Seite:Die Gartenlaube (1889) 870.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Im Jahre 1737 fühlte sich Karl Gottfried Kißling aus Zittau veranlaßt, eine sehr gelehrte Abhandlung in lateinischer Sprache zu verfassen, welche neben dem lateinischen Obertitel noch den deutschen Untertitel führt: „Von Heiligen Christ-Geschenken“.[1] Er betrachtet dieselben nach ihrer Entstehung, über die er verschiedene Vermuthungen aufstellt, nach ihrer religiösen Bedeutung, dem Unfug, der mit ihnen getrieben wird, und endlich nach ihrer Geltung als rechtliche Einrichtung. Besonders der Unfug scheint sein Herz schwer beleidigt zu haben; denn er läßt seinem Zorn gegen denselben freien Lauf und zieht gegen ihn ein ganzes Gewitter von Strafverfügungen, besonders des Magistrats seiner Heimathstadt Zittau, heran. Sodann macht er Vorschläge zur Abstellung der Mißbräuche und erzählt dabei von einer würdigen Frau, die „auf einem Gehöfte“ lebe, das er nicht näher bezeichnet: „Am heiligen Abend stellte sie in ihren Gemächern so viel Bäumchen auf, wie sie Personen beschenken wollte. Aus der Höhe, dem Schmuck und der Reihenfolge ihrer Aufstellung konnte jeder sofort erkennen, welcher Baum für ihn bestimmt war. Sobald die Geschenke vertheilt und darunter ausgelegt und die Lichter auf den Bäumen und neben ihnen angezündet waren, traten die Ihren der Reihe nach in das Zimmer, betrachteten die Bescherung und ergriffen jedes von dem bestimmten Baume und den darunter bescherten Sachen Besitz. Zuletzt kamen auch die Knechte und Mägde in bester Ordnung herein, bekamen jedes seine Geschenke und nahmen dieselben an sich.“

Hier haben wir eine Weihnachtsbescherung mit Lichterbaum, ja Lichterbäumen und allem Zubehör vor uns, wie sie schöner kaum zu denken ist. Daß Gottfried Kißling sich dies nur ausgesonnen haben sollte, ist unmöglich, wenn auch die gute Ordnung, in der alles verläuft, seine Zugabe ist. Er bezieht sich sonst in seinen Angaben gern auf seine Vaterstadt Zittau. Hier seltsamerweise nicht. Von etwaigen Reisen, die er gemacht hätte, ist nichts bekannt. Wir gehen wohl kaum irre, wenn wir den Brauch in die Nähe von Zittau setzen. Bemerkenswerth ist, daß hier der Lichterbaum keineswegs als allgemein geübte Sitte, sondern vielmehr nur als Ausnahmebrauch im Hause einer besonders sinnigen Frau erscheint, wie er noch 1789 im Hause der Frau von Lengefeld in Rudolstadt und bei ihren Töchtern, die diesen Winter in Weimar zubrachten, keineswegs feste Regel war, während er in Jena in dem Griesbachschen Hause als bereits eingeführt zu betrachten ist.[2]

1657 eiferte ein Straßburger Theologe gegen den Weihnachtsbaum und 1737 empfiehlt ihn ein frommer Gelehrter als schönen Brauch gegenüber rohem Unfug. So ganz fest wurzelte freilich auch seine Neigung zum Lichterbaum nicht; denn, fügt er hinzu, im Grunde genommen könne dieser Brauch auch wegbleiben.

Vorher offenbar nur rein örtlicher Brauch im westlichen Oberdeutschland und namentlich in Straßburg, begann der Weihnachtsbaum etwa im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts seine Siegeslaufbahn, um sich binnen hundert Jahren Deutschland und in weiteren fünfzig die ganze Welt zu erobern. Im Anfang ging es jedoch mit seinem Vorrücken nur sehr langsam. In den Weihnachtsbeschreibungen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts fehlt er noch sogut wie ganz. In Pyra und Langes „Freundschaftlichen Liedern“, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden, heißt es z. B.:

„So freudig können kaum die frommen Kinder seyn,
Wenn sie am Weihnachtsfest und bey der Lichter Schein
Den Engel, der beschert, von ferne klingeln hören
Und Kleinigkeiten dann noch ihre Freude mehren.“

Vom Weihnachtsbaum hier kein Wort. Auch die Worte „Weihnachtsbaum“, „Christbaum’“, „Lichterbaum“ entstammen erst dem Ende des Jahrhunderts. Goethe spricht 1774 noch ganz allgemein von einem „aufgeputzten Baume“ und Schiller läßt sich noch 1789 von seiner Braut einen „grünen Baum im Zimmer aufrichten“.

Um 1790 muß der Weihnachtsbaum in Nürnberg bereits üblich gewesen sein. Wenigstens haben wir eine Radierung von Joseph Kellner „Das Christbescherens oder der fröhliche Morgen“[3], welche nach den Trachten in diese Jahre zu setzen ist. Auf dem Bilde steht in der Ecke des Zimmers ein Baum, der in der heute üblichen Weise verziert ist, jedoch kein Nadelbaum. Derselbe trägt drei Lichter. Zwei davon hat ein Engel in seinen Händen, der in der Mitte des Baumes hängt. Näheres hierüber giebt uns eine Nachricht des Schlachtenmalers Albrecht Adam[4], der, 1786 geboren, mit Beziehung auf seine Jugendzeit von seiner Vaterstadt Nördlingen, also aus dem Westen von Bayern erzählt: „In Nördlingen hat man nicht den düsteren Tannenbaum für die Christbescherung, sondern man setzt schon monatelang vorher den jungen Stamm von einem Kirsch- oder Weichselbaume in einer Zimmerecke in einen großen Topf. Gewöhnlich stehen diese Bäume bis Weihnachten in voller Blüthe und dehnen sich weit an der Zimmerdecke hin aus, was man als eine große Zierde betrachtet und was auch in der That zur Feier des Christfestes sehr viel beiträgt. Eine Familie wetteifert hierin mit der andern, und die, welche den schönsten blühenden Baum hat, ist sehr stolz darauf.“ –

Die Einwanderung des Christbaums aus dem Norden im 17. Jahrhundert ist endgültig abzulehnen, da der Baum vor 1632 bereits in Straßburg vorkommt.[5] Daß er hier in das 16. Jahrhundert hinaufreicht, steht zweifellos fest. Aber welches ist sein Ursprung? Ist er vielleicht eine Umsetzung des blühenden und fruchttragenden Apfelbaums der Weihnacht aus der Sage in das volle greifbare Leben? Vielleicht wird auch darauf noch einmal eine Antwort möglich. Einstweilen ist sie noch nicht gefunden. In der Geschichte seiner Verbreitung giebt es ebenfalls noch manche Nuß zu knacken und manchen kleinen Widerspruch zu lösen. Die „Gartenlaube“ aber darf sich freuen, diese Geschichte wenigstens in ihren Grundzügen festgestellt zu haben, und sagt allen den freundlichen Einsendern von Nachrichten über den Christbaum, auch denen, deren Mittheilungen für ihren Zweck nicht unmittelbar verwendbar waren, ihren aufrichtigen Dank und entbietet ihnen ihren Weihnachtsgruß!




Am Grabe des Jahres.


Der Jahre Friedhof ist die Zeit;
Eins nach dem andern ward begraben.
Bald wird die Gruft, schon klafft sie weit,
Auch dieses Jahr verschlungen haben.

5
Du Menschenkind, beeil’ dich nur,

Daß würdig es bestattet werde!
Die Stunde drängt, schon „warnt“ die Uhr –
Nun wirf hinab drei Hände Erde!

Die Sorge wirf mit erster Hand,

10
Die dich gequält so manche Stunde,

Hinab tief in der Grube Sand,
Damit dir Herz und Hirn gesunde!

Dann tilg’ die Schuld, die ruhelos
Und peinvoll dir das Herz zerrissen!

15
Auch sie senk’ in der Erde Schoß

Und rette dir ein frei Gewissen!

Mit dritter wohlgehaufter Hand
Laß allen Neid hinuntergleiten!
Du kannst, ist dieser Feind gebannt,

20
Zufrieden durch das Leben schreiten.


Ein Todtengräber, häufst du so
Des Grabes Hügel ohne Mühen;
Auf ihm wird dir, dem Gärtner, froh
Ein glückliches Neujahr erblühen.

Max Hartung.





  1. Dieselbe erschien als akademische Schrift, primitiae academicae, also wohl als Habilitationsschrift eines jungen Privatdocenten, 1737 bei Ephraim Gottlob Eichsfeld in Wittenberg, nachdem sie am 18. Februar d. J. in der Universität öffentlich vorgetragen worden war. Der eigenliche Titel ist: „De muneribus, quae propter diem natalem servatoris nostri dari solent“. Verf. benutzte das Exemplar der Universitätsbibliothek zu Leipzig.
  2. Schillers Brief an Lotte von Lengefeld, „Gartenlaube“ 1888, S. 831.
  3. Mitgetheilt von Dr. Wilh. Schmidt, Vorstand des Kupferstichkabinetts zu München.
  4. Albrecht Adams Selbstbiographie, herausgegeben von Holland, S. 23.
  5. Die im vorjährigen Aufsatze vom Verf. herangezogene ,,angebundene Christrutte“ hat mit dem Weihnachtsbaum nichts zu thun. Aus Prätorius’ und Kißlings Angaben ergiebt sich vielmehr mit völliger Sicherheit, daß sie als etwas zu betrachten ist, „das da mit zu lere, gehorsam und disciplin gehöret“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_870.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)