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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Blätter und Blüthen.

Wilhelm Eduard Weber. Von Land zu Land, von Welttheil zu Welttheil verbreitete der Telegraph am 24. Juni mit Blitzesschnelle die Kunde von dem Tode Wilhelm Eduard Webers. Von Göttingen, der Geburtsstätte des magneto-elektrischen Telegraphen kam die Botschaft, und die Welt erfuhr nun, daß auch der letzte der Männer heimgegangen sei, denen die Menschheit das erstaunlichste aller Verkehrsmittel verdankt.

Am Anfang dieses Jahrhunderts war in Wittenberg ein Dreigestirn aufgegangen, welches berufen war, der Schar der Forscher auf neuen Bahnen voranzuleuchten. Es waren dies die drei Söhne des gelehrten Theologen Michael Weber.

Der älteste von ihnen, Ernst Heinrich, hatte die Medizin zu seinem Berufsstudium gewählt, aber als Physiolog und Anatom blieb er zugleich der Naturwissenschaft treu und suchte schwierige physikalische Fragen zu lösen. Von großer Bedeutung für die Erforschung der Naturkräfte ist die genaue Kenntniß der vielfältigen Erscheinungen, welche die Wellenbewegung darbietet. In ihr liegt der Schlüssel zum Verständniß der Erscheinungen des Schalles, der Wärme, des Lichts, der Elektricität. Wellen entstehen auch in tropfbaren Flüssigkeiten und lassen sich hier verhältnißmäßig leicht in den einzelnen Abschnitten ihrer Entwickelung beobachten. So bildete die Wellenbewegung des Wassers den Gegenstand, auf den sich die physikalischen Arbeiten Ernst Heinrich Webers bezogen, und an diesen scharfsinnigen Untersuchungen betheiligte sich bereits als ein junger Schüler sein Bruder Wilhelm Eduard. Die Ergebnisse dieser mühevollen Versuche wurden zusammengefaßt in dem Werke „Die Wellenlehre, auf Experimente gegründet“, welches im Jahre 1825 im Drucke erschien. Als der künftige Erfinder des Telegraphen durch den Antheil, den er an diesen Forschungen hatte, den ersten Grund zu seinem späteren Ruhme legte, war der am 24. Oktober 1804 zu Wittenberg Geborene kaum 21 Jahre alt. Der junge Gelehrte habilitierte sich zwei Jahre darauf an der Universität Halle, und schon im Jahre 1831 sehen wir ihn den Lehrstuhl für Physik an der Universität Göttingen bekleiden.

Hier fand er in Karl Friedrich Gauß, einem der größten Mathematiker aller Zeiten, einen ebenbürtigen Geistesgenossen, und im Verein mit diesem wandte er sich der Erforschung der elektrischen und magnetischen Erscheinungen zu. An Bestrebungen, diese Kraft in den Dienst eines Nachrichtenverkehrs in die Ferne zu stellen, hat es um jene Zeit nicht gefehlt, aber alle Pläne, die aufgetaucht waren, konnten sich praktisch nicht bewähren. Erst aus den Studien, die Weber und Gauß gemeinschaftlich über den Elektromagnetismus anstellten, ging der erste brauchbare elektromagnetische Telegraph hervor, der auf eine Entfernung von 9000 Fuß das physikalische Kabinett Webers mit der Sternwarte seines Freundes Gauß verband. Die Anlage wurde 1833 ausgeführt und im folgenden Jahre zum ersten Male in den „Göttinger gelehrten Anzeigen“ beschrieben. Die Technik griff den Grundgedanken der beiden Forscher auf; es war nun leicht, Verbesserungen anzubringen, und gerade zehn Jahre nach jener bahnbrechenden Erfindung wurden in Deutschland und Amerika die ersten großen Telegraphenlinien gebaut. Weber arbeitete indessen fort an der Ergründung der noch dunklen elektrischen Probleme. Um diese Zeit kam sein jüngster Bruder Eduard Friedrich nach Göttingen; er war Mediziner wie der Aelteste von den Dreien und wandte sich an den Physiker, um von diesem mit Rath und That bei seinen Untersuchungen über die Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge unterstützt zu werden. Als Frucht dieser gemeinsamen Arbeit erschien 1886 ein Werk der beiden, in welchem das Stehen und Gehen des Menschen erörtert und erklärt wurde; die Wissenschaft wurde dadurch um eine Fülle wichtiger, neu entdeckter Thatsachen bereichert, so vor allem durch die Beobachtung, daß das eigentliche Bindemittel, welches unsere Knochen in den Gelenken festhält, der Luftdruck ist.

Wilhelm Weber,
der Letzte der „Göttinger Sieben“.
Nach einer Photographie von B. Petri (Inhaber W. Grape) in Göttingen.

Ein Jahr darauf kam für den Gelehrten eine Prüfungszeit, in welcher er seine Charakterstärke und politische Ueberzeugungstreue bewähren sollte. Am 1. November 1837 wurde die hannoversche Verfassung, welche dem Lande vier Jahre zuvor gegeben und gewährleistet worden war, vom König Ernst August für ungültig erklärt; zugleich erging an sämmtliche Landesbeamte so auch an die Professoren von Göttingen die Aufforderung, auf Grund des neuen Rechtszustands auch neue Dienst- und Huldigungsreverse einzusenden. Mit sechs anderen Amtsgenossen (Jakob und Wilhelm Grimm, Gervinus, Dahlmann, Albrecht und Ewald) protestierte Wilhelm Eduard Weber gegen diesen Akt der Willkür. Die mannhaften Vertheidiger der Verfassung wurden sofort ihres Amtes entsetzt. Mochten sie auf diese Weise in äußerer Beziehung manches verlieren – das dankbare Gedächtniß des deutschen Volkes, für dessen Recht sie in den Grenzen eines einzelnen Landes brav und ohne Rücksicht auf das eigene Wohl in die Schranken getreten waren, hat sie für alle Verluste entschädigt durch den Ehrennamen der „Göttinger Sieben“, der überall da, wo man freie Mannesthat und unerschütterten Mannesmuth zu schätzen weiß, seinen guten alten Klang behalten wird. Mit Weber ist der Letzte dieser „Sieben“ zur Ruhe gegangen.

Die Freundschaft mit Gauß hielt den seines Amtes entsetzten anfangs längere Zeit in Göttingen zurück, später folgte er einem Rufe als Professor an die Universität Leipzig; im Jahre 1849 zog er, nachdem sich die Zeiten geändert hatten, in seine frühere Stellung in Göttingen wieder ein.

Im weiteren Verlauf seines arbeitsvollen Lebens bereicherte er die Elektricitätslehre durch eine Reihe grundlegender Versuche und Beobachtungsmethoden, die heute von der rüstig aufstrebenden Elektrotechnik praktisch verwerthet werden.

Das große Zeitalter des Dampfes geht zur Neige, ein verheißungsvolleres, das der Elektricität, beginnt zum Heil der Menschheit, und wenn wir Wilhelm Eduard Webers Verdienste kurz zusammenfassen wollen, so müssen wir ihn als einen der vornehmsten Bahnbrecher einer neuen Kulturepoche bezeichnen; die Elektriker haben in ihm einen ihrer siegreichsten Führer verloren.*      

Gefährlicher Posten. (Zu dem Bilde S. 513.) Es ist eine lustige Sache, ein Felddienst im Sommer zur Erntezeit, wenn die Frau Sonne ein Einsehen hat und nicht allzu heiß brennt, wenn ein frischer Lufthauch über die wogenden Felder streicht und Rossen und Mannschaften, Schnittern und Schnitterinnen Kühlung zufächelt. Bis dahin war’s meistens ziemlich langweilig gewesen, weit und breit kein Mensch zu sehen, keine verständnißinnige Seele, mit der man eine Unterhaltung vom Gaul herunter hätte anknüpfen können, oder die – noch verständnißinniger – einen kühlen Trunk auf den Gaul hinaufgereicht hätte. Was sollte man da anfangen auf solch einer „stehenden Patrouille“, wo man doch weiß, daß man keinen Feind sich gegenüber hat und der Gegner nur ein „angenommener“ ist? Ganz anders jetzt, wo das sichelreife Korn unter den fleißigen Händen des Landvolks zu sinken beginnt. Da giebt’s nichts Hübscheres für einen schmucken Reitersmann als einen etwas abseits von den scharfen Augen der Vorgesetzten gelegenen Posten wie denjenigen, welcher den Ulanen auf unserem Bilde zugefallen ist. Es ist ein Unteroffiziersposten auf dem äußersten rechten Flügel, und während der führende Gefreite mit seinen zwei Mann hinten in der flachen Bodensenkung die vergnüglichste Gesellschaft hat, müssen die beiden Vedetten vorn scharf aufpassen, ob keine Spur vom „Feinde“ – wer darunter zu verstehen ist, das wissen sie genau – in der Nähe oder Ferne sich zeigt. Seit vollends der witzige Kamerad von den Kürassieren, der als Meldereiter vorüberkam, sich zur Gruppe gesellt hat, da stiegen die scharf zugespitzten Scherzreden schneidig hinüber und herüber, keiner der kühnen Lanzenschwinger denkt mehr daran, wozu er eigentlich da ist. Vergeblich dreht sich die eine Vedette vorn im Sattel herum, um ein warnendes Zeichen zu geben, die hinten hören und sehen nichts davon. –

„Denn wer bei schöner Schnitt’rin steht,
Dem mag man lange winken –“

heißt’s in Scheffels Liede vom fahrenden Scholaren. Ja, mitten im Frieden giebt es recht gefährliche Posten!




Inhalt: Baronin Müller. Roman von Karl v. Heigel. (3. Fortsetzung). S. 501 – Wanderungen durch Wien. Von V. Chiavacci. Vorstädte und Vororte. S. 506. Mit Abbildungen S. 501, 505, 506, 508 und 509. – Leuchtbacillen, S. 511 – Die Kamerunerin. Eine romantische Geschichte von H. v. Götzendorff-Grabowski. S. 512 – Gefährlicher Posten. Bild. S. 513. – Blätter und Blüthen: Wilhelm Eduard Weber. Mit Bildniß. S. 516. – Gefährlicher Posten. S. 516 (Zu dem Bilde S. 513.)




Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_516.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)