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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

ich nicht während dieser langen Gebete, wo beständige Wiederholungen vorkommen, gedacht, wie weit vollkommener wäre es, wenn der Priester blos sagte : Herr, hilf uns! oder: Herr, lasse deine Angesicht leuchten über uns!

Das allerbeste wäre, wenn man, wie Jean Paul vorschlägt, blos sagte: Laßt uns beten! Und dann sollte eine schöne innige Musik beginnen, während welcher alle still nach den Bedürfnissen und Eingebungen ihrer Seele beten würden. Siecherlich würden dann die Gebete reiner und wärmer emporsteigen, als sie je von Menschenformeln und Zungen vorbuchstabirt worden sind. Ein Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit, ein lebendiger Ausdruck des christlichen Lebens und der christlichen Wahrheit, — wann werden wir einen solchen auf Erden haben ?! …

Aber ich muß noch einige Worte von dem jungen Schüler Calvins, von Henry Beecher sprechen, der inzwischen das Harte und Versteinerte in Calvins Orthodoxie weit hinter sich läßt, und bis zu einer wahrhaft christlichen Gnadenlehre — einer Gnade für Alle vorgedrungen ist. Er war gestern Abend bei mir und erzählte, wie er als Missionär im Westen unter freiem Himmel den Völkern der Wildnis gepredigt und auf einsamen Reisen in der großen ursprünglichen Natur, unter täglichen Erfahrungen dessen, was im Leben des Christenthums am kräftigsten auf frische Menschenseelen wirkt, sich selbst allmälig seine innere Welt, seine religiösen Fragen klar gemacht habe und aus der alten versteinerten Kirche in eine umfassendere und lichtvollere getreten sei. Er beschrieb auf eine höchst malerische Art die nächtlichen Zusammenkünfte im Westen, die Taufscenen an Flüssen und Strömen, mit ihren poetischen sowohl als oft auch komischen Zügen. In diesem jungen Mann steckt etwas von der Weite und der Wachsthumsfähigkeit des großen Westens, aber auch etwas

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/291&oldid=- (Version vom 29.12.2019)