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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Julius Wolff ist durch seine volkstümlichen Neudichtungen älterer Sagen ein Liebling des Publikums geworden. Die neue Heirathsgeschichte knüpft an eine Rechtsbestimmung an, der zufolge der Landesfürst das Recht hat, die Güter eines Hagestolzen zu konfisciren, sobald derselbe das fünfzigste Lebensjahr überschritten hat. Wir werden nun in die Kreise der Raubritter eingeführt, die auf den Burgen am Neckar zwischen Heilbronn und Heidelberg hausen. Drei Brüder, drei Ritter von Steinach, leben hier zusammen; der eine von ihnen, Hans, eine ehrliche naive Natur, ist ein Hagestolz, der fast an jenes verhängnißvolle Alter heranreicht; er ist ein fanatischer Gegner der Ehe und hat besonders einen unüberwindlichen Abscheu gegen Schwiegermütter. Vom „Recht der Hagestolze“ weiß er nichts; wohl aber hat sein Bruder Bligger, ein Intrigant, doch der beste Kopf der raubritterlichen Familie, darüber Erkundigungen eingezogen und sich mit den andern Familiengliedern sowie mit den nächsten Freunden darüber verständigt, man müsse Hans verheiraten, damit sein Erbe nicht dem Pfalzgrafen anheimfalle. Eine schöne Witwe, die in der Nachbarschaft auf der Minneburg lebt, wird ausersehen, die Braut von Hans zu werden, obschon die Steinachs mit dieser Juliane von Rüdt auf gespanntem Fuße stehen und mit ihrem früheren Gatten in offener Fehde gelebt haben. Allerdings hatten Hans und Juliane früher einmal große Zuneigung für einander empfunden.

Die Erzählung führt uns nun vor, in welcher Weise die Anknüpfung zwischen den beiden Häusern ins Werk gesetzt wird, wie in Juliane und Hans wieder die alte Neigung erwacht, wie dieser aber trotz seiner Liebe anfangs seine Ehescheu bewahrt, während die Versöhnung der Familien plötzlich wieder einen harten Stoß erhält, als Juliane von einer intriganten Freundin in die Geheimnisse des Hagestolzenrechts eingeweiht wird und in der Bewerbung von Hans jetzt schnöden Egoismus sieht. Doch sie wird bekehrt, als sie erfährt, daß er sich für sie mit einem Nebenbuhler geschlagen; er wird durch seine leidenschaftliche Liebe von seinem Ehehaß geheilt, und so schließen sie nach einem romantischen Zwischenfall im Kloster Sinsheim den Bund fürs Leben.

Die Galerie der Frauencharaktere in diesem Roman wird ergänzt durch die muntere, unternehmungslustige Sidonie und die schöne eifersüchtige Jüdin Josephine.

An und für sich wird man dem Treiben der alten Raubritter nur geringe Sympathien entgegenbringen; doch der Dichter läßt auf ihr räuberisches Tagewerk und ihre blutigen Fehden nur hier und dort ein flüchtiges Streiflicht fallen. Dagegen führt er uns in die Gefühlswelt und das häusliche Leben der Burgbewohner und Burgbewohnerinnen; die Mädchenbilder sind reizend, wenn auch etwas modern; die Naturscenerie, die hohen Burgen am Neckar, die Flußufer, die anmuthigen Waldverstecke sind stimmungsvoll geschildert; hier und dort bricht auch ein kerniger Humor durch und das mittelalterliche Kolorit ist ohne zu aufdringliche Manierirtheit gewahrt, obschon man bisweilen glaubt, in diesen faustrechtlichen Kämpen verkleidete moderne Feudalherren und in diesen Ritterfräuleins moderne junge Pensionsdamen zu erblicken.

Wir sehen, unsere Erzähler schlagen sehr mannigfache Töne an; der Büchertisch erzählt uns viele spannende Geschichten, aber er erzählt uns auch, daß wir viele begabte Schriftsteller besitzen, welche nicht schablonenhaft schreiben, sondern ihre geistige Eigenart behaupten und für den Reichthum unseres deutschen geistigen Lebens auch auf diesem Gebiete Zeugniß ablegen.

Rudolf v. Gottschall.     





Blätter und Blüthen.


Der Berliner Bazar für die deutsche Bühnengenossenschaft. Seit dem 6. Mai ist in Berlin ein Bazar eröffnet, dessen Ertrag der Verbindung deutscher Schauspieler und Schauspielerinnen und ihren rühmenswerthen Tendenzen, für das Wohl des Standes in jeder Hinsicht zu sorgen, zu gute kommt. Die vornehme und reiche Welt, Künstler und Schriftsteller haben für die Ausstattung dieses Bazars willkommene Gaben beigesteuert.

Es war sehr schwer, das leichtlebige Theatervölkchen unter einen Hut zu bringen und in einer großen Organisation zusammenzuschließen. Nicht einmal ein Pensionsinstitut wie die „Perseverantia“, dem die Leitung des Berliner Hoftheaters ihre eifrige Fürsorge zuwendete, konnte früher Dauer finden. Und doch hat kein anderer Stand eine so prekäre Existenz wie derjenige der Schauspieler, und ein großes Proletariat erzeugte sich stets von neuem aus seiner Mitte. Abhängig von den Direktoren, die bei den kleinen Bühnen und Wandertheatern sich selbst stets an jenem Abgrunde bewegten, in dem die verkommenen Existenzen versinken, abhängig von ihrer durch Krankheit und Alter stets bedrohten Leistungsfähigkeit, sind sie mehr als die Mitglieder anderer Stände darauf angewiesen, durch festen Zusammenhalt sich zur Wehr zu setzen gegen die Heimtücke des Schicksals.

Als die Intendanten und Direktoren den Bühnenkartellverein begründet, um ihre Interessen zu wahren und besonders kontraktbrüchigen Künstlern den Paß zu verhauen, da kam auch die Bewegung in Schauspielerkreisen in Fluß. Die Vereinsbühnen wollten über ein Theatergesetz verhandeln; da meldeten sich auch die Künstler zur Betheiligung und ein zündender Brief Ludwig Barnays verlangte, daß jene Zusammenkunft zu einem allgemeinen Bühnenkongreß erweitert werde. Obgleich dies von Herrn von Hülsen abgelehnt wurde, so bot er doch die Hand zu Verhandlungen. Der Stein war einmal ins Rollen gekommen, ein allgemeiner Bühnenkongreß die Losung. Am 17., 18. und 19. Juli 1871 tagte derselbe in Weimar; hier wurde die Bühnengenossenschaft gegründet unter dem Vorsitze Hugo Müllers vom Wallnertheater, eines der eifrigsten und tätigsten Vorkämpfer der Interessen des Schauspielerstandes. Nicht leichtfertig stimmte man über die wichtigsten Vorlagen ab; sie wurden an Kommissionen zu eingehender Berathung verwiesen.

Die Hebel der Reform wurden überall an der rechten Stelle eingesetzt. Gegenüber der Willkür kleiner Theaterpaschas, welche sich ihre Theatergesetze nach Gutdünken ausarbeiteten, wurde ein allgemeines Disziplinargesetz entworfen, mit gleichem Recht und gleichen Verpflichtungen für alle, ebenso ein allgemeines Kontraktsformular. Bis zum heutigen Tage seit dem Beginne des Vereins dauert der Protest gegen das Gewerbegesetz, welches das Theater in unliebsame Nachbarschaft mit höchst zweifelhaften Vergnügungsinstituten brachte und trotz aller wenig beachteten Klauseln nie zu hindern vermochte, daß Bühnenleitungen in unfähige und unsaubere Hände kamen.

Das wichtigste aber war die Begründung des Pensions- und Hilfsvereins, durch welche dem Schauspielerstande die bange Sorge um die Zukunft genommen und eine frische und freudige Berufstätigkeit ermuthigt wurde. Wer heute die lange Liste der Pensionäre des Vereins durchsieht, deren Zahl über 500 hinausgeht, der muß sich von dem großartigen segensreichen Wirken der Bühnengenossenschaft überzeugen, die jetzt auf breiter Grundlage festgegliedert dasteht und die Früchte einsichtiger und entschlossener Selbsthilfe erntet. Nach vielen Tausenden zählen ihre Mitglieder und über alle deutsche Lande hat sie das Netz ihres Wirkens ausgespannt. Viel ist gethan, viel bleibt noch zu thun, auch für die Witwen und Waisen und der Berliner Bazar wird für die weitere Ausdehnung thätiger Fürsorge neue Mittel an die Hand geben.

Wie viele von den Tausenden, die sich der Bühne widmen, hegen vermessene Unsterblichkeitsträume und es ist wahrlich nicht verwerflich, in der Kunst das Höchste leisten zu wollen. Die Enttäuschungen bleiben nicht aus; die Stimmung der großen Mehrzahl der Künstler ist die der Resignation. Doch auch bei der Bescheidung auf das Nächste, bei solcher Herabstimmung kühnerer Hoffnungen bleibt ein dunkler Punkt in der Ferne, der auch die solide Tüchtigkeit lähmen kann: die Möglichkeit, der schwersten Noth zu verfallen bei jeder länger andauernden Erkrankung; ohne körperliche Rüstigkeit ist die Schauspielkunst ja kaltgestellt. Früher oder später wird der Künstler zum Invaliden und für ihn gab es bisher keine Invalidenversorgung. Jetzt hat sich der Künstlerstaat selbst organisirt und die Zukunft derer, die ihm angehören, sichergestellt. Das ist die Hauptbedeutung der Genossenschaft, die aber auch sonst tapfer den Kampf ums Dasein dem einzelnen Künstler kämpfen hilft.

Gern erweist sich das Publikum dankbar für jeden Kunstgenuß; die zahlreichen Wohlthätigkeitsspenden beweisen dies, welche der Genossenschaft zufließen und auch das ist ihr Verdienst, daß die Gebelaune der Kunstfreunde jetzt weiß, wohin sie ihre Spenden zu richten hat, wo sie aus besten aufgehoben sind und am gerechtesten vertheilt werden. Das hat auch die Theilnahme am Bazar in den weitesten Kreisen gefördert; auch er wird helfen, Leiden zu mildern und Thränen zu trocknen, etwas Sonnenschein zaubern in vergrämte, späte Lebensjahre und manchem Kunstveteranen einen Stab und eine Stütze bieten als Ersatz für den längst entblätterten Lorbeerkranz.





Ein Veteran des Jungen Deutschlands. Am 22. April starb in Dresden Gustav Kühne, im zweiundachtzigsten Lebensjahre, der letzte der Schriftsteller, welche einst zum Jungen Deutschland gerechnet wurden. Unsere Leser werden sich wohl darauf besinnen, daß bald nach der Julirevolution in Deutschland eine Zahl jüngerer Schriftsteller freigeistiger Richtung, welche ist der Litteratur und dem gesellschaftlichem Leben mit stürmischem Eifer Reformen anstrebten, unter diesem Namen zusammengefaßt wurde. Der Bundestag verbot ihre Schriften; es waren neben Heinrich Heine besonders Heinrich Laube und Karl Gutzkow, Männer von großem Talent, die sich später durch ihre Schöpfungen auf dem Gebiete des Dramas und Romans einen dauernden Ehrenplatz auf dem deutschen Parnaß eroberten. Gustav Kühne gehörte damals nicht mit zu den Geächteten; aber er schloß sich dieser Richtung an, wenn er auch unter den Stürmern und Drängern der maßvollste war.

Er hat ein hohes Alter erreicht; auf das Junge Deutschland sah er eine andere jüngere Generation folgen und neuerdings tauchte wieder ein junges Deutschland auf, welches eine Revolution der Litteratur auf seine Fahne schreibt.

Gustav Kühne war am 27. Dezember 1806 zu Magdeburg geboren; er studirte in Berlin, wo er zu den Füßen von Hegel und Schleiermacher saß. In die feinen Gedankengespinste dieser Hochmeister des deutschen Geistes vertiefte er sich mit andächtiger Hingebung und ein

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