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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

Antritt eines neuen Jahres beruft der Hetmann die Kosacken zusammen und spricht zu ihnen:

„Tapfere Kameraden! wir müssen das Loos ziehen, um zu wissen, wo jeder Kuränj dieses Jahr fischen soll. – Außerdem, ist’s euch nicht genehm einen neuen Hetmann zu erwählen?“

„Nein“, erwiedern sie; „du bist gut; regiere uns noch ein Jahr, und laß uns die Loose ziehen!“

Wenn aber die Antwort ungünstig lautete, nahm er die Mütze ab, legte seinen Hetmannsstab darauf, verbeugte sich gegen das Volk und sprach:

„Ich bin jetzt euer Bruder, ein gewöhnlicher Kosack.“

Alsdann versammelte sich alles Volk, lebte in Freuden, wählte einen neuen Hetmann, und überreichte ihm, nachdem es seine Einwilligung erhalten hatte, den Befehlshaberstab; Alle verbeugten sich vor ihm und streuten zum Zeichen ihrer Unterthänigkeit Erde auf ihre Häupter.

Wenn ein Kosack einen andern getödtet hatte, so legten sie ihn in’s Grab unter den Sarg des Todten und beerdigten ihn so lebendig.

Oft kam der reiche Kosack auf den Jahrmarkt der benachbarten Stadt, miethete dort Sänger, zog mit ihnen von Bude zu Bude; gab Allen, denen er auf seinem Wege begegnete, Branntwein zu trinken, warf Geld unter das Volk, um es zum Zank zu reizen, setzte sich mit seinem reichen Gewande auf eine mit Pech oder Theer beschmutzte Tonne, zum Zeichen seiner Verachtung des Reichthums, hing seinen alten Pelz um und kehrte so nach Hause zurück.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/34&oldid=- (Version vom 19.12.2022)