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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

nach Baden schreiben: „Eben komme ich von der Oper. Sie war aber so voll wie allzeit. Das Duetto ‚Mann und Weib‘ und das Glöckchenspiel im ersten Akte wurde wie gewöhnlich wiederholt, auch im 2. Akte das Knabenterzett – was mich aber am meisten freut, ist der stille Beifall! Man sieht recht, wie sehr und immer mehr diese Oper steigt.“ Im ersten Monat konnte die „Zauberflöte“ vierundzwanzigmal bei vollem Hause gegeben werden.

Was wäre nun heute, nach hundert Jahren, noch über dieses Werk zu sagen? Diese Musik hat ihre Jugendfrische, ihre Tiefe und Helligkeit bis heute so ungetrübt behalten, daß man trotz ihres Alters kein Verblassen der Farben entdecken kann. Die weihevolle Würde der Priestergesänge berührt uns noch immer wie die heitere Vornehmheit eines klassischen Tempelbaus, die Gesänge der drei Knaben leuchten wie wolkenloses Himmelsblau. Die einzigartige Gabe, kontrapunktliche Wunder zu schaffen, in denen wir über die Tiefen der musikalischen Technik mit leichter Anmuth und melodischem Reize hinweggeführt werden, bewährt Mozart auch hier aufs höchste. Keine Mühsal der Arbeit ist bei ihm zu erkennen, alles fließt dahin in lichter Klarheit und sonniger Schönheit der Formen. So verstand er es, dem Verlangen Schikaneders nach einer Musik für das große Publikum gerecht zu werden und dabei doch, sogar nach einem Jahrhundert noch, auch den Musikverständigen in Staunen und Entzücken zu versetzen. Wenn wir außerdem erwägen, daß das Werk entstand, als schon der Tod mahnend bei ihm anklopfte, daß zwei Monate später seiner Hand die Feder für immer entsank, so will es uns dünken, als ob in diesen ätherreinen Weisen der „Zauberflöte“ schon die Heiterkeit eines von allem Irdischen losgelösten Daseins wiederklinge.

Mozart nach dem Langeschen Bildniß.[1]

Die Freude über den andauernd glänzenden Erfolg seines Werkes wurde dem Künstler leider durch zweierlei Umstände aufs schmerzlichste getrübt, durch seine zunehmende körperliche Schwäche und im Zusammenhang damit durch die Sorge um eine Arbeit, welche ihm unter merkwürdigen Umständen aufgetragen worden war. Es war das Requiem, welches ein Unbekannter bei ihm bestellt hatte, noch ehe er mit der Musik zur „Zauberflöte“ zu Ende gekommen war. Da Mozart nicht wußte, für wen er das Werk zu komponieren habe, so plagte ihn der Gedanke daran unaufhörlich, ja bei seinem zunehmenden körperlichen Uebelbefinden wurde ihm das Requiem in trüben Stimmungen zu einem düstern Hinweis auf seinen Tod, und während im Theater die heitere „Zauberflöte“ das Haus allabendlich füllte, saß der Schöpfer dieser Melodien krank in seinem Zimmer und konnte den Gedanken nicht loswerden, daß man ihm Gift gegeben habe und daß er das Requiem für sich selbst schreibe. Erst spät, nach seinem Tode, kam es an den Tag, daß der Auftraggeber ein Graf Walsegg war; dieser hatte an den Komponisten einen Vermittler geschickt, der aber weder des Grafen Namen nennen, noch sich selbst zu erkennen geben durfte. Welche Grille den Grafen Walsegg dazu bewog, die Sache als Geheimniß zu behandeln, ist hier gleichgültig, doch scheint es fast, er habe die Absicht gehegt, das Requiem als sein eigenes Werk auszugeben, wenigstens für einige Zeit. Wie dem auch sein mag, für Mozart wurde die Sache fast zum Verhängniß. Sein Uebelbefinden und seine Schwäche steigerten sich, und da er eine bestimmte Summe für das Requiem im voraus erhalten hatte, so quälte er sich um so mehr mit der Sorge, daß der Tod ihn an der Vollendung hindern werde. Seine Frau mußte ihm daher auf Wunsch des Arztes die aufregende Arbeit wegnehmen, allein sobald er sich wieder etwas wohler fühlte, verlangte er sie mit aller Dringlichkeit zurück. Man weiß, daß er die Komposition wirklich nicht zum Schlusse bringen konnte, und über die viel umstrittene Frage, wie weit sich der Antheil seines Schülers Süßmayer an einigen Sätzen erstrecke, sind die Akten noch nicht geschlossen. Als Mozarts Requiem aber ist es der Nachwelt überliefert worden und wird noch kommenden Geschlechtern die Herzen erheben.

Die Geschichte von Mozarts Tod ist bei seinen Biographen, welche hierbei im wesentlichen auf Nissens Angaben fußen, ausführlich behandelt, und wir brauchen hier auf die Einzelheiten nicht einzugehen. In der zweiten Hälfte des November, es ist wahrscheinlich der 20. gewesen, war der Leidende noch ausgegangen, in ein Gasthaus der Kärntnerstraße, wo er etwas Wein trank, um sich jedoch bald wieder zu entfernen. Am andern Tage mußte er sich niederlegen: er sollte nicht wieder aufstehen. Die Berichte über die Art seiner Krankheit lauten verschieden. Ins Sterberegister wurde als Todesursache „hitziges Frieselfieber“ eingetragen, nach anderen starb er an der Brustwassersucht. Noch einen halben Tag vor seinem Hingang mußte man ihm die Partitur zum Requiem ans Bett bringen, er ließ einzelne Sätze daraus von seinen Freunden singen und übernahm dabei selbst die Altstimme. Bald danach erklärte er mit Bestimmtheit, daß er in der Nacht sterben werde. Er hatte wahr gesagt, am fünften Dezember um ein Uhr morgens ist er verschieden.

Daß die irdischen Reste des großen Mannes in ein Massengrab gesenkt wurden, weil ein eigenes Grab für ihn nicht bezahlt werden konnte, daß bei dem abscheulichen Wetter am Begräbnißtag, am 6. Dezember, die wenigen Freunde, die dem Toten das letzte Geleit gaben, unterwegs umkehrten und daß so kein liebender Blick mehr auf die Stätte fiel, wo der Sarg in die Erde gesenkt wurde, das ist schon in Nr. 23 dieses Jahrganges der „Gartenlaube“ erzählt worden. Ueber die kläglichen Umstände, in denen er seine Witwe und seine Kinder hinterlassen mußte, schweigen wir. Es fruchtet nichts, noch heute seine Mitwelt deshalb anzuklagen.

Bei Schnee und Regen ward der Meister einst in die Erde gesenkt, aber was er uns in seinen Schöpfungen hinterließ, ist ewiger heller Sonnenschein. Rudolph Genée.     




  1. Das Porträt ist in Mozarts letztem Lebensjahr von seinem Schwager, dem Hofschauspieler Lange, gemalt worden, aber unvollendet geblieben, wie das Original im Salzburger Mozartmuseum zeigt und auch auf unserer Darstellung zu erkennen ist. Es ist nur eine dilettantische Arbeit, da jedoch auf den Kopf ersichtliche Sorgfalt verwendet wurde, so läßt sich annehmen, daß es in den Hauptformen des Kopfes getreu ist wenn auch der Gesichtsausdruck etwas Fremdes hat.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_658.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2023)