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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Menschen ihr Leben im aufreibenden Kampfe mit dieser Natur und mit der bittersten Armuth verbringen, wurde Mathias Schmid am 14. November 1835 als der jüngere Sohn eines mäßig begüterten Landwirths geboren. Da nach dörflicher Sitte das väterliche Anwesen dereinst dem älteren Bruder zufallen sollte, mußte sich Mathias nach Vollendung der Schuljahre zur Wahl eines Handwerks entschließen – und da äußerte nun der aufgeweckte Knabe, der schon in der Schule durch seine „Kreidezeichnungen nach der Natur“ die in ihm schlummernde Begabung bekundet hatte, das Verlangen, ein Maler zu werden, wobei er wohl selbst vorerst nur an jene Gattung von „Malern“ dachte, die der Bauer zu berufen pflegt, wenn er das Grab eines lieben Todten mit einem halb bemalten, halb vergoldeten Kreuze zu schmücken wünscht.

Der Vater war mit den Plänen seines Sohnes einverstanden und brachte denselben in das bei Imst gelegene Dorf Tarrenz zu einem „Maler und Lackirer“, in dessen Hause Mathias nun ein paar Jahre hindurch die ganzen bitteren Schmerzen einer richtigen Lehrlingsmisère zu kosten bekam. Aber inmitten solch einer nüchternen Existenz und einer oft entwürdigenden Beschäftigung erwachte in ihm das Bewußtsein seiner Begabung und die Erkenntniß, daß er das Ziel seines Lebens weitab von seiner jetzigen Lage und hoch über derselben zu suchen habe. Wieder wußte er den Vater für sich zu gewinnen – und so zog er im Herbste 1853, mit spärlichen Mitteln ausgestattet, nach München. Hier führte ihn sein erster Gang zur Akademie, und da wollte es der Zufall, daß er unter dem Thore derselben einen jungen Landsmann traf, der ihm das Künstlerleben in München, den theuren Aufenthalt und die Zustände an der Akademie in den düstersten Farben schilderte. Durch solch einen Empfang eingeschüchtert und entmuthigt, wandte Mathias dem Hause, dem er sich freudig klopfenden Herzens genaht hatte, wieder den Rücken und trat, da er bei angestrengter Arbeit sein Hoffen und Sehnen leichter unterdrücken zu können meinte, bei einem Vergolder als Gehülfe ein. Das wahre Talent läßt sich aber nicht ersticken – und so sehen wir Mathias Schmid all jenen Abmahnungen zum Trotze bereits ein halbes Jahr später als Schüler der Akademie der Künste, wo er durch seine seltene Begabung gar bald die Aufmerksamkeit der Lehrer auf sich lenkte.

Nun folgten Jahre des rastlosesten Lernens und Schaffens, aber auch Jahre solch drückender Entbehrungen, daß es in der That eines so hoffnungsfreudigen Künstlermuthes bedurfte, wie ihn Mathias im Herzen hegte, um die jung erkeimenden Kräfte schadlos darüber hinwegzutragen.

Als ein frommer Sohn seines frommen Volkes hatte sich Schmid der kirchlichen Malerei zugewendet, aber gerade die Wahl dieser Richtung verhalf ihm zu einer Enttäuschung, deren empfindliche Wirkung in seinem gläubig vertrauenden Gemüthe einen nachhaltigen Mißklang erweckte. Auf Betreiben seiner Verwandten hatte ihm seine Heimathgemeinde den Auftrag ertheilt, für die Dorfkirche drei Altarblätter zu malen, mit dem Bemerken, daß die hiefür aufgebrachte Summe beim Herrn Caplan deponirt läge und ihm nach Vollendung der Entwürfe eingehändigt werden solle. Mit einem freudigen Feuereifer machte sich Schmid an die Arbeit. Als die drei Cartons vollendet waren, war auch der letzte Rest seiner Baarschaft bis auf eine Summe zusammengeschmolzen, die knapp noch zur Rückkehr in die Heimath reichte. Statt aber hier den Lohn seines Fleißes zu ernten, empfing er die Mittheilung, daß der Caplan das für den Ankauf der Altarblätter gesammelte Geld zur Stiftung einer Lignorianermission verwendet habe.

So sah sich Mathias seiner letzten Mittel entblößt und zugleich der einzigen Hoffnung auf eine Möglichkeit seiner Weiterbildung beraubt. Sein Vater war inzwischen verstorben – und die Geschwister wagten dem Bruder keine Hülfe zu bieten aus Furcht vor dem Caplan, den sich Mathias durch Aeußerungen seiner gerechtfertigten Entrüstung zum unversöhnlichen Feinde gemacht hatte.

Dieser Widersacher bezeichnete den jungen Künstler allen Dorfinsassen gegenüber als prädestinirt für die ewige Verdammniß, ließ ihm durch die Schwester die mitgebrachten Werke Schiller’s confisciren, und wenig fehlte, daß Schmid eines Sonntags durch Gensd’armen zur Kirche escortirt worden wäre. So war in der Heimath nicht länger seines Bleibens; halbgebrochenen Muthes und grollenden Herzens verließ er das elterliche Haus, um Zuflucht bei einem Freunde in Innsbruck zu suchen. Hier nun ließ das Glück ihn ganz unerwartet einen Gönner finden, durch dessen Vermittlung er vom Tiroler Landtage auf vier Jahre ein Stipendium „für christliche Kunst“ zugesprochen erhielt. Von frischem Muthe beseelt, kehrte Mathias nach München zurück zu neuer Arbeit – und zu glücklichem Wiedersehen mit einem geliebten Mädchen, dessen treue Neigung ihn die trüben Sorgen der letzten Jahre leichter hatte überdauern lassen.

Schmid war zu gewissenhaft, der ausdrücklichen Bestimmung des Stipendiums zuwider zu handeln – aber die Heiligen und Apostel wollten ihm nicht mehr so recht von Herzen kommen. Die Erlebnisse in der Heimath hatten ihm über so manche Dinge die Augen geöffnet, an denen er bisher blinden Auges vorüber gegangen war, und wenn er von jetzt ab alljährlich in den Ferien das elterliche Haus aufsuchte, zu dem es ihn trotz Allem und Allem stets von ganzer Seele hinzog, so mehrten und schärften sich solche Erfahrungen. Ueber persönliche Quälereien der verschiedensten Art, die sein geistlicher Gegner wider ihn in Scene setzte, wußte sich der junge Künstler hinweg zu lachen; tief in das Herz aber schnitt ihm die Lage des geliebten Volkes, über welches das ultramontane Regiment der sechsziger Jahre eine Zeit der religiösen Unduldsamkeit gebracht hatte, welche an die Martyriumsperiode der Protestanten zurückerinnerte.

Manch ein beißendes und zorniges Wort klang diesen Zuständen gegenüber von den Lippen des warmfühlenden Künstlers – aber stets auch wußte der Herr Caplan solche Aeußerungen an richtiger Stelle zu referiren, sodaß es schließlich für die Feinde Schmid’s, um einen neuen Schlag gegen ihn vorbereiten zu können, nur mehr einer äußeren greifbaren Veranlassung bedurfte. Diese fand sich auch bald – und zwar in der Nr. 31 der „Gartenlaube“ vom Jahre 1865, welche eine von Schmid gezeichnete Tiroler Volksscene „Das Rautenholen in Tirol“ reproducirt hatte. Die Zeichnung selbst war völlig harmloser Natur; aber der scharfe Artikel, den Adolf Pichler dazu geschrieben, hatte die Herren zu Innsbruck verletzt. Der damalige Landeshauptmann Haselwanter legte diese Nummer, sowie die Nummer der „Illustrirten Zeitung“ vom 6. Juni 1866, welche gleichfalls eine Zeichnung von Schmid, „Sonntagstanz im Zillerthale“, enthielt, dem Tiroler Landtage vor – und Schmid erhielt zu Neujahr die Nachricht, daß ihm das Stipendium entzogen wäre, weil er „für lutherische Blätter Zeichnungen liefere, was weder einen guten Christen noch einen guten Tiroler in ihm vermuthen lasse“.

Wenngleich sich Schmid durch solches Vorgehen wieder in materielle Bedrängniß versetzt sah, so athmete er doch erleichtert auf, da ihn nun kein Gewissensscrupel mehr behinderte, einer Richtung den Rücken zu kehren, mit welcher seine geistige Entwickelung seit geraumer Zeit schon in Widerspruch gerathen war. Was ihm bisher nur eine liebe Feiertagsarbeit seiner Ferienwochen gewesen: die Verbildlichung des heimathlichen Volkslebens, das wurde ihm nun zum Endzwecke seines ganzen künstlerischen Schaffens. Einige kleinere Bilder, die in rascher Folge entstanden und durch ihre prägnante Composition, wie durch die überzeugende Wahrheit in Zeichnung und Farbe die Aufmerksamkeit weiterer Kunstkreise erregten, führten ihm Aufträge zu, deren finanzielles Ergebniß ihn bald aller materiellen Sorgen enthob und ihm die Gründung des langersehnten Hausstandes gestattete.

In München, wohin er 1869 nach zweijährigem Aufenthalte in Salzburg wieder übersiedelte, trat er in nähere Beziehungen zu Franz Defregger, dessen Stirn damals schon der erste wohlverdiente Lorbeer krönte. Mit der ganzen wohlwollenden Liebenswürdigkeit, die ein so herzgewinnender Zug in Defregger’s persönlichem Wesen ist, nahm sich dieser des hochbegabten und strebsamen Landsmannes an und bewirkte dessen Eintritt in die Piloty-Schule.

Volle drei Jahre arbeitete Mathias Schmid unter Piloty’s ersprießlicher Leitung, bis er sich 1872 mit einem echten, an Form und Inhalt wahrhaftigen Meisterstücke, mit seinen „Karrenziehern“, aller Schule los und ledig sprach. Dieses Bild versetzte mit einem Schlage den Namen seines Schöpfers unter die Ersten seiner Kunst, eine Stellung, welche Mathias Schmid mit dem im gleichen Jahre entstandenen „Sittenrichter“, sowie mit seiner „Beichtzettelsammlung“ (1873),[1] mit dem „Herrgottshändler“ (1874) [2] und hauptsächlich mit dem durch Schönheit und

  1. „Gartenlaube“ 1874, Nr. 11.
  2. „Gartenlaube“ 1875, Nr. 29.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_607.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)