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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

mit der Phrase „Unser Junge kann doch kein Handwerker werden!“ oder mit der anderen: „Unser Junge soll es besser haben als wir“ glauben weit von sich weisen zu müssen; unsere Darlegungen gelten denjenigen Einsichtigen, welchen die Zukunft nicht nur durch die Brille des Vorurtheils schätzenswerth erscheint.

Wir sehen von der Militär-, Seemanns- und Gelehrtenlaufbahn, vom Beamten- und Kaufmannsstande ab und wenden uns einzig denjenigen zahlreichen Berufsarten zu, welche man zusammenfassend als die gewerblichen bezeichnen kann und die seit langen Jahren in demselben Maße unterschätzt worden sind, wie die vorerwähnten Berufsarten entschieden überschätzt. Die Zeiten, in denen das Sprichwort: „Handwerk hat goldenen Boden“ in hohen Ehren stand, scheinen ja leider vorüber zu sein; aber der goldene Boden selbst ist unzweifelhaft geblieben, und tüchtige Handwerker können auch heute noch, ja gerade heute sich zu wirthschaftlichen und socialen Stellungen emporarbeiten, welche denen vieler Kaufleute und Beamten sowohl bezüglich des Ansehens wie namentlich hinsichtlich der Selbständigkeit entschieden vorzuziehen sind. Handwerk und Gewerbe ehren und nähren auch heute den Mann, und gerade die gewerblichen Berufe, die noch nicht an Ueberfüllung leiden, bieten ergiebige Arbeitsfelder für zielbewußtes Vorwärtsstreben und tüchtige Leistungen.

Vor allein ist kein Knabe „zu begabt“, um ein Handwerk zu erlernen. Je begabter er ist, um so Tüchtigeres wird er in seinem Fache leisten, um so eher das Ziel, welches ihm vorgesteckt ist, erreichen. Nicht darum also sollte es sich handeln, ob ein Knabe, dem durch Neigung oder Mittel ein anderer Beruf nicht vorgezeichnet erscheint, ein Gewerbe erlernen, sondern darum, welches er erwählen soll, und hier ist allen Berufenen und Wohlmeinenden Gelegenheit geboten, mit Rath und That zur Ermittelung des Richtigen Beistand zu leisten! – Wir konnten uns nicht die Aufgabe stellen, hier eine größere Auswahl der zahlreichen gewerblichen Berufsarten näher zu besprechen; aber einige der wichtigsten Gesichtspunkte, welche bei der Wahl von entscheidendem Einflüsse sein sollten, möchten wir kurz andeuten und dann auf einige wenige Schriften verweisen, welche für die weitere Orientirung mit Nutzen herangezogen werden können.

In erster Linie wichtig für die Wahl des Berufes ist die Neigung des Knaben selbst, die sich vielfach schon früh deutlich oder in kleinen charakteristischen Zügen verräth. „Was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten,“ sagt schon das Sprichwort, und die Jugendgeschichten vieler bedeutender Männer bestätigen die Wahrheit vollauf. Ist aber eine besondere Neigung nicht vorhanden, oder doch nicht erkennbar, so bietet wieder der jeweilige Grad von Intelligenz Fingerzeige und die Frage ist dann: was kann der Knabe werden? Der eine Beruf erfordert wesentlich höhere Intelligenz als der andere.

Von großer Wichtigkeit ist auch die Berücksichtigung der physischen Beanlagung des Lehrlings, da davon, ob diese genügend, die Erreichung des vorgesteckten Endzieles, wenn nicht der Meisterschaft und Selbständigkeit, so doch der ihm eine gesicherte Lebensstellung verschaffenden Leistungsfähigkeit in seinem Fache abhängt. Thöricht wäre es, einen schwächlichen Knaben dem Schmiede- oder Bauhandwerk zuzuführen oder einen Farbenblinden Maler und einen notorisch Kurzsichtigen Uhrmacher, Nadler oder Kupferstecher werden zu lassen. Auch die Vermögensverhältnisse sollten nicht übersehen werden, keineswegs dann, wenn Selbständigkeit in einem Berufe von vornherein angestrebt wird, da diese in vielen Fällen erhebliche Mittel zur Voraussetzung hat, wie z. B. bei Brauern, Kürschnern, Metallgießern, Wagenbauern, Gold- und Silberarbeitern etc., während bei anderen Berufen, wie dem der Bäcker, Drechsler, Färber, Sattler etc. auch ein kleineres Kapital für den Anfang genügt.

Nicht weniger als 107 verschiedene gewerbliche Berufsarten bespricht Bezirksschuldirektor Emst Rudolph in Chemnitz in seinem übersichtlich zusammengestellten Buche „Die Berufswahl unserer Söhne“ (Wittenberg, R. Herrosés Verlag), das schon darum der Beachtung dringend zu empfehlen ist und jedenfalls in vielen Fällen ein ausschlaggebender Berather werden kann.

Bei weitem schwieriger als bei den Söhnen gestaltet sich die Berufswahl bei den Töchtern, zumal auch hier ein Vorurtheil zu bekämpfen ist, das immer bedauerlicher um sich greift. Wer wagt heute noch das Wort dienen auszusprechen und von einer „gebildeten Tochter“ zu verlangen, sie solle in eine dienende Stellung eintreten! Daß das dienende Mädchen durch die häuslichen Arbeiten auf seine künftige Stellung als Hausfrau vorbereitet wird, findet meist nicht mehr die geringste Beachtung, und daß die Arbeiten im häuslichen Kreise dem Weibe am angemessensten sein sollten, ist lange ein überwundener Standpunkt!

Auch bei der Berufswahl der Mädchen sind natürlich Neigung, Bildung, körperliche Fähigkeit und etwaige pekuniäre Mittel Faktoren, mit denen gerechnet werden muß. Vor allem sollte aber der Grundsatz, daß das Mädchen naturgemäß in die Häuslichkeit gehört, wieder in erhöhtem Maße zur Geltung gelangen. Läßt sich indeß die Wahl eines Berufes, dessen Schwerpunkt außerhalb des Hauses liegt, aus maßgebenden Gründen nicht vermeiden, so wäge man auch hier die Vor- und Nachtheile der verschiedenen Berufsarten speciell für das in Frage stehende Mädchen genau ab, damit dieses in dem erkorenen Berufe dann wenigstens Erfolg habe und festen Fuß fasse. Auch hier wieder kann ein mit Sachkenntniß verfaßtes Werk: „Die Berufswahl unserer Töchter“ von A. v. Fragstein (Wittenberg, R. Herrosé) und der zweite Abschnitt: ,Was kann ein Mädchen werden?‘ in dem ebenso lehrreichen als anziehend geschriebenen Buche: „Aus der Töchterschule ins Leben“ von Amalie Baisch (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt) gute Dienste leisten.

Und noch ein viertes Büchlein, ein dünnes Heft, das für den geringen Preis von 20 Pfennigen aus dem Verlage der Gewerbeschau (Minden und Wolters) in Dresden zu beziehen ist: „Die Berathung bei der Wahl eines gewerblichen Berufes“ von Oberregierungsrath Dr. Roscher, möchten wir zum Schluß der Beachtung empfehlen. Es stellt die Bedingungen, welche bei der Wahl eines gewerblichen Berufes zu berücksichtigen sind, kurz, aber übersichtlich zusammen und bietet daneben eine sehr dankenswerthe Aufzählung alles dessen, woran bei Abfassung des Kontraktes über Eingehung und Fortführung des Lehrlingsverhältnisses zu denken ist, um jeden unliebsamen Streitfall für die Zukunft thunlichst auszuschließen. So ist in dem Vertrage festzusetzen: die Dauer der Probezeit, Dauer der Lehrzeit, Höhe und Zahlungszeit des Lehrgeldes, Beköstigung des Lehrlings, Verpflegung desselben in Erkrankungsfällen, tägliche Arbeitszeit, Beschaffung der Werkzeuge, Besuch von Fortbildungs- oder Fachschulen u. s. w., alles wichtig genug, um ebenso ernstlich erwogen zu werden wie die Wahl des Berufes selbst. –

„Vermauert ist den Sterblichen die Zukunft“, heißt es zwar in der „Braut von Messina“, aber sie kann erschlossen werden, wenn wir ein festes Ziel hineinverlegen und dieses mit Energie und Umsicht zu erreichen suchen. Dietrich Theden.




Blätter und Blüthen.

Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha. Von diesem hervorragenden Werke, über dessen ersten Band wir in Nr. 17 des Jahrgangs 1888 unseres Blattes ausführlich berichtet haben, ist jetzt der zweite Band erschienen. Kein anderes ähnliches Werk kann sich mit diesem messen, was seine Bedeutung für die Zeitgeschichte betrifft; man wird die Akten derselben nach dem Erscheinen dieser Denkwürdigkeiten unzweifelhaft einer Durchsicht unterziehen müssen. Der Herzog von Gotha, der Schwager der Königin von England, der Neffe des Königs Leopold I. von Belgien, eng befreundet mit dem preußischen Hofe, namentlich dem Prinzen von Preußen, gern gesehen in Wien und auch in Paris, wo er oft mit dem Kaiser Napoleon vertrauliche Unterredungen hatte, stand wie kein anderer im Mittelpunkte der sich vorbereitenden und vollziehenden Zeitereignisse und sah sie unter einem ganz anderen Gesichtswinkel als die Publizisten und Geschichtschreiber, selbst solche, welche den Kabinetten nahe standen. Aus dem Gewirre der sich kreuzenden Interessen der Diplomatie, der herüber und hinüber gesponnenen Fäden erhebt sich indeß das Bild des Herzogs selbst als eines echten und unerschütterlichen Patrioten in trüber Zeit, der für die gute Sache des deutschen Vaterlandes unermüdlich thätig ist.

Der Zeitraum, den uns diese Denkwürdigkeiten schildern, ist für Deutschland selbst in der That einer der trostlosesten; es sind die fünfziger Jahre von den Dresdener Konferenzen 1850 bis zur Gründung des Nationalvereins 1859. In dies Jahrzehnt fallen die beiden großen Kriege, der Krieg gegen Rußland und der italienische Krieg. Beide warfen auf die inneren deutschen Zustände das gleiche unerfreuliche Licht. Längere Zeit hindurch schien Oesterreich geneigt, den Krieg gegen Rußland mitzuführen; am meisten schwankte Preußen. Das übrige Deutschland spielte kaum eine Rolle. Ueber die Verhandlungen, die damals schwebten, die Stimmungen der Fürsten und der Kabinette erhalten wir aus den Denkwürdigkeiten des Herzogs genaue und zum Theil bisher unbekannte Aufschlüsse; zahlreiche Briefe der maßgebenden Fürstlichkeiten ergänzen diese Berichte und die Charakterbilder, welche der Herzog selbst von ihnen entwirft.

In diesen Porträts besteht überhaupt ein nicht geringer Vorzug des Werkes. Wenn der Herzog in unbefangener Weise seine Erlebnisse und Eindrücke schildert, so treten die Gestalten der Machthaber mit jener Klarheit vor uns hin, wie sie der durchsichtige und überaus bezeichnende Stil der Darstellung, welcher dem Werk als schriftstellerischem Erzeugniß einen so hohen Rang anweist, mit sich bringt. Vor allem wird das Bild des Königs Friedrich Wilhelm IV. die lebhafteste Theilnahme erwecken. In allen seinen Briefen erkennt man das oft überströmende Gefühl des Monarchen; aber ihr Inhalt ist ein geistig springender und widerspruchsvoller. Das Ende will in der Regel nicht recht zum Anfang passen. Das herannahende Unheil geistiger Zerrüttung kündigt sich lebhaft an. Herzog Ernst erzählt uns, wie er schon bei dem Manöver bei Halle im September 1857 peinliche Scenen erlebt, die sich seinem Gedächtniß tief einprägten. Er ritt dem Könige zur Seite, als dieser das Gefechtsfeld verließ, um zu seiner Equipage zurückzukehren. Plötzlich winkte er den Herzog näher zu sich heran. „In demselben Moment,“ erzählt uns dieser, „gab er dem Pferde eine Wendung, als wolle er querfeldein reiten, während er dem Gefolge deutete, zurückzubleiben. Ich faßte die Zügel seines Pferdes, welche ihm entfallen waren, da wir an einem scharfen Abgrunde standen. Ich meinte, er wolle mir eine Mittheilung machen, und war gespannt, seine Befehle zu vernehmen; aber in demselben Augenblicke stürzten ihm die hellen Thränen aus den Augen; er schien sprechen zu wollen, rang nach Athem und ergriff mich am Arme. Endlich brachte er einige mir unvergeßliche Worte hervor: ‚Ich bin sehr krank, lieber Herzog, viel kränker als man glaubt. Sie werden mich wohl nie wiedersehen – vergessen Sie mich nicht!‘“

Nicht lange darauf mußte der Prinz von Preußen die Regentschaft übernehmen, welcher dem Herzog von Gotha persönlich nahe stand. Im Gegensatze zu den Briefen des Königs zeichneten sich diejenigen des Prinzen, des späteren Kaisers Wilhelm I., durch ihren festen und klaren Ton, durch ihre ruhige Sachlichkeit aus. Der Prinz war mit der innern und äußern Politik, welche das damals herrschende Regierungssystem befolgte, keineswegs einverstanden. Er trifft stets den Nagel auf den Kopf; in jeder Zeile spricht sich sein gediegener Charakter, seine staatsmännische Tüchtigkeit aus. Die zahlreichen Briefe des Prinzen Albert bilden eine willkommene Ergänzung der Martinschen Biographie; sie sind überaus scharf, oft sarkastisch geschrieben; der Prinz zeigt sich als ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_275.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)