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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Es waren einfache Thatsachen, die Runeck berichtete, aber seine Haltung und sein Ton gaben der Erzählung einen furchtbaren Nachdruck. Man sah, wie vernichtend diese Enthüllungen den Zuhörer trafen, obgleich er kein Zeichen der Theilnahme gab. „Weiter!“ sagte er kurz und rauh.

„Ich sah und hörte nichts weiter von Wildenrod bis zu dem Augenblick, wo er hier in Odensberg als Erichs Schwager erschien. Ich erkannte ihn auf den ersten Blick, während er sich meiner Persönlichkeit wohl nicht mehr erinnerte; eine Andeutung, die ich machte, wies er mit Hochmuth zurück.“

„Und Du verschwiegst mir das? Du sprachest nicht sofort?“

„Hätten Sie mir geglaubt, ohne Beweise?“

„Nein, aber ich hätte Nachforschungen angestellt und die Wahrheit erfahren.“

„Das that ich an Ihrer Stelle. Ich besaß vielfache Beziehungen in Berlin, die ich jetzt benutzte, ich wandte mich nach der Heimath Wildenrods und nach Nizza, wo Erich jene Bekanntschaft gemacht hatte. Es war nicht meine Schuld, daß Monate darüber vergingen. Was Sie irgend hätten thun können, das geschah durch mich, und mir als einem Fremden stand man offener Rede, als es Ihnen gegenüber der Fall gewesen wäre. Ich dachte freilich trotzdem daran, Sie wenigstens vorläufig zu warnen, aber dann hätten Sie vermuthlich das Band zerrissen, an dem Erichs Lebensglück hing, und das hätte ihm den Tod gegeben. Er sagte, als ich einmal scheinbar absichtslos auf eine solche Möglichkeit hindeutete, es mir selbst, Cäciliens Verlust würde sein Tod sein. Ich wußte, daß er die Wahrheit sprach – solche Folgen konnte und wollte ich nicht auf mich nehmen.“

„Cäcilie?“ wiederholte Dernburg mit aufblitzendem Argwohn. „Ganz recht, sie wird ja in erster Linie dadurch betroffen. Welche Rolle spielte sie bei der Sache? Was wußte sie davon?“

„Nichts, nicht das geringste! Sie lebte ahnungslos an der Seite des Bruders, den sie für reich hielt. In diesem Wahn ist sie Erichs Braut geworden; erst hier in Odensberg erfuhr sie durch mich, daß irgend etwas Schweres, Dunkles in ihres Bruders Vergangenheit liege. Was es war – das hatte ich nicht das Herz, ihr zu sagen, aber die Art, wie sie meine Andeutungen aufnahm, gab mir den überzeugenden Beweis, daß ihr auch nicht der leiseste Vorwurf zu machen ist.“

Das tiefe erleichterte Aufathmen Dernburgs verrieth, wie sehr er gefürchtet hatte, daß auch auf seine Schwiegertochter ein Schatten fallen könnte. Ein kaum hörbares „Gott sei Dank!“ kam von seinen Lippen.

Egbert zog eine Brieftasche hervor und entnahm ihr eine Anzahl von Papieren „Hier ist ein Brief des Grafen Almers, der mit seinem Ehrenwort für seine damalige Behauptung eintritt; hier sind Berichte über die Vorgänge beim Tode des alten Freiherrn und hier Nachrichten aus Nizza. Erich muß blind gewesen sein oder man hat ihn absichtlich von jeder anderweitigen Beziehung ferngehalten, sonst hätte er wissen müssen, daß sein Schwager in ganz Nizza bereits für eine zweideutige Persönlichkeit, für einen gewerbsmäßigen Spieler galt. Wie er sein ‚Glück‘ zu erzwingen wußte, das ahnte man vielleicht da und dort, zu beweisen war es nicht, und das gab ihm die Möglichkeit, seine äußere Stellung zu behaupten.“

Dernburg nahm die dargereichten Papiere und trat zugleich zum Tische, wo sich die Klingel befand. „Vor allen Dingen muß ich Wildenrod selbst hören! Du scheust Dich doch hoffentlich nicht, ihm Deine Anklage ins Gesicht zu wiederholen?“

„Das that ich soeben, ich komme aus seinem Zimmer. Es war ein letzter Versuch, die Sache schonend zu erledigen, er ist gescheitert. Der Freiherr weiß, daß ich in dieser Stunde Ihnen alles enthülle – er ist mir nicht gefolgt, um sich zu verantworten.“

„Gleichviel, er soll mir Rede stehen!“ Dernburg drückte auf die Klingel und rief dem eintretenden Diener zu: „Ich lasse Herrn von Wildenrod bitten, sofort zu mir zu kommen!“

Der Diener ging; eine lange schwere Pause trat ein. Man hörte nur das Knittern der Papiere, die Dernburg eins nach dem anderen öffnete und durchsah; er wurde immer bleicher dabei. Egbert verharrte schweigend und unbeweglich an seinem Platze – so verrannen die Minuten. Es dauerte lange, sehr lange, bis die Thür sich von neuem öffnete, aber nicht Wildenrod, sondern der Diener trat wieder ein. „Der Herr Baron ist nicht in seinen Zimmern und überhaupt nicht im Hause zu finden,“ berichtete er. „Vielleicht ist er schon abgefahren.“

„Abgefahren? Wohin?“

„Wahrscheinlich nach der Stadt. Er hat befohlen, den Wagen anspannen zu lassen und an der hinteren Parkpforte vorzufahren. Er wird schon fort sein.“

Ein stummer Wink verabschiedete den Diener, und dann brach die Selbstbeherrschung Dernburgs zusammen. Er sank in einen Sessel, und ein Ausruf der Verzweiflung entrang sich seinen Lippen. „Mein Kind! Meine arme arme Maja! Sie liebt diesen Mann mit ganzer Seele!“

Es lag etwas Erschütterndes in dem Schmerze des Mannes, der mit ungebeugter Stirn in einen Kampf ging, welcher seine Existenz bedrohte, der aber das Unglück seines Lieblings nicht ertragen zu können schien.

Egbert trat zu ihm und beugte sich nieder. „Herr Dernburg!“ sagte er mit bebender Stimme.

Eine finster abwehrende Bewegung wies ihn zurück. „Geh! Was willst Du?“

„Erich ist tot, und den Mann, der an seine Stelle treten sollte, müssen Sie verwerfen. Geben Sie mir nur einmal noch, nur für diese Stunde das Recht, das ich einst besaß.“

„Nein!“ rief Dernburg, sich emporrichtend, und die alte starre Härte lag wieder in seinen Zügen. „Du hast Dich losgesagt von mir und den Meinen, Du hast das Recht verwirkt, das Leid mit uns zu tragen. Geh hinüber zu Deinen Freunden und Genossen, die jetzt wie eine losgelassene Meute gegen mich anstürmen, denen Du mich geopfert hast! Zu ihnen gehörst Du, dort ist Dein Platz! Sie haben mir Schlimmes angethan, Du aber das Aergste, denn Du standest meinem Herzen am nächsten. Von Dir will ich keine Theilnahme und keine Stütze – eher ginge ich zu Grunde!“

Er schritt in die anstoßende Bibliothek und schmetterte die Thür hinter sich zu. Die Brücke zwischen ihm und Egbert war abgebrochen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Vermißten-Liste. (Fortsetzung aus Nr. 53 des Jahrg. 1892.)

278) Die am 14. Juni 1849 zu Seifersdorf, Kr. Falkenberg in Schlesien, geborene Köchin Johanna Gabriel, welche vor vielen Jahren in Aachen und Köln gedient haben soll, wird von ihrer betagten Mutter gesucht.

279) Der Feilenhauergehilfe Ottomar Oscar Merz, geb. den 3. Jan. 1845 zu Schwarzenberg in Sachsen, am rechten Arme geschwächt, ging zu Ende März 1875 in die Fremde, ohne jemals Nachricht zu geben. Seine hochbejahrte Mutter und eine Schwester harren in Sehnsucht seiner.

280) Engelbert Buhmüller, Schlosser, geb. am 1. Jan. 1857 zu Konstanz, übersandte im April 1887 aus Mannheim seinen Angehörigen Koffer und Kleider von sich und Briefe, in denen er ihnen seinen letzten Gruß zuruft. Seitdem ist Buhmüller verschwunden; weder ein gleich nach Ankunft der Sendung von seinen Brüdern abgesandtes Telegramm traf ihn mehr, noch konnte er später mit Hilfe der Polizei aufgefunden werden.

281) Das einzige Kind seiner Eltern, der Schulknabe Ernst Robert Puppe, geb. am. 11. Jan. 1879 zu Georgenthal (Kirchspiel Wilhelmsdorf) in Schlesien, hat sich am 10. September 1891 mittags aus seiner elterlichen Wohnung in Dresden entfernt und ist seitdem verschollen. Puppe ist von schmächtiger Gestalt mit blondem Haar, er war mit grauem Anzug bekleidet und barfuß.

282) Zwei Bruder verschollen: Wilhelm Witt, geb. am 7. Mai 1853 zu Wertheim a. M., seines Zeichens Bierbrauer und Küfer, welcher im Jahre 1880 aus Chicago schrieb, dann aber nach St. Paul, Minn., und Milwaukee gegangen sein soll, und der Kaufmann Alexander Witt, geb. am 7. Febr. 1856 ebenda, der bei der Panamakanal-Gesellschaft thätig war und später mit einem Herrn Beste unter der Firma E. Beste u. Co. ein Geschäft in Colon (Centralamerika) gegründet hatte.

283) Der taubstumme Papiermüller Robert Carl Eitrich, geb. am 7. April 1825 zu Stobnica, Kreis Obornik, hat sich bis zum Jahre 1885 in Berlin aufgehalten, ist aber trotz polizeilicher Nachforschung daselbst nicht mehr aufzufinden.

284) Der Eisendreher Adolf Gustav Rudolf Primke, geb. am 18. Aug. 1867 zu Striese, Kr. Trebnitz in Schlesien, schrieb von Gassen in der Lausitz im Jahre 1889, daß er in der Spandauer Gewehrfahrik Arbeit suchen wolle. Seitdem ist von Primke jede Nachricht ausgeblieben. Eine Anfrage in Spandau ergab, daß sich Primke dort nicht aufhält.

285) Adolph Baron von Knüpfer, Professor der Malerakademie, welcher am 9. Jan. 1824 zu Weimar geboren wurde, hielt sich im Jahre 1869 in Brasilien auf, ließ aber seit dieser Zeit nichts mehr von sich hören.

286) Im Mai 1885 hat sich der Bäcker Daniel Schnippering von Haspe in Westfalen, wo er am 7. Juli 1848 geboren ist, entfernt, und im März 1886 gab er das letzte Lebenszeichen von sich aus Australien.

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