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Düne; dann ein Wildbach im Hochgebirge, der strudelnd dahinschießt, durch und über die Felstrümmer in seinem Bett und auf dessen beschäumte Flut düstere Tannen ihre grünen Schatten werfen; weiter, eine einsame Schänke auf öder Pußta und ein Forsthaus im deutschen Buchenwald; ein Aquarell gab die Erstürmung des Kapellenberges bei Trautenau durch die Oesterreicher wieder. Und dort hing ein österreichischer Jägerhut, in dessen schwarzgrün schillerndem Federbusch kaum eine Feder ungeknickt war und durch den eine preußische Kugel ihren Weg genommen hatte, und an der Wand bildeten ein verbogenes Bajonett, ein dicht überm Heft abgebrochener Reitersäbel, ein Karabiner und ein von Pallaschhieben zerhämmerter preußischer Dragonerhelm mit anderen Waffenstücken eine Trophäe. In einer Ecke des Zimmers lehnte eine prächtig Sheffielder Büchse, über dem Bett hing ein Revolver, vor dessen Berührung Frau Meiling ausdrücklich gewarnt ward — eine überflüssige Ermahnung, denn sie hatte wider alles Schießgewehr eine tiefe Abneigung, und daß ihr sanfter Mietsmann ihr so gefährliche Dinge in ihr ruhiges Haus brachte, war ihr eigentlich gar nicht lieb. Um so besser gefielen ihr die zahlreichen exotischen Schmetterlinge, die in hübschen polierten Kästen hinter Glas ihre farbenprunkenden Flügel breiteten, und die ausgestopften Vögel auf dem Schrank, die an Pracht der Farbe und Seltsamkeit der Zeichnung mit den Faltern, Seglern und Schwärmern wetteiferten. Und wie viele Bücher waren zum Vorschein gekommen und füllten, sorgsam geordnet, die Abteilungen des Bücherschranks! Frau Meiling hat später einmal ein wenig in diesen Büchern gestöbert, aber es dauerte recht lange, bis sie endlich einmal ein deutsches Buch fand, und auch diese deutschen Bücher klappte sie sehr rasch wieder zu; Historisches, Kulturgeschichtliches, Volkswirtschaftliches neben Lessing und Goethe und einigen modernen Poeten, vor allem Herwegh und Freiligrath — das war nichts zum Vorlesen an den Winterabenden, und da alles andere englisch, französisch oder italienisch war, so bekam sie einen tiefen Respekt vor der Gelehrsamkeit des jungen Mannes, der nun ihrem mütterlichen Schutze anbefohlen war und den zu bemuttern ihr ein Herzensbedürfnis war, seit sie wußte, daß seine Mutter kurz nach seiner Geburt, sein Vater wenige Jahre später gestorben sei, daß ihn ein strenger und mürrischer Vormund erzogen und ihn sich selber überlassen habe, sobald er im stande war, für sich zu sorgen, und daß er ohne Geschwister oder nähere Verwandte so recht mutterseelenallein auf der Welt stehe. Sie sagte sich freilich, für einen so schmucken, jungen Mann fänden sich zehn für eine, die bereit seien, ihn aus der Vereinsamung zu erlösen, und er brauchte sich nur nach den Mädchen umzusehen, aber seltsamerweise schien es, als sei er auch in dieser Beziehung ganz anders, als seine Altersgenossen; sie wußte genau, daß manches hübsche Bürgermädchen, deren Eltern „auch etwas in die Milch zu brocken hatten“, ihrem schlanken Mieter zu Gefallen ging und eine Besorgung gerade in die Zeit verlegte, zu der er nachdenklich aus dem Comptoir nach Hause schlenderte, oder geradezu einen Umweg machte,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_16.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)