Seite:Die poetische Ukraine (1845).pdf/108

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

Und durch die wüste Haide
Jagen weiter Beide –
Fühlt Mitleid der Zweite der Brüder,
Und hin und wieder
Vom Pferd steigt er nieder,
Reißt von den Dornenbüschen die Zweige,
Daß er dem Jüngsten die Pfade zeige,
Doch wie sie die Straße von Murawsk[1] hinfliehen
Keine Dornenbüsche im Feld mehr blühen.
Läßt sich der Zweite erweichen, reißt das Futter von den Kleidern,
Es dem Bruder zum Zeichen auf den Weg hinzuschleudern.

Und dem Jüngsten die Spur verschwindet,
Er keine Zweige mehr findet,
Sieht nur die rothen Taffetfetzen,
Rafft sie auf, thät sie mit Thränen netzen.

     „Was deuten die Fetzen, was hat sich begeben?
     Sind meine Brüder wohl nicht mehr am Leben?
     Während ich im Gebüsche der Ruhe pflegte
     Man sie von Asow verfolgte, erreichte, erlegte! –
 Und sind sie todt,
 O, so helfe mir Gott


  1. Die Straße Murawsk erstreckt sich von der Insel Chortiza, der Residenz des Chefs von Sagarosch, nördlich bis zu den Quellen der Worskla und des Donetz. Zwischen Asow und dieser Straße befinden sich große Bairaks, d. h. Hohlwege, Schluchten.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/108&oldid=- (Version vom 27.12.2022)