darf man bauen, denn Sie sind als Musikkenner und scharfsinniger Kunstrichter allgemein berühmt.“ Ich lächle und gebe ihr in diplomatischen Redensarten meinen Beifall zu erkennen. „Nun, wenn ich Ihnen gefalle, Herr Doctor,“ lispelt die fahrende Nachtigall, „so darf ich hoffen, daß Sie mich in Ihrem weitverbreiteten Blatte dem Publikum empfehlen.“

„Ich redigire kein Blatt,“ antworte ich. – „Sind Sie nicht der Doctor Fischer?“ fragt sie. „Ja,“ seufze ich; „aber der Redakteur des Blattes ist ein anderer Doctor und ein anderer Fischer.“ –

Die Sängerin verläßt das Zimmer, nachdem sie mir meine Ohren versungen. Ich war wieder vertauscht worden. –

Vor einigen Monaten geh’ ich in ein Kaffeehaus. Es war schon vier Uhr Nachmittags und dennoch hatte ich den ganzen Tag kein Unglück erlebt. Kaum setze ich aber die Tasse an den Mund, als mehrere Lieutenants mit den heftigen Worten auf mich zukommen: „Warum lassen Sie Ihren schlechten Witz an dem Militär aus? Warum, Herr, suchen Sie die Lieutenants lächerlich zu machen?“

„Ich?“ frag’ ich erstaunt.

„Wer anders als Sie?“ schrieen die Krieger. „Haben Sie etwa nicht den hämischen Artikel in der „Melpomene“ verfaßt?“

„Ich kenne das Blatt gar nicht,“ versichere ich, und bald ergibt sich, daß ich wieder mit einem andern Fischer verwechselt worden bin.

Ich will den Leser durch Aufzählung aller durch meinen unglückseligen Namen mir widerfahrenen Unannehmlichkeiten nicht ermüden, das aber steht fest: ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich einen andern Namen hätte. Ich mache in dieser Beziehung wahrhaftig gar keine großen Ansprüche. Ich wollte gar keinen fürchterlichen oder heroischen Namen. Ich wollte nicht Löwe, Wolf, Bär, Adler oder Geier heißen; ich wollte gar keinen fleischfressenden Namen besitzen, ich würde mich recht gern mit einem zahmen Stall- oder Hausviehnamen, mit Schaf, Ochs, Hammel, Lamm, Hase und Hühnlein begnügen; ja, ich würde mit Schlosser, Maurer, Töpfer, Weber, Seiler, Schuster, Schneider oder einem andern banausischen Namen schon sehr zufrieden sein. Aber Fischer heißen zu müssen, das ist fürchterlich.



Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 085. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/89&oldid=- (Version vom 15.9.2021)