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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

 29.

Schmied! warum schmiedest du heute nicht?
Schon lange ist’s Tag!
Warum weckst du deine Leute nicht,
Und bist selbst nicht wach? …
O wir wissen was dich plagt!
Deine Tochter ist entbunden
Von einem Knaben zur Nacht,
Ist aus dem Hause verschwunden,
Hat ihn zum Graben gebracht.
Dort im tiefen Wasser hat sie ertränkt das Kind,
Und sie sprach zum fliehenden Morgenwind:
„Höre auf zu wehen, du stiller Wind!
Wo bist du grauser Orkan?
Komm und jage die schwarzen Wolken heran,
Daß die Wege, die zu diesem Graben führen,
Sich im Wasser verlieren!
Daß die Menschen davon keine Spur mehr sehen,
Und nicht mehr Wasser zu schöpfen zum Graben gehen,
Daß sie nicht mein liebes Kind aufwecken,
Daß sie nicht mein trübes Herz erschrecken!“

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/90&oldid=- (Version vom 28.12.2022)