Seite:Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band.djvu/237

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

das Familienleben entheiligen hörte, indem man z. B. Uneinigkeiten zwischen Vater und Tochter in diesen Fragen bloslegte, und auf verschiedene Arten gegen das göttliche Sittengesetz „Richtet nicht“ anstieß. Die Polemik wurde mit großer Bitterkeit und Persönlichkeit betrieben. Aber lebhaft und lustig ging es zu, und das Verhältniß zwischen den Rednern und dem Auditorium war in hohem Grad frei und vertraulich. In der höchsten Gunst schien der junge Jurist Wendel Philipps beim Publikum zu stehen. Und er ist wirklich ein ungewöhnlich begabter und ansprechender Redner, der das Publikum mit sich reißt und sich seiner Macht dasselbe zu rühren und zu elektrisiren wohl bewußt zu sein scheint. Ein junger Mr. Quincy — aus einer der vornehmsten Familien in Boston — sprach heftig gegen die Sclavereivertheidiger, und unter diesen gegen seinen eigenen ältesten Bruder, dermalen Maire in Boston. Aber das Publikum liebte seine Ausfälle, zumal gegen den Maire, nicht, sondern zischte und lärmte erschrecklich. Um so rüstiger ging Mr. Quincy ins Zeug; er spazierte dabei auf dem Amphitheater auf und ab und hielt die Hände in seine Rockschöße gesteckt, mit denen er fächelte, indem er just so drein schaute, als mache es ihm großen Genuß, sich von lieblichen Zephyrn anblasen zu lassen. Am Ende nahm jedoch der Lärm und das Geschrei: „Philipps! Wendel Philipps!“ dermaßen überhand, daß Mr. Quincy gar nicht mehr gehört wurde. Er hörte also zuletzt auf und winkte lächelnd Wendel Phillips an seine Stelle zu treten. Dieser, ein blonder, junger Mann von angenehmer Gestalt und ungezwungener Haltung, trat vor und wurde mit einer Beifallsalve begrüßt, worauf tiefe Stille eintrat. Wendel Philipps sprach mit der Ruhe und Sicherheit eines Redners, der seiner selbst und seiner Zuhörerschaft gewiß ist, und er nahm den Gegenstand auf, welchen Miß Lucy hatte liegen

Empfohlene Zitierweise:
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/237&oldid=- (Version vom 9.9.2019)