Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin VIII
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin. Erster Band. Tübingen 1797; J. G. S. 68–72
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: Cotta'sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: www.hoelderlin.de
Kurzbeschreibung:
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[68-69]

HYPERION AN BELLARMIN.


Kannst Du es hören, wirst Du es begreifen, wenn ich Dir von meiner langen kranken Trauer sage?

     Nimm mich, wie ich mich gebe, und denke, dass es besser ist zu sterben, weil man lebte, als zu leben, weil man nie gelebt! Neide die Leidensfreien nicht, die Gözen von Holz, denen nichts mangelt, weil ihre Seele so arm ist, die nichts fragen nach Regen und Sonnenschein, weil sie nichts haben, was der Pflege bedürfte.

     Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glüklich, ruhig zu seyn mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste. Gönnen kann man’s euch; wer ereifert sich denn, dass die bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn der Pfeil sie trift, und dass der hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an die Wand wirft?

     Nur müsst’ ihr euch bescheiden, lieben Leute, müsst’ ja in aller Stille euch wundern, wenn ihr nicht begreift, dass andre nicht auch so glüklich, auch so selbstgenügsam sind, müsst’ ja euch hüten, eure Weisheit zum Gesez zu machen, denn das wäre der Welt Ende, wenn man euch gehorchte.

     Ich lebte nun sehr still, sehr anspruchslos in Tina. Ich liess auch wirklich die Erscheinungen der Welt vorüberziehn, wie Nebel im Herbste, lachte manchmal auch mit nassen Augen über mein Herz, wenn es hinzuflog, um zu naschen, wie der Vogel nach der gemalten Traube, und blieb still und freundlich dabei.

     Ich liess nun jedem gerne seine Meinung, seine Unart. Ich war bekehrt, ich wollte niemand mehr bekehren, nur war mir traurig, wenn ich sah, dass die Menschen glaubten, ich lasse darum ihr Possenspiel unangetastet, weil ich es so hoch und theuer achte, wie sie. Ich [70-71] mochte nicht gerade ihrer Albernheit mich unterwerfen, doch sucht’ ich sie zu schonen, wo ich konnte. Das ist ja ihre Freude, dacht’ ich, davon leben sie ja!

     Oft liess ich sogar mir gefallen, mitzumachen, und wenn ich noch so seelenlos, so ohne eignen Trieb dabei war, das merkte keiner, da vermisste keiner nichts, und hätt’ ich gesagt, sie möchten mir’s verzeihen, so wären sie dagestanden und hätten sich verwundert und gefragt: was hast du denn uns gethan? Die Nachsichtigen!

     Oft, wenn ich des Morgens dastand unter meinem Fenster und der geschäftige Tag mir entgegenkam, konnt’ auch ich mich augenbliklich vergessen, konnte mich umsehn, als möcht’ ich etwas vornehmen, woran mein Wesen seine Lust noch hätte, wie ehmals, aber da schalt ich mich, da besann ich mich, wie einer, dem ein Laut aus seiner Muttersprache entfährt, in einem Lande, wo sie nicht verstanden wird - wohin, mein Herz? sagt’ ich verständig zu mir selber und gehorchte mir.

     Was ist’s denn, dass der Mensch so viel will? fragt’ ich oft; was soll denn die Unendlichkeit in seiner Brust? Unendlichkeit? wo ist sie denn? wer hat sie denn vernommen? Mehr will er, als er kann! das möchte wahr seyn! O! das hast du oft genug erfahren. Das ist auch nötig, wie es ist. Das giebt das süsse, schwärmerische Gefühl der Kraft, dass sie nicht ausströmt, wie sie will, das eben macht die schönen Träume von Unsterblichkeit und all’ die holden und die kolossalischen Phantome, die den Menschen tausendfach entzükken, das schafft dem Menschen sein Elysium und seine Götter, dass seines Lebens Linie nicht gerad ausgeht, dass er nicht hinfährt, wie ein Pfeil, und eine fremde Macht dem Fliehenden in den Weg sich wirft.

     Des Herzens Wooge schäumte nicht so schön empor, und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schiksal, ihr entgegenstände.

     Aber dennoch stirbt der Trieb in unserer Brust, und mit ihm unsre Götter und ihr Himmel.

     Das Feuer geht empor in freudigen Gestalten, aus der dunkeln Wiege, wo es schlief, und seine Flamme steigt und fällt, und bricht sich und umschlingt sich freudig wieder, bis ihr Stoff verzehrt ist, nun raucht und ringt sie und erlischt; was übrig ist, ist Asche.

     [72] So geht’s mit uns. Das ist der Inbegriff von allem, was in schrökendreizenden Mysterien die Weisen uns erzählen.

     Und du? was frägst du dich? Dass so zuweilen etwas in dir auffährt, und, wie der Mund des Sterbenden, dein Herz in Einem Augenblikke so gewaltsam dir sich öffnet und verschliesst, das gerade ist das böse Zeichen.

     Sey nur still, und lass es seinen Gang gehn! künstle nicht! versuche kindisch nicht, um eine Ehle länger dich zu machen! - Es ist, als wolltest du noch eine Sonne schaffen, und neue Zöglinge für sie, ein Erdenrund und einen Mond erzeugen.

     So träumt’ ich hin. Geduldig nahm ich nach und nach von allem Abschied. – O ihr Genossen meiner Zeit! fragt eure Aerzte nicht und nicht die Priester, wenn ihr innerlich vergeht!

     Ihr habt den Glauben an alles Grosse verloren; so müsst, so müsst ihr hin, wenn dieser Glaube nicht wiederkehrt, wie ein Komet aus fremden Himmeln.