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Frau, der auch noch unsere Neigung für sie gegen uns zu Hilfe komme, sei von vornherein verloren; die Männer würden immer die wehrlose Beute der überlegenen Gewandtheit, List und Verschlagenheit sein, die vom harmlosesten Backfischchen wie von der reifsten Frau gegen sie ins Feld geführt werde, und es komme nur darauf an, zu verhüten, daß man nicht eine gar zu komische Rolle in dieser kleinen, ewig neuen niedlichen Posse spiele und sich wenigstens nicht von plumpen und abgebrauchten Listen fangen lasse. Damit war ihm denn die dringendste Veranlassung zur Vorsicht und zum Mißtrauen gegeben, gerade weil er von der idealsten Auffassung des Liebesbundes zwischen Mann und Weib geleitet ward, gerade weil er wußte, daß er eine Neigung sehr ernst nehmen und seinerseits jede Berechnung, jede List, jeden Kunstgriff verschmähen würde. Zwischen zwei Menschen, die sich die Hand reichen wollten, durfte kein Hintergedanke möglich sein, sonst war von vornherein rettungslos entweiht, was heilig sein sollte, und je öfter er mit einem halb spöttischen, halb melancholischen Lächeln sah, wie zwei Liebende einander mit mehr oder weniger Geschick die von der Sitte geforderte Komödie vorspielten, desto fester gelobte er sich, auf seiner Hut zu sein. War es doch schon dahin mit dem einsamen Träumer und Grübler gekommen, daß er für sich kaum noch an eine normal verlaufende Liebesneigung dachte; eine solche hätte ihm nach seiner Meinung keine Bürgschaft dafür geboten, daß heiße, unbezwingliche Liebe — und sie allein! — es war, die ihm den Besitz der Geliebten verschaffte, und er glaubte, echte, unzweifelhafte Liebe nur noch in Verhältnissen finden zu können, die jede selbstsüchtige Rücksicht ausschlossen und die nicht mit der Ehe befriedigend enden konnten. Sein Herz verlangte nach süßer Leidenschaft, nicht nach den lahmen, zahmen Empfindungen, die in einem gewöhnlichen Verlöbnis großgezogen zu werden pflegen, und solche Leidenschaft entzündet sich doch gewöhnlich erst am grausamen, unvernünftigen, höhnischen Widerstand zufälliger Verhältnisse; Hölderlins schöne Worte: „Des Herzens Welle schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände,“ waren auch in diesem Sinne sein Wahlspruch.

Von all diesen Gedanken und Zweifeln hin- und hergeworfen, kam er nach einem langen, angreifenden Nachtmarsch ermattet heim und dann saß er noch lange, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt, am Fenster, bis Proud, sein treuer Hund, sich neben ihn setzte und mit der heißen, rauhen Zunge die schlaff herabhängende Hand leckte, als flöße ihm der Gemütszustand seines Herrn Besorgnisse ein. Er streichelte das mächtige Tier über den breiten, glatten Kopf und sagte: „Du hast recht, es ist spät und ich sollte versuchen, den ganzen Spuk zu verschlafen — das ist ja schon so manchesmal geglückt und wird auch heute nicht fehlschlagen!“

Auch an den Damen des Kommerzienrats war der Abend nicht ganz spurlos vorübergegangen. — Fräulein Emmys kleine, rosige

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_43.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)