Ein deutscher Fürst als Geschichtsschreiber seiner Zeit
Von Friedrich Hofmann.
Der deutschen Nation ist mit dem Werke des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha „Aus meinem Leben und aus meiner Zeit“[1] ein Buch in die Hand gegeben, welches nach allen, selbst den entschiedensten Parteiurtheilen zu den denkwürdigsten Erscheinungen unserer historischen Litteratur gehört. Selbstverständlich ist es vom höchsten Interesse für alle, welche die geschilderten Zeitereignisse verständnißfähig mit erlebt haben. Wer in der Menge und im Gedränge des Tages mit fortgeschoben wurde oder selbst mit schob, der muß es als eine Wohlthat erkennen, daß er die ganze durchlaufene Bahn noch einmal überschauen kann, aber mit einer Beleuchtung von oben, die es ihm nachweist und verständlich macht, wo auf diesem Gange unvorhergesehene Hemmnisse oder überraschende Vorwärtsstöße zu verspüren waren und warum das sogenannte Schicksal oft so wunderliche und unheilvolle Wege für Deutschlands Weltstellung und Zukunft einschlug. Wir lesen dieses Buch mit doppelter Empfindung; wir empfinden Freude über den Wahrheitsmuth, der hier die Leuchte trägt, und Trauer über das, was wir so oft erleben mußten, um vom rechten Weg zum richtigen Ziel unseres nationalen Auflebens immer wieder abgedrängt zu werden.
Zu der letztern Empfindung, zu der Trauer, ist ganz besonders die Periode unserer Geschichte geeignet, welche im ersten Bande des Werkes uns vorgeführt wird: wir stehen am Ende vor den Tagen von Olmütz, vor dem österreichischen Sieg des wiedererstandenen Bundestags durch Rußlands Gnade, – vor der „Leidensgeschichte des Jahres 1850“, wie der Herzog es bezeichnet.
Wer hier, bei der 616. Seite des Buchs, angekommen ist, der fühlt einen Druck wie von einem erneuten bitteren Leid auf dem Herzen; es ist des Niederbeugenden so viel über uns ergangen, daß wir uns nach den ersten Kapiteln des Werks zurücksehnen, wo Heimath, Haus und Jugend des Herzogs und seines Bruders Albert mit frischen erquickenden Bildern die Seiten füllen.
Wenn andere Autoren in ihren Vorworten sich über Wahl und Behandlung des Gegenstandes ihrer Werke aussprechen, so sieht der Verfasser des vorliegenden Buchs sich genöthigt, vor allem seinen Standesgenossen gegenüber sich das Recht eines solchen öffentlichen Wortes zu wahren. Drei Sätze des Vorworts stellen das entschieden fest:
„Offen spreche ich meine Ueberzeugung aus, daß in unserer vielgeschäftigen, den Erfolg der Dinge oft nur äußerlich beurtheilenden Zeit der Mann der That mehr als jemals das Bedürfniß haben muß, seinen Standpunkt und seinen Antheil am politischen Leben nicht ganz verdunkelt zu sehen.“
„In den Erzählungen der Nachgeborenen wird nur derjenige hoffen können, einen sichern Platz zu behaupten, welcher dafür Sorge getragen hat, daß von seinen Bestrebungen schriftliche Kunde bestehe.“
„Ich kann mich nicht bestimmt finden, mir mein Recht verkümmern zu lassen, die Dinge darzustellen, wie ich dieselben erlebt, empfunden und mitbewirkt habe. Mir war ein halbes Jahrhundert hindurch Gelegenheit geboten, im Vordertreffen zu stehen; ich habe vieles erfahren, die Ereignisse scharf beobachtet, und kein wirklicher Kenner der Zeit dürfte meinen bescheidenen Antheil an den Gestaltungen unseres Vaterlandes in Zweifel ziehen wollen.“
Diesen drei Sätzen möge noch der folgende zum Abschluß aus dem Vorwort dienen: „Mein Leben fiel in eine große Zeit des Ringens um die nationalen Güter; ich habe nie anders als mit Freude und Hingebung mitgearbeitet, immer die großen Resultate im Auge, deren sich die Generation, welcher ich angehöre, nun dankbar rühmen darf. Selbstverständlich wird kein einzelner Mann und vielleicht noch weniger eine einzelne Partei für sich in Anspruch nehmen wollen, immer auf der einzig richtigen Bahn dem Ziele unserer heutigen Entwickelung zugestrebt zu haben. – Das rein sachliche Interesse jedoch, welches meiner Darstellung Freunde erwerben muß, wird für bloßes Uebelwollen keinen Raum gewähren; ich glaube sicher sein zu können, daß meine Aufzeichnungen noch nach vielen [282] Jahren zur Information über unsere merkwürdige Zeitepoche dienen werden.“
Diesen Glauben wird jedermann theilen, der einen Blick auf das Quellenmaterial wirft, über welches die Hand des Verfassers zu verfügen hat; denn neben den öffentlichen und geheimen Archiven und historischen Sammlungen und den seit frühester Zeit sorgfältig geführten Tagebüchern unterstützte sein Unternehmen eine Korrespondenz von unvergleichlichem Werte, welche die hervorragendsten und in ihrer Art bedeutendsten Zeitgenossen umfaßt. Da dem Herzog Ernst in seinem Werke überall, wo die Darstellung das frische Bild des Erlebten wiedergeben soll, diese brieflichen Schilderungen, entweder eigene oder geistesverwandte, zu Gebote stehen; da er nie Behauptungen bringt oder Geheimnisse aufdeckt, die er nicht aktenmäßig aus das klarste beweist; da sein eigenes scharfes Auge selbst so viel gesehen und er mit den wichtigsten Personen der Zeitgeschichte in Verkehr gestanden, und da dem regierenden Fürsten als Schriftsteller bei aller Rücksicht für Lebenserscheinungen in höheren Kreisen, die man nicht der Oeffentlichkeit preisgiebt, am höchsten die Wahrheit in der Geschichte steht, gegen deren Verhüllungen oder Schönfärbereien er sich keine Nachsicht gestattet: so ist aus der zehnjährigen Arbeit allerdings ein Werk entstanden, das für die größte Entwickelungszeit des deutschen Nationallebens immerdar ein hochwichtiges Buch bleiben wird.
Und nun zu unserem Gegenstande! Das Buch beginnt mit der Erzählung des sächsischen Prinzenraubes von 1455 und den mancherlei Beziehungen und Deutungen, die man an die Namensgleichheit jener und der koburgischen Prinzen, Ernst und Albert, knüpfte. An dieselbe fügt der Herzog die Klage über die erste Theilung des Besitzthums der Wettiner, der noch so viele Erbtheilungen in der ernestinischen wie in der albertinischen Linie des sächsischen Hauses folgen sollten – zum Unglück Sachsens, besonders aber zum größten Unsegen Deutschlands. Denn – so fragt Herzog Ernst: „Der große Kurfürst (Friedrich der Weise), welchem das deutsche Volk seine Glaubensfreiheit verdankte, – wäre er nicht der berufenste Mann gewesen, um das Kaiserthum in neue Bahnen zu leiten und seinem Hause zu sichern, wenn alles wettinische Land in seinen Händen gewesen wäre? Der getheilte Besitz gestattete ihm nicht den Muth, die angebotene Krone zu nehmen, welche an Karl V. gelangte.“ –
„Wenn wir so fort theilen, so werden unsere Herzogtümer noch kleiner als Grafschaften“ – dieser Ausspruch aus sächsischem Fürstenmunde hätte fast schon auf das koburg-saalfeldsche Ländchen gepaßt; daß dasselbe, trotz der trübseligen Zustände, in welche es durch die Kriegsaussaugungen und Mißverwaltung gekommen war, nach dem Friedensschluß in wenigen Jahren zu erfreulichstem Gedeihen gelangen konnte, verdankte es den Gliedern der Fürstenfamilie, die sämmtlich sich durch Begabung und treffliche Erziehung, die männlichen außerdem durch Tapferkeit und hervorragende Stellung in den Kriegen gegen Napoleon, die weiblichen durch außerordentliche Schönheit, die übrigens auch den Männern nicht abging, auszeichneten.
Das koburger Völkchen hatte mit seinem Fürstenhaus das bitterste Leid der Kriegsjahre und der Franzosenherrschaft treu getragen und es redlich verdient, nun auch des aufsteigenden Glücks und Glanzes desselben sich mit zu freuen, und das that es in der kräftigen und treuherzigen Weise, die der Frankenart am Thüringerwald eigen ist. Betätigt wurde dies vom ganzen Lande bei der Vermählung des aus dem Befreiungskrieg mit Ehren heimgekehrten Herzogs Ernst I. mit der schönen Prinzessin Luise von Gotha und gleich freudig bei der Geburt des ersten Prinzen, Ernst, der am 21. Juni 1818 im Residenzschlosse Ehrenburg zur Welt gekommen war: die Bevölkerung der Aemter und Städte von Koburg-Saalfeld brachte durch freiwillige Sammlungen ein „Pathengeschenk“ von 12 455 Gulden rheinisch auf, das auf Zinseszinsen bis zu Großjährigkeit des Prinzen angelegt werden sollte.
Der Herzog gesteht: „Ich denke nicht ohne Rührung noch jetzt an dieses Opfer treuer Bürger, das damals nach so vielen Kriegsjahren ein namhaftes war.“
Und als schon am 26. August 1819 auf dem Sommerschloß Rosenau ein zweiter Prinz, Albert, geboren wurde, stand es im Lande fest, daß man das schönste fürstliche Ehepaar im herrlichsten Glück besitze. – Und doch fiel ein Giftthau in diese Rosenblüthe, es kam zur Trennung der Gatten und 1826 zur Scheidung der Ehe. Welchen Antheil das Volk an diesen traurigen Ereignissen nahm, habe ich in dem Artikel „Drei Tage aus dem patriarchalischen Staat“ („Gartenlaube“ 1862, S. 41) zu schildern versucht.
Der Herzog verweist hinsichtlich dieses Ereignisses auf das Buch der Königin Viktoria über den Prinzen Albert und bemerkt dazu: „Für die Welt, welche man mit dem vielsagenden Worte der historischen zu bezeichnen pflegt, können diese persönlichsten Dinge des Menschenlebens nicht für vollwerthig betrachtet werden und sie sinken in das Meer der Vergessenheit, mit all den Thränen, die daran hängen.“
Die mutterlosen Knaben, damals sechs und fünf Jahre alt, zog nun der Vater immer näher an sich; sie waren ihm die liebste Gesellschaft; zugleich galt er als das Haupt der gesammten männlichen und weiblichen Verwandtschaft, da „eine in fürstlichen Familien sehr oft fehlende freundschaftliche Gesinnung alle einzelnen Glieder verband.“
„So innig aber auch der Verkehr unter denselben sein mochte, nichts läßt sich mit der vollkommenen Gemeinsamkeit vergleichen, in welcher ich und mein Bruder mit einander aufgewachsen sind. Von frühester Jugend theilten wir alles in Freud und Leid, was immer das Leben darbot. Und da wir auch nach unserer persönlichen Trennung im intimsten Austausch unserer Gedanken und Pläne verblieben, so darf ich sagen, daß vielleicht selbst in bürgerlichen Kreisen ein Beispiel so enger Verbindung von Brüdern nicht eben häufig vorgekommen sein mag.“
So leitet Herzog Ernst die Geschichte seines brüderlichen Verhältnisses ein, dessen Darlegung und Verherrlichung die schönsten Seiten seines Buches einnimmt. Von besonderem Interesse ist der Bildungsgang beider Prinzen. Während der Vater alle ritterlichen Uebungen der Knaben und Jünglinge überwachte und ihre Abhärtung aufs gründlichste betrieb, verfolgte der Erzieher Florschütz eine eigene Lehrmethode. „Von Hause aus waren wir sozusagen einsprachig aufgewachsen. Das Deutsche war wahrhaft unsere Muttersprache und beherrschte ausschließlich die kindlichen Vorstellungen, ein Umstand, der bei keinem Menschen ohne Einfluß auf die spätere Entwicklung und Denkungsart bleibt.“
Mit dem deutschen Unterricht verband sich der von Professor Hassenstein geleitete in Naturgeschichte, Chemie und Physik in einer damals in deutschen Lehranstalten ungewöhnlichen Ausdehnung. Florschütz selbst unterrichtete in Mathematik, Latein und Geschichte. Französisch und Englisch kamen später dran; aber in allen Sprachen wurde Gutes, im Latein so viel geleistet, daß beide Prinzen später in Bonn an Disputationen theilnehmen konnten.
Das war der Weg, auf welchem beide Prinzen, die schon als Knaben für alles Volksthümliche schwärmten, zu der sie auszeichnenden Vorurtheilsfreiheit gelangten. Herzog Ernst gesteht: „Der unbestimmte politische Freiheitsdrang, von welchem damals fast alle jungen Gemüther in Deutschland erfüllt waren, regte sich auch in uns und wirkte auf unser ganzes Leben ein.“
Die Lehr- und Wanderjahre dieses Lebens begannen, nachdem die Brüder 1835 konfirmirt worden waren, im Mai 1836 mit der ersten großen Reise, auf welcher sie ihren Vater an die Höfe von Holland, England, Frankreich[2] und schließlich nach Brüssel begleiteten, wo sie unter Aufsicht ihres Oheims, des Königs Leopold, ihre wissenschaftlichen und Kunststudien fortsetzten und ihre militärischen begannen. Dies geschah vom Juni 1836 bis Ende Juli 1837. Der ungezwungene Verkehr mit Leuten aller politischen Richtungen, welchen König Leopold seinen Neffen gestattete, hat freilich böse Diplomatenberichte angeregt und in Deutschland hochbedenklichen Eindruck gemacht. Dieselbe Verurtheilung traf auch den nächsten damals für Prinzen gewagten Schritt derselben – zur Universität. Am 3. Mai 1837 wurden [283] beide in Bonn ordnungsmäßig immatrikulirt, und ihr erster Besuch führte sie – zum alten Arndt. Die drei ihnen vergönnten Semester benutzten und genossen sie so, daß ihnen nur liebe Erinnerungen an sie blieben. Das Ende der akademischen Herrlichkeit war zugleich das Ende ihres Zusammenlebens: „der Ernst des Lebens wies jedem von beiden seinen besonderen Weg.“ Hören wir hierüber den Prinzen Albert. „Die Trennung,“ so schreibt er am 26. Oktober 1838 an Prinz Löwenstein, „wird uns furchtbar schwer werden; wir waren bis jetzt, so lange wir denken, keiner noch einen Tag ohne den andern. Ich mag mir den Augenblick gar nicht vergegenwärtigen.“ Ja, das Leben eines jeden von ihnen war so ganz in das des anderen aufgegangen, daß Albert bei der Mittheilung der Abreise seines Bruders an die Großmutter in Gotha sich mit peinlichem Schrecken bewußt wird, daß er sich jetzt das „Wir“ abgewöhnen und sich von nun an des so egoistischen und kalt lautenden „Ich“ bedienen müsse. („Das Leben des Prinzen Albert“ von Martin.)[3]
Albert mußte nun die Vorbereitungen für die englische Verbindung beginnen, er sollte den Winter in Italien zubringen, während Ernst nach Dresden ging, um als Rittmeister in das Gardereiterregiment einzutreten. Aber noch einmal feierte die Freundschaft der Brüder einen Triumph; als am 21. Juni 1839 Ernst mit dem 21. Lebensjahre seine Mündigkeit erreicht hatte, wurde durch einen besonderen Akt der Gesetzgebung auch Albert für mündig erklärt, und zwar, wie die väterliche Urkunde betont: „in Anerkennung des zwischen unseren vielgeliebten beiden Söhnen bestehenden innigen und liebevollen Verhältnisses, welches uns und ihnen es wünschenswert macht, daß sie sich eines so wichtigen und bedeutungsvollen Ereignisses gleichzeitig erfreuen mögen.“
Am 15. Oktober 1839 war die Verlobung, am 10. Februar 1840 die Vermählung Alberts mit Königin Viktoria erfolgt. Während Albert sich seinem neuen Beruf widmete, setzte Ernst sein Soldatenleben in Dresden fort, bis auch ihm die Ehepforte winkte. Auch die Gattin verdankte er einem Winke seines Bruders. Auf seinen Rath begab er sich, nachdem die ihm sehr gewogene Königin von Sachsen ihm einleitende Vermittelung zugesagt, mit Beistimmung seines Vaters an den Hof von Karlsruhe. Obwohl von den Eltern der Prinzessin freundlich aufgenommen, stellten doch beide sich fremd für den Zweck jenes Besuches; er mußte ihn endlich selbst aussprechen und erfuhr nun, daß sie mit ihrer Einwilligung auf die der Tochter warteten. Die Prinzessin kam und die Eltern gingen, um die jungen Leute sich selbst zu überlassen. „Es war ein Moment der Sprachlosigkeit,“ erzählt der Herzog – „aber da galt’s kein Zögern und – so sagte ich gerade heraus, daß ich gekommen sei, nur um ihre Hand zu werben. Entweder erklären Sie, daß Sie mit meiner Absicht einverstanden sind, und alsdann bleibe ich und wir lernen uns näher kennen, oder – ich verlasse dieses Haus in der guten Ueberzeugung, daß niemand weiter von der Sache erfährt, die sich hier zugetragen hat.“
Und die Prinzessin? – Sie sagte. „Es könne ihr nichts besser gefallen, als einen Mann zu finden, der so gerade heraus, frei und ehrlich mit ihr spreche, – das Sichkennenlernen führe im Leben oft erst recht zu Täuschungen, und das Beste wäre Glauben und Vertrauen. So schlug sie ein und erklärte, daß wir gleich als verlobte Brautleute erscheinen könnten.“
Das war die Brautwerbung, die den Herzog so glücklich machte, daß er (am 7. April) an König Leopold schreiben konnte. „An Alexandrine hat mich der Himmel finden lassen, was nur je für mich zu wünschen war.“ Die Hochzeit fand schon am 3. Mai 1842 statt und die Honigmonate verlebten sie bei dem englischen Ehepaare. Im nächsten Jahre, 20. April 1843, hatten sie im Auftrag des Vaters der Vermählung des Vetters August (von Koburg-Kohary) mit Prinzessin Clementine beizuwohnen, ohne zu ahnen, daß schon der erste Mond des nächsten Jahres sie an den Sarg des Vaters stellen sollte. Herzog Ernst I. war am 29. Januar 1844 in Gotha gestorben.
Vom Regierungsantritt Herzog Ernsts II. in Koburg und Gotha bis zum Jahre 1848 ist’s nur ein Zeitraum von vier Jahren, aber der Herzog wußte diese in beiden Ländern so zu verwenden, daß der Sturm jenes Jahres sie nur wenig erschütterte. Was er aber in den Jahren der Erhebung und des Rückgangs in Schleswig-Holstein, für das Parlament von Erfurt, für den Fürstenbund gewirkt und gelitten bis zum Untergang der letzten Hoffnung, daß Deutschland durch Preußen gerettet werde, in Olmütz: darüber kann man nicht kurz berichten, das muß man lesen, um Geist und Herz des Verfassers des Buches gerecht zu würdigen. So weit führt uns der erste Band des fürstlichen Geschichtswerkes. Vom geistigen Zusammenleben der Brüder bis zu Alberts Tode, am 14. Dezember 1861, würde der folgende Band des Werkes gerade über die großartig entfaltete Wirksamkeit des Prinz-Gemahls in England selbst, wie über seine steigende Theilnahme an den Schicksalen Deutschlands gewiß ebenso viel Erquickendes wie Erschütterndes bringen. Der Herzog übergiebt, wie wir hören, nur bis zum Jahre 1871 seine Erinnerungen der Oeffentlichkeit. Wir fühlen im Voraus, mit welchem aufleuchtenden Auge Herzog Ernst das Ende seines Buchs dahin setzt, wo alles erreicht war, was auch er sein ganzes Leben lang offen, treu und redlich erstrebt hat. Verlangt jemand noch ein Zeugniß dafür? Hier stehe es aus dem Buche selbst: „Es war in Versailles, an jenem 18. Januar, wo die Fürsten unmittelbar vor dem Beginn der weltberühmten Feierlichkeit sich um den Kaiser versammelt hatten. Als er mich begrüßte, sprach er öffentlich die folgenden Worte.
‚Ich vergesse nicht, daß ich die Hauptsache des heutigen Tages Deinen Bestrebungen mit zu danken habe. ’
Der Kaiser bezeichnete damit, nur in allzu persönlicher Weise, wie sich im momentanen Drang der Gefühle leicht erklärte, die Thatsache, daß das Eintrachtswerk nie gelungen wäre, wenn nicht eine Anzahl von gesinnungstreuen Männern durch ein halbes Leben die Bausteine zusammengetragen hätten.“ – Wer zweifelt an einem Zeugniß, das dem Herzog Ernst sein Kaiser Wilhelm ausgestellt hat?
- ↑ Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz (Besser’sche Buchhandlung), 1887.
- ↑ In Paris, wo Erbprinz Ernst rasch die Gunst Louis Philipps gewann, würde damals eine Verbindung desselben mit der Prinzessin Clementine eingeleitet worden sein, wenn nicht die Konfessionsunterschiede dazwischengetreten wären. Später heirathete Clementine einen Vetter des Herzogs, den Prinzen August von Koburg-Kobary; ihr Sohn ist der bulgarische Fürst Ferdinand.
- ↑ Auch poetische Zeugnisse sind für das ungeschwächte Gefühl dieses Trennungsleides vorhanden. So liegt vor mir ein „Gruß an den Bruder“:
„Hat so lang’ mein Lied geschwiegen,
Soll es heute auferstehn
Und aus süßem Schlaf Dich wiegen
Durch der Klänge zartes Wehn.
Ist auch noch so weit die Reise,
Trägt’s ein Zephyr hin zu Dir,
Und es flüstert dann ganz leise:
‚Denkst des Bruders Du auch hier?‘
Von der Heimath, von dem Norden
Von der Jugend stillem Glück
Spricht es, schwebend in Accorden,
Leitet hierher Deinen Blick.“Dieser des Bruders zarterem Gemüth so sinnig angepaßte Gruß steht in einer fürstlich ausgestatteten Sammlung von Poesien, die unter dem Titel. „Aus frühen Tagen. Gedichte von E. H. z. S.“ – „als Manuskript gedruckt“ sind und nur als Geschenk des Herzogs in andere Hände kommen.
D. V.