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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

noch viel lernen, bis meine Arbeiten den Redactionen annehmbar erschienen. Doch wieder fand ich wohlwollende kluge Rathgeber und hatte endlich die Freude, daß die „Gartenlaube“ meinen „Krieg um die Haube“, dem „Glockenstimmen“ und „Fanfaro“ seitdem gefolgt sind, aufnahm. Auch die Kindergeschichten wurden in Lohmeyer’s „Deutscher Jugend“ und andern Jugendschriften abgedruckt; jetzt werden sie zu Weihnachten, mit hübschen bunten Bildern versehen, den Kindern vorgelegt.

So war denn ein Ziel erreicht.

Aber wo blieb die schrankenlose Freude, die ich mir beim Beginn meines Strebens vom erreichten Ziel versprochen hatte? Wie Viele von Denen fehlten, mit denen ich sie hatte theilen wollen! Ein kleiner Kreis nur noch ist es, der am Weihnachtsabend die Fichte umsteht, an der ich die Wachslichter anzünde. Still, in wehmüthigem Gedenken sehen wir sie niederbrennen. Aber aus dem dunklen Wipfel tönt die ernste Mahnung: „Fordere nicht mehr als ein Erdenloos. Seit zwei Jahrtausenden stehe ich an dem hohen Fest des Jahres bei deinem Volk, und ich sah allezeit Freud und Leid gemischt euch zugewogen. Glück schon war es, mit edlen Menschen in Gemeinschaft verbunden gewesen zu sein, die reine Erinnerung an sie mit durch das Leben nehmen zu dürfen.“

Und vor mir liegt ein reiches Tagewerk fröhlicher Arbeit, die Aussicht auf ein Dasein, das ich nach meiner Eigenart mir ausgestalten darf. Nicht die am wenigsten genußreichen Stunden sind es, die ich in meinem Heim verlebe. Es ist durchwebt mit vielen alterthümlichen Gegenständen; denn solche sind meine zeitgemäße Liebhaberei. Dann sitze ich in meinem Rococostübchen voll krummbeiniger, mit vergoldeten Muscheln und Schleifen verzierter Möbel und freue mich an den „Kaffeeschälchen“ von altem Meißner Porcellan und dem noch ältern Schränkchen mit Kugelfüßen und zierlich in Holz eingelegten Blumen und Früchten, das meine Münzsammlung enthält.

Und auch diese stumme Umgebung vertraut mir Manches an. In der Dämmerstunde wird Alles lebendig. Im Winkel der eiserne Harnisch eines Stadtsöldners, der aus dem Freihaus stammt, das meine Vorfahren besaßen, auf dem Bücherbord das alte Kräuterbuch, welches ein Zeitgenosse Luther’s schrieb, auf dem Riedinger’schen Kupferstich der Reiter mit dem dreieckigen Hütchen und endlich der Guckkasten meines Urgroßvaters, in dem gepuderte Damen in der Menuet knixen, schwere Staatscarossen mit Straußfederbüschen dahinhumpeln und alle möglichen Soldaten, die der alte Fritz commandirte, aufmarschiren oder dreinhauen, je nach der Waffengattung, der sie angehören.

Dann ist’s mir, als hörte ich raunen: „Eile dich; zünde die Lampe an, daß du niederschreibst, was wir dir erzählt haben; denn du bist noch lange nicht an deinem Ziel.“

Und sie haben Recht.

Auch noch in einem andern Sinne, als solch ein Dämchen mit Reifrock und Schminkpflästerchen sich träumen läßt. Denn wie man beim Hinaufklimmen erst die ganze Höhe des Berges ermißt, so sah auch ich ein, daß, was ich für das Ziel hielt, nur eine Stufe zu demselben war.

Ich erkannte, daß die poetische Arbeit nicht alleiniger Zweck sein darf, sondern daß das letzte Ziel jedes menschlichen Lebens darin besteht, die ewige Wahrheit im Wechsel der Erscheinungen zu suchen. Das thut der Componist, wenn er alle Dissonanzen in Harmonien auflöst, der Schriftsteller, wenn er die Conflicte stellt, wie das Leben sie bietet, und die Lösung sucht nach höchstem sittlichen Gesetz.

Horch! die alte Uhr hebt aus, die seit einem Jahrhundert in meiner Familie frohe und traurige Stunden geschlagen hat. Sie brummt erst ein Weilchen, wie alte Leute gern thun, dann kündet sie mit heller Stimme die Arbeitsstunde an.

Wohlauf denn! damit einst meine freundlichen Leser und Leserinnen mit gutem Gewissen sagen können: „Sie hat ihr Ziel erreicht.“ Stefanie Keyser.     


Vom Weihnachtsbüchermarkt.

III.

Wer mit dem Gedanken an seine Lieben zum Büchertisch des Weihnachtsmarktes eilt, dem schweben auf seinem Wege neben den unvermeidlichen Bilderbüchern für die Kleinen in der Regel auch Gedichte in festlichem Einbande vor Augen, und wenn er sonst das ganze Jahr die Prosa selber wäre. Da sich also mit den Christfesttagen für unsere dichterischen Schöpfungen die glückselige Zeit ihrer größten Beachtung naht, so dürfen wir nicht säumen, unsern Lesern auf dem großen Gabentische Dasjenige anzuzeigen, was sie mit voller Befriedigung im Bescheerungspakete mit heimtragen können.

Besonders beliebt als Festgeschenke sind Sammlungen aus dem Reichthum unseres Dichterwaldes. Da finden wir: „Deutsche Lyrik der Gegenwart seit 1850. Eine Anthologie mit biographischen und bibliographischen Notizen. Herausgegeben von Ferdinand Avenarius. Dresden, Louis Ehlermann, 2. Auflage 1884.“ Das Werk zeichnet sich durch die Strenge seiner Auswahl aus. Die Ausstattung im Aeußern und Innern zeugt von feinem Geschmack.

In einfacherem Gewande und mit geringeren Ansprüchen tritt daneben ein „Sächsisch-thüringisches Dichterbuch, herausgegeben von G. Emil Barthel (Halle an der Saale, Otto Hendel)“ auf. Es schließt sich würdig an das früher erschienene „Neue Münchener Dichterbuch,“ herausgegeben von Paul Heyse, an, welches allerdings berühmtere Dichternamen aufzuweisen hat. Ist das Barthel’sche Buch auch nur ein Provinzial-Musenalmanach, so kommt es doch aus dem sangreichen Herzen Deutschlands, dem es nie an Dichternamen gefehlt hat, die auch jenseit seiner engen Grenzen guten Klang haben.

Auf den Bescheerungsplatz für „höhere Töchter“ bis zu den Bräuten hinan gehört die in jeder Beziehung mit Geschmack und Pracht ausgestattete Festgabe: „Im Kranze des Jahres. Ein Gedenk- und Gedichtbuch für’s Haus. Mit 12 Illustrationen in Farbendruck, nach Aquarellen von Julius Hoeppner. 2. Auflage. Leipzig, E. Zehl.“ Wir haben mit diesem Buche nichts mehr und nichts weniger, als einen höchst eleganten Kalender vor uns. Jeden Monat führt eines der 12 Farbendruckbilder, lieblichste Genien- und Kindergruppen, ein, dann folgen 4 Seiten Gedichte, 2 liniirte Seiten zu Einzeichnungen für Gedenktage und 4 leere Blätter für Notizen etc. Der poetischen Beigaben sind es 59 von 47 Dichtern ersten Ranges.

Beiden Geschlechtern für die richtige Lenkung der Herzen zum Glück gewidmet sind: „Liebesgrüße. Blumen aus dem Garten der Poesie, gesammelt von Julie Dohmke. Mit 12 Illustrationen nach Zeichnungen von J. G. Fuellhaas. Leipzig, Friedrich Brandstetter.“ Die Herausgeberin sagt ausdrücklich, daß sie aus diesen Liebesgrüßen die Klage gänzlich verbannt habe, damit sie der Jugend einen Frühlingsgruß glücklicher Liebe und dem Alter das Echo freundlicher Erinnerungen bringen.

Die „Liebesgrüße“ gelten auch den Müttern, aber die Mutterwürde steht doch zu hoch, als daß ihr nicht ein eigenes Buch gebühren sollte. Ein solches liegt auf dem Gabentisch, und es ist da entstanden, wo die Poesie des Familienlebens schon so viel Schönes gedeihen ließ: in einem protestantischen Pfarrhause. Von Julius Hartmann empfingen wir einen „Liederschatz der deutschen Mutter. Fünfhundert den Müttern gewidmete Dichtungen aus drei Jahrtausenden gesammelt. Stuttgart, Paul Neff.“ – „Bei meinen Kindern,“ sagt der Verfasser, „unter den Augen ihrer Mutter, ist diese Sammlung im Haus für das Haus entstanden, uns Eltern eine reiche Quelle der Freude und des Trostes, Vielleicht findet auch in anderen Häusern manch gutes Wort daraus einen guten Ort.“ Die Ausstattung des trefflichen Buches ist eine ganz weihnachtfestliche.

Ein in diesem Jahre zum fünfundzwanzigsten Male erscheinendes Album ist „Deutsche Kunst in Bild und Lied. Originalbeiträge deutscher Dichter, Maler und Tonkünstler, herausgegeben von Albert Traeger. Leipzig, Berlin, Wien, Julius Klinkhardt“. Herausgeber und Verleger haben für diese „Jubiläums-Ausgabe“ das Beste geleistet. Die künstlerische Ausstattung ist die bekannte von der Kunstanstalt von J. G. Bach in Leipzig, unter den Dichtern finden wir nur gute Namen der Lyrik der Gegenwart, und die Namen der Componisten sind Victor Neßler, Franz Oberreich und Albert Tottmann. Ein Verzeichniß der Mitarbeiter am Werke seit 25 Jahren zählt 274 Dichter, 291 Maler und 45 Tonkünstler auf. Von diesen 610 schaffenden Geistern ist eine große Anzahl heimgegangen. A. Traeger’s Weihelied schließt mit den Versen:

„Mag flüchtig unser Werk verwehen,
Noch eh’ von uns der Letzte schied,
Wird doch in Ewigkeit bestehen
Die deutsche Kunst in Bild und Lied!“

Aus der Verlagshandlung von Breitkopf und Härtel in Leipzig sind drei Liederbücher hervorgegangen, welche innerlich und äußerlich ein zusammengehöriges Trifolium bilden. – Wir stellen voran „Deutsche Soldaten- und Kriegs-Lieder aus fünf Jahrhunderten (1386 bis 1871). Gesammelt und herausgegeben von Hans Ziegler“ (in Stuttgart). Ein Buch, das jedem denkenden Leser ohne weiteren Commentar das Leben und Treiben der deutschen Soldaten während eines halben Jahrtausends veranschaulicht, ist ohne Frage jetzt für jeden deutschen Jüngling und jungen Mann ein werthvolles Festgeschenk.

Als zweites nennen wir das „Allgemeine Reichs-Commersbuch für deutsche Studenten. Begründet von Müller von der Werra, neu herausgegeben von Felix Dahn und Karl Reinecke. 7. Auflage. Mit einem Titelbild von A. von Werner.“ Dieses Unternehmen verdankt sein Glück der Stimmung der Zeit, in welcher es in’s Leben trat. An der Neugestaltung desselben arbeiteten zwei Männer sich Hand in Hand, deren Namen dafür bürgen, daß sie ein würdiges Festgeschenk für die akademische Welt geliefert haben.

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