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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Blätter und Blüthen.


Auf einer alten Handelstraße in den Alpen. (Illustration S. 77) Die schneebedeckten Häupter der Alpenberge schauen auf so manches Werk menschlichen Fleißes herab, das in den Geschichtsbüchern der Civilisation mit ehrenden Lorbeerblättern geschmückt ist. Da schmiegt sich fest an die Füße der Bergriesen die jüngste unter diesen Schöpfungen des unternehmenden Geistes, die großartige Gotthardbahn – ein eisernes Friedensband zwischen den Völkern des Nordens und des Südens. Vielen kommenden Geschlechtern wird sie noch berichten von den stolzen Leistungen des Jahrhunderts, welches mit vollem Rechte sich den Beinamen des „eisernen“ beigelegt hat. Aber auch die älteren Geschwister dieser Wunderbahn, die alten Handelsstraßen, die hoch über den Alpenthälern, über Gebirgskämme und an steilen Abgründen vorüber sich in unabsehbaren Schlangenlinien dahinziehen, auch sie können Ungewöhnliches von ihrer Vergangenheit berichten. Schauen wir nur zurück in die Geschichte der Handelsstraße, die über den Simplon führt! Schon der Meißel römischer Arbeiter hatte hier im grauen Alterthume dem Verkehre die Wege geebnet, und die Regierungen des Mittelalters hatten diese Straße unter den Schutz zahlreicher Verträge und Gesetze gestellt. Freilich war sie damals nicht so breit und bequem, wie dies heute der Fall ist. Es fehlten noch die 22 großen Brücken; die 8 gesprengten und gemauerten Gallerien und die vielen Schutzhäuser, welchen sie den Ruf einer der besten Alpenstraßen verdankt. Diese schuf erst im Anfange unseres Jahrhunderts der Befehl des gewaltigen Napoleon, der eine Heeresstraße über die Alpen brauchte, und ungeduldig den über die Fortschritte der Arbeiten berichtenden Boten zu fragen pflegte: „Wann wird das Geschütz über die Alpen fahren können?“ 30,000 Menschen und 1750 Centner Pulver vollbrachten das Werk in fünf Jahren.

Weniger bequem, aber nicht weniger berühmt war die alte Gotthardstraße, die jetzt ihre Bedeutung völlig verloren hat. Sie war mit großen Granitsteinen gepflastert, aber für Wagen nicht zu benutzen. Der Kaufherr, der auf ihr von Deutschland nach Italien zog, mußte seine Waare auf den Rücken der Rosse laden, wobei er, altem Gebrauche folgend, jedes Pferd mit einem Saum, das heißt mit drei Centnern Gepäck belastete. Aber obwohl die Gotthardstraße nur ein Saumpfad war, so bildete sie dennoch einen der gebräuchlichsten Wege von Deutschland nach Italien, und war in früheren Zeiten mit Zollthoren u. dergl. versehen. Erst am 25. Juli 1775 wagte der englische Mineralog Greville in einer Kutsche die Gotthardstraße zu passiren, und seit jener Zeit rollte unzählige Male der schweizerische Postwagen über den Gotthard, bis ihn ein für allemal das Dampfroß ablöste, das zwischen Göschenen mit Airolo durch den großen Tunnel den Verkehr vermittelt. Jetzt brausen sicherer die langen Güterzüge mitten durch den Berg, und man kann kaum begreifen, daß es sich einst gelohnt hat, die Waarenballen dort hoch über den Berg zu schleppen.

Ja, es war im Mittelalter keine leichte Aufgabe, eine Handelsreise von Nürnberg nach Mailand glücklich auszuführen. Da drohten Gefahren mannigfachster Art dem strebsamen Kaufherrn. Unwetter und Lavinenstürze machten ihm nicht weniger Sorge als die streitlustigen Herren der am Wege liegenden Raubritterburgen. Zwar erhielt er von den Städten oder von der kaiserlichen Obrigkeit ein bewaffnetes Geleite, das ihn von Ort zu Ort sicher bringen sollte, oft aber half auch dieses wenig gegen die Uebermacht des plündernden Feindes. Und wenn ihm aus der Ferne die verwitterten Zinnen einer Burg entgegen winkten und nahe an dem Wege ein Kreuz sich erhob, da flogen wohl seine Gedanken von dem Sinnbilde des Friedens auf Erden zu jenem gefährlichen Wahrzeichen der Vergewaltigung, da sammelte er wohl seine getreue Schaar und suchte im einfachen Gottesdienst in der menschenleeren Gegend Ruhe und Trost. In solcher Lage führt uns das treffliche Bild W. Räuber’s den Kaufherrn des 15. Jahrhunderts vor. Durch den grauen Morgennebel schauen die kahlen Bergspitzen in das anmuthige Thal hinab, die Vögel stimmen im Gebüsch ihre Morgenlieder an, und bei dem Frieden der Natur schleicht sich in das Herz der weiter Ziehenden die mildere Hoffnung, daß es auch in der Nacht des Völkerlebens einst tagen und die Sonne des Rechts über die Schatten der Willkür siegen wird. J. 


Sei wieder gut. (Illustration S. 85.) Eine Scene, welche überall und zu allen Zeiten da aufgeführt wurde und in Ewigkeit aufgeführt wird, wo es Liebespaare giebt, eine Scene, in welcher ohne Zweifel unsere sämmtlichen Leser und Leserinnen schon eine Rolle hatten. Auf die Sprache, in welcher der Gedanke dieses Bildes ausgedrückt wird, kommt es dabei so wenig an, wie auf die Tracht, in welcher zwei solche Menschen ihr Versöhnungstück abspielen: Immer werden die Augen so sprechen, wie hier, und das Wort kann keinen andern Sinn haben, als den: „Sei wieder gut!“ – Die zwei Liebesleutchen unserer Abbildung sind ein Paar deutsche Gemüther in der Tracht, die in dem „Hanauer Ländchen“ sich noch bis heute erhalten hat. Dieses badische Gebiet, das von der Appenweiler-Kehler Eisenbahn durchzogen wird, ist eine theils fruchtbare, theils sumpfige Niederung, liegt es doch zwischen den beiden Prachttheilen des Rheinthals im Nord und Süd, bei deren Anblick jener Italiener sagte: „O Deutschland, wie leicht könntest du Italien sein!“

Nochmals die Sitze in den Eisenbahnwagen. Von einem königlichen Eisenbahndirector ist uns folgende erfreuliche Mittheilung zugegangen, welche sicher die meisten unserer Leser interessiren wird.

„Der in der ersten diesjährigen Nummer Ihrer geschätzten Zeitschrift enthaltene, ‚die Sitze in den Eisenbahnwagen‘ überschriebene Artikel, dessen Ausführung ich im Allgemeinen meine Anerkennung nicht versagen kann, giebt mir zu der Bemerkung Veranlassung, daß seitens der preußischen Staatseisenbahn-Verwaltungen der Herstellung bequemer Sitzformen ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Namentlich sind in neuerer Zeit die eingehendsten Erhebungen angestellt, um nicht nur die Polsterung in der ersten und zweiten, sondern ganz besonders auch die Sitze der dritten Classe unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Raumes der Form des menschlichen Körpers derartig anzupassen, daß das Sitzen ein möglichst bequemes wird. Die ermittelten Formen entsprechen den in dem oben genannten Artikel entwickelten Grundsätzen und tragen den großen Verschiedenheiten in der Gestaltung des menschlichen Körpers gebührend Rechnung.

Für die erste und zweite Classe wird sogar dadurch, daß die Sitzkissen ein beliebiges Vorziehen bis zur Coupémitte gestatten und die Rücklehnen bei dieser Bewegung eine der augenblicklichen Stellung des Sitzkissens entsprechende Form annehmen, die Bequemlichkeit der sogenannten Faullenzer erreicht. Die Armlehnen erhalten eine angemessene Breite und die Seitenlehnen eine derartige Form, daß sie nicht nur der Wange, sondern auch der Schulter einen festen Stützpunkt bieten.

Schließlich gestatte ich mir noch die Bemerkung, daß Armschlingen für die meisten Passagiere eine angenehme Zugabe sind und der Versuch, sie zu beseitigen, bis jetzt auf Widerstand gestoßen ist. Uebrigens dürfte auch ihr Vorhandensein keine Unbequemlichkeiten zur Folge haben.“



Allerlei Kurzweil.


Kreuzräthsel.

Innerhalb der obigen Figur sind die Buchstaben so umzustellen, daß die wagerechte Mittelreihe ebenso lautet wie die senkrechte. – Die neun wagerechten Reihen sind: 1) Weiblicher Vorname. 2) Männlicher Vorname. 3) Mineral. 4) Große Stadt in Deutschland. 5) Roman von „Georg Ebers“. 6) Bewohner einer europäischen Halbinsel. 7) Himmelsgegend. 8) Raubthier. 9) Schweizer Canton.


Auflösung der Dechiffrir-Aufgabe in Nr. 4:

Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.


Auflösung des Akrostichon in Nr. 4: Eduard Lasker

EscoriaL DesdemonA UranuS AkustiK RosettE DöllingeR


Auflösung der Rösselsprung-Aufgabe in Nr. 4:
7–2, 5–8, 1–4, 3–6; 2–5, 8–3, 5–7, 6–1; 5–8, 3–6, 7–2, 1–4; 8–3, 6–1, 2–5, 4–7.


Inhalt: [Inhaltsverzeichnis dieses Heftes, hier nicht übernommen.]



  manicula Es gereicht uns zur Freude, unseren Lesern mittheilen zu können, daß das hinterlassene Manuscript Heinrich Heine’s, dessen vielbesprochene Memoiren (Jugendgeschichte) enthaltend, soeben von uns zum erstmaligen Abdruck erworben wurde und die Veröffentlichung desselben schon in einer der nächsten Nummern der „Gartenlaube“ beginnen wird. Die Verlagshandlung. 


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)