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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Die Schwabenkolonien in Palästina.
Von Schmidt-Weißenfels.[1] Mit Zeichnungen von G. Bauernfeind.

Die erste Lokomotive.

An allen Punkten der Welt, wo es galt, der Kultur und Gesittung neue Sitze zu erobern, da griff auch der Deutsche, unternehmungslustig wie er war, wacker mit an. Er siedelte sich im fremden Lande an, machte sich vertraut mit Art und Sitte der Bewohner und übte so im stillen seinen erzieherischen Einfluß.

Aber für das Land der Türken hatte er entschieden keine Neigung. Der magische Zug dahin war seit dem Ende der Kreuzzüge, seit der Eroberung Konstantinopels durch die Mohammedaner und der Entdeckung des Seeweges nach Indien um Afrikas Südspitze herum überhaupt erloschen. Wenn auch der Kaufmann aus dem Westen seine Streifzüge machte durch das Reich des Großsultans, seßhaft werden unter seinem Szepter mochte kein guter Christ; denn als verachteter und gehaßter Fremdling setzte er nur Leben und Eigenthum aufs Spiel. Man wußte ja, wie es in diesem Reiche zuging, wie die Griechen, die Albanesen, Bulgaren, Kandioten etc., die als christliche Völker unter der Herrschaft des Halbmondes standen, den grausamsten Verfolgungen von seiten ihrer fanatischen Zwingherren ausgesetzt waren. Und immer wieder ward von Zeit zu Zeit die christliche Welt durch die Kunde über eine Niedermetzelung von Glaubensgenossen in Schrecken versetzt. Jeder Pascha schaltete in seinem Regierungsbezirke mit unumschränkter Willkür, gegen seine Gewaltthätigkeiten gab es keinen Schutz, kaum für den Inländer, geschweige denn für den argwöhnisch beobachteten Fremdling. Ein so gefährlicher Boden konnte also unmöglich etwas Verlockendes haben.

Indessen auch das Unerwartete und Unwahrscheinliche wird zuweilen Ereigniß.

Um die Mitte unseres Jahrhunderts lebte und wirkte im Schwabenlande ein Mann, der, von mächtigem Glaubensdrange erfüllt, jahrelang einer kleinen Anhängerschar unter seinen Landsleuten die biblische Weissagung vorhielt, daß ein neuer „Tempel“ zu Jerusalem errichtet werden müsse und daß dazu die gläubigen Brüder sich zu einer festen Gemeinde vereinigen sollten. (Vergl. Jahrgang 1875, Nr. 52). Ihm und seiner Mitarbeiter Einfluß gelang es, eine Schar frommer Leute zu der Ueberzeugung zu führen, daß sie als „Volk Gottes in Jerusalem“ berufen seien, den Tempel für das verheißene Tausendjährige Reich Christi in Jerusalem aufzurichten und zu behüten.

Der Gründer dieser neuen, zunächst nur im stillen blühenden Gemeinde war Christoph Hoffmann, und als Genossen standen ihm Chr. Paulus, G. D. Hardegg und L. Höhn zur Seite, lauter Schwaben, die von der religiösen Bewegung in Württemberg während der vierziger Jahre mächtig ergriffen worden und als Pietisten gegen die Landeskirche aufgetreten waren. Hoffmann selbst war der Sohn des Gründers und langjährigen Leiters der Pietistengemeinde Kornthal. Und aus dem Pietismus heraus hatte sich dann ein eigenes Sektenwesen gebildet, das rings im Lande seine Anhänger fand.

Hoffmanns schwärmerische und phantastische Natur verlieh ihm einen großen Einfluß auf seine Umgebung; für das Ansehen, das er genoß, mag am besten die Thatsache sprechen, daß er bei den Wahlen zum deutschen Parlament im Frühjahr 1848 gegen David Strauß in dessen Vaterstadt Ludwigsburg den Sieg davon trug. Einsam und verlassen saß er freilich in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., aber die politische Erhebung bedeutete ihm auch wenig gegenüber der religiösen, die er für die Menschheit erträumte und von der er ihre paradiesische Glückseligkeit erhoffte. Darauf seine Mitmenschen vorzubereiten, die in christlicher Gemeinschaft zurückzuführen zur Einfalt der Apostel, damit sie sich würdig machten der Aufnahme in das Tausendjährige Reich – das war das ideale Ziel, zu dem Hoffmann aufschaute. In diesem Sinne sammelte und organisierte er 1853 das „Volk Gottes in


Die Kolonie Sarona bei Jaffa.

  1. Der Verfasser, einer der ältesten und verdientesten Mitarbeiter der „Gartenlaube“, hat diesen Aufsatz wenige Tage vor seinem am 24. April erfolgten Tode vollendet. Fast bis zu seinem letzten Athemzug harrte der Schwergeprüfte aus bei der Arbeit. Ehre seinem Angedenken! Die Redaktion.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_379.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)