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sich des ihren fast wie eines körperlichen Gebrechens geschämt und ihren Eltern kindisch erbitterte Vorwürfe gemacht und manche Thräne darüber vergossen, daß die „himmlische“ Marlitt zu jener Zeit noch nicht Mode gewesen — ihre Mama hätte dann doch gewiß so viel Takt gehabt, sie Felicitas oder Else oder Gisela zu nennen. Endlich hatte sie auf den Rat einer klugen Freundin durch Aenderung des a in y dem abscheulichen, plebejischen Namen etwas Schliff gegeben und ihn leidlich zugestutzt und Papa — nun, er konnte zwar beim besten Willen nicht einsehen, wodurch die eine Form von der anderen etwas voraus habe, aber das waren Dinge, auf die er sich viel weniger verstand als auf ägyptische und indische Baumwolle und auf die schnurrenden Spindeln ferner Fabrik, und sein Töchterchen war, als er sich in seiner Ahnungslosigkeit und Unbefangenheit erlaubte, die. Aenderung eigentlich überflüssig zu finden, so verstimmt geworden und hatte so spitze Accente in ihre Stimme gelegt und so nachhaltig geschmollt, daß er sich beeilte und beeiferte, die Modifikation des „allerdings sehr altväterischen“ Namens sehr hübsch und sehr notwendig zu finden und die kleine Erzürnte schmeichelnd zu fragen, ob sie nicht eine neue „Robe“ brauche. Die Mutter war zu jener Zeit leider schon tot; die brave Frau hatte sich nie so recht in den vornehmen Ton gefunden und ihrer stärkeren Hälfte, als ihm „die Gnade des Landesherrn“ den tönenden Titel verlieh, in ihrer naiven Treuherzigkeit vorgestellt, daß sie „dazu“ doch eigentlich nicht „gebildet“ genug seien; auch als Frau Kommerzienrätin fühlte sie sich, so oft sie bemerkte, daß eine Magd nicht schul- und kunstgerecht scheuerte, von der fast unwiderstehlichen Lust angewandelt, der Ungeschickten oder Bequemen Lappen und Bürste abzunehmen und selber hinzuknien, um ihr zu zeigen, wie es eigentlich zu machen sei, und nur der Gedanke an ihre schwere, raschelnde Seidenrobe und an des Herrn Gemahls Außersichgeraten über solche „Rückfälle“ hielt sie im letzten Moment noch zurück; sie hätte schwerlich geduldet, daß das Töchterlein ihren ehrlichen Christennamen abänderte, wie sie denn aller „Ueberhebung“ fast ängstlich feind war und innerlich gegen das äußere „Feinthun“ murrte und sich manches liebe Mal heimlich in die alten bescheidenen, gutbürgerlichen Verhältnisse zurücksehnte, die ihr noch erlaubt hatten, eine wirkliche Hausfrau zu sein und in denen sie nie von Langeweile geplagt gewesen war, ja wie sie bei allem ehrlichen Respekt vor ihres Mannes Scharfblick und seinem praktischen Sinn zuweilen nicht umhin konnte, es innerlich sehr komisch zu finden, wenn er sich abquälte, ein reines Hochdeutsch zu sprechen und Phrasen zu drechseln und den glatten, saloppen Weltton anzunehmen, den er an Leuten, die lange nicht so reich waren als er, bewunderte und um den er sie beneidete. Die gute Frau hätte wohl auch den Kopf geschüttelt, wenn man sie in das Boudoir ihrer „Kleinen“ geführt hätte, das unser Herr Kommerzienrat für den Inbegriff aller Eleganz und Vornehmheit hielt und nach seinen Begriffen halten mußte — die Einrichtung dieses kleinen einfenstrigen Gemachs hatte ja ein ganz ansehnliches Stück Geld gekostet. Er wußte freilich nicht, daß die

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_04.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)