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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

 15.

Weint und klagt Gregors alte Frau
Wie eine Wachtel, eine Wachtel auf öder Au.

Hat die junge Schwester Windröschen[1] gepflückt,
Und fragend auf zur Alten blickt:

– Was bedeuten die Blümlein weiß und roth,
Des Kosacken Leben oder seinen Tod? –

„Die Blumen wuchsen, mein Täubchen, im Walde hier,
Das Unglück pflückte sie, das Unglück gab sie dir!“

Kind weine nicht, trockne die Thränen ab:
Du weckst nie unsern Iwan im kalten Grab! –


  1. Windröschen – im Kleinrussischen ßon trawaAnemone patens; die Völker der Ukraine schreiben dieser Blume prophetische Eigenschaften zu, und eben deßwegen scheint mir obiges Lied der Beachtung werth. Bekanntlich schoßen, nach der Mythologie der Alten, die Anemonen aus den Thränen auf, welche Venus über Adonis weinte.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/69&oldid=- (Version vom 28.12.2022)